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Friedrich Schleiermacher to Henriette Herz

den 1ten Januar 1798 4 Uhr Morgens.
Hier haben Sie Ihr Fragment, liebe Freundinn, die Überzeugungen, die es enthält stehen für sich; aber die Aussichten für mich mag Ihre fortdauernde Güte wahr machen.
Wenn eine ruhige und schöne Seele sich zwischen den lieblichen Ufern des Wolwollens und der Liebe bewegt, so gestaltet sie ihr ganzes Leben sich ähnlich. Es gleicht einem stillen Bach, der nicht nur die Bläue des Himmels in voller Klarheit abbildet; sondern aus dessen Spiegel selbst die grauen trüben Wolken in milderer Gestalt zurückstrahlen, weil die schönen Bilder der buntfarbigen Blumen, mit denen jene Ufer überall besetzt sind, sich unmittelbar mit ihrem düsteren Kolorit vermischen. Wenn die zarten Äußerungen eines solchen Gemüths sich nur dem Vertrauteren offenbaren – wie nur das Herz seines Freundes schlagen hört, der am Busen desselben ausruht – so vervielfältigt es dafür sein ganzes schönes Daseyn. Denn wer | ein schöngestaltetes Leben mitgenießend anschauen darf, dem fließt das seinige gewiß ruhig daneben hin; und wem es vergönnt ist auf der Ruhe eines wolgeordneten Gemüthes mit seinen Blicken zu verweilen, dessen Leben kann auch nicht ohne Züge von Schönheit bleiben, weil ein solcher Anblick mit dem wohltätigsten Zauber alles, was den Grazien feind ist, entkräftet und verscheucht. [...]
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  • Date: Montag, 1. Januar 1798
  • Sender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Recipient: Henriette Herz ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 2. Briefwechsel 1796‒1798 (Briefe 327‒552). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1988, S. 244.

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