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Lotte Schleiermacher to Friedrich Schleiermacher

Gndfr. d 23t Februar 1798
Mir dünkt es ganz ungewöhnlich lange daß ich mich nicht mit Dir unterhalten vielleicht trug dazu so manche kleine mitunter angenehme Abwechselung viel bei – die seit der Zeit mein Dasein, und meine Gesundheit betrofen – leztere ist seit 6 Wochen wieder sehr abwechselnd gewesen – Heiserkeit vor meiner Kuchendorfer Reise, nachher ein unangenehmer Ausschlag im Gesichte – der mich an jedem Besuch besonders zu meiner lieben Zimmermann hinderte – Geschwulst im Gesicht – und zulezt ein entsezliches NervenKopfweh welches mich recht abmattete – erst gestern war ich seit dem benanten Zeitraum das erstemahl wieder bei meiner lieben Dulderin – die recht schlecht aussieht und auch gewaltig abnimt – doch kam ich sehr gelegen – sie wolte eben nach mir schiken (das will viel sagen) wir genoßen eines 3stündigen Solos – da denn doch bei aller Schwachheit das nötige abgehandelt wurde. Die lezten Worte meines vorigen Briefes war so viel ich weiß die Anmeldung daß ich zu Pritwizes gehen würde – woselbst ich sehr vergnügt war – Mitwochs abgeholt wurde und Sonabends von Ihm begleitet wieder zu Hause kamm – ohne unsre Abrede – denn ich solte schon eher hin, konte aber wegen meiner Heiserkeit nicht – traf es sich so, daß ich grade am 25ten Januar, als an ihrem TrauungsTage dort war, keine besondre äußre Feier (ein gutes Glaß OberUngar ausgenomen) bezeichnete den Tag, aber es war uns Allen wohl beieinander zu sein manch schönes Solo, und Trio sind die Merkwürdigkeiten davon – den anderen Tag holten sie expres einen Pfarrer aus dem nächsten Dorfe wodurch auch Du auf dem Weg nach Stein passirt bist Langenoelse | nebst seiner Frau und 2 jüngsten Söhnen gebeten, davon der, eine, 12 Jahr alt Dir da wir noch in Breslau waren ziemlich gleicht; Monse heißen sie der Man hat viel Kentniße in allerley Tiefen der Menschheit die ihm als Prediger und Menschenfreund zu statten kommen könen – Er hat viel Kinder und da die Frau eben keine WirtschaftsGabe hat – so ist er zu bedauern – eine sonderliche Angewonheit – fast bei jedem Wort: erlauben Sie gnädge Frau – oder Freundin! mit einem gravitätschen air zu sagen, hätte mich eingemahl ganz außer Faßung gebracht – gewiß hatte er dis während 6 Stunden wohl 1000 mahl gesagt; warum Lisette die Leute eben zu meiner Geselschaft gebeten, da wir uns doch gern, und ganz genug waren, und uns mit allen denen Vorbereitungen und Besuch beinah ein ganzer Tag verlohren gieng weis ich nicht – habe aber noch erfahren, daß sie einen katolischen Pfarrer der sehr angenehm sein soll, und eine neue Bekantschaft mit mir machen, Geschäfte halber aber nicht kommen konte – gebeten, und ihn nicht allein haben wolten – was meinen Aufenthalt vorzüglich angenehm machte, war der allerliebste Moriz der jezt schon recht hübsch läuft – zwar nichts als einge Wörter stamlet – aber übrigens so verständig – zärtlich – kurz so schöne Entwikelungen seines Geistes zeigt daß es recht angenehm überraschend ist – mich hatte er so eingenomen – daß ich wohl sagen möchte, die Trenung von ihm, würde mir schwerer als von seinen Eltern – ich schlief auch bei Ihm in der Stube – und war bis 9 uhr | so ganz allein und für ihn da; eine sehr angenehme Lectüre – fülte die Zwischenstunden Morgens, Abends, und die Stunden aus da Lisette ihrer Häußlichkeit nachgieng – Udolphos Geheimniße aus dem Englischen übersezt, eine Geschichte wo der francösische und italienische Caracter, dargestelt – und mit angenehmen Reisen untermischt von den Languedoqschen Gegenden – nach Venedig – ich habe nicht das Geschik und force der Ausdrüke – sonst wolt ich etwas vom Inhalt erwähnen – es hat mir sehr behagt – so daß ich mich nicht enthalten konte die Aulock in meinem lezten Briefe zu fragen ob ich nicht das Buch durch sie noch einmahl in die Hände bekomen – und mit jemanden von meinen Lieben lesen könte – denn dort war es auch geborgt – noch weiß ich nichts – und hoffe da wir jezt wieder Schlittenbahn haben meine Aulock bald einmahl hier zu sehn; wie gern theilte ich ihr meine jezige Lectüre mit – so wie das vorige aus der Urania – dis sind leider die lezten Hefte, und handeln mehrentheils über Weiblichen Ruf und Bestimung – eine vortreflich geschriebne Abhandlung! mit aller Bescheidenheit gegen unser Geschlecht und doch mit vieler Offenheit – so angenehm als lehrreich für Mädgen Weiber und Mütter – Frize Graf deren Umgang mir besonders tröstlich und aufmunternd – hat auch so viel sichs thun ließ, manche vorzügliche Stellen mit Beifall beherzigt – so wie ich an meine Freundinen jeder Art dabei dachte, fielst Du und Charles mir auch hie und da ein – gern schriebe ich viel heraus aber es mangelt an Zeit |
ich fühle mich so herzlich gedrungen meine Unterhaltung hintereinander fortzusezen, daß ich dieses leere halbe Stündchen gern benuze – mit Dir zu plaudern; und imer habe ich das alles nicht gesagt, was ich Dir gern mittheilen – oder zu Dir sagen möchte! noch einmahl zurük auf den 21ten November deßen ausgezeichnete Feyer mir wirklich viel Freude machte, und eben so Deine herzliche Mittheilung darüber an dem nehmlichen Tage. Daß noch ein Brief von der Cousine ankam, muste Dir allerdings den FreudenGenuß erhöhen – da so manche Alte und auch neue Freunde weteiferten Dir Dein Dasein lieblich zu machen – auch dieser Beweis dauernder Achtung nicht ausfiel – mir deucht als wäre dis das erstemahl seit Deiner Trenung von der BrüderGemeine daß Du diesen Tag so festlich begiengst – der Meine rükt auch wieder mit schnellen Schritten heran, und es wird mir allerdings eigen sein, ihn unter Erwachsnen, ohne Kinder zu feiern – wiewohl ich eigentlich nichts dagegen habe ihn so stille zu verbringen – angenehm wäre mirs wohl allerdings gewesen Louise von Lüdek an dem 31ten noch hier zu wißen – wenn auch nicht grade den Nachmittag ihre mir so schäzbare Nähe meinen trauten Kreis vermehrt – so hätte ichs doch nach Belieben nachholen könen – wahrscheinlich geht sie in einigen Tagen wieder nach Hernhut – von meiner inigsten Achtung gewiß – wiewohl nur durch wenig Worte völlig überzeugt | Wenn Dich meine sehr unvolkomne Schilderung von dieser edlen Perle der leidenden und mitfühlenden Menschheit interressirt, und Du den Grad meiner Achtung, so wie die Art und Weise meines Umgangs mit einer Person an welcher ich ungefähr so wie an der Zimmermann hinauf sehe, ganz gefaßt hast so wirst Du leicht verstehen, wie inigst dankbar ich für das was ich in ihrem angenehmen und lehrreichen Umgange genoßen – wie tief ich zwar dabei die Trenung fühle – aber doch mir gar nie einfallen laße, durch Briefwechsel diese Bekantschaft fortzusezen – ich will jezt zu Abend eßen, es ist schon längst, 6, wo wirst Du heute Abend sein? bey Herz – oder mit Schlegel – ich gehe bei solcher Kälte spät Abends gar nicht aus.
25ten
Die Frau von Schlössel war in Berlin – wovon Dir Brinkman wohl wird gesagt haben – recht leid thut es mir daß ich mit ihr nicht geschrieben, so hättest Du doch dadurch Gelegenheit bekomen Deine Aufwartung zu machen ich sah sie vorige Woche bey jungen Seidlizes da sie mir denn sagte daß sie wüste daß Schleiermacher sich wohl befände – nur durch die Vergeßlichkeit ihres Bedienten beim Einpacken hast Du Deine Bücher mit ihr nicht erhalten es war ihr recht unangenehm mir nicht diese Gefälligkeit geleistet zu haben – jezt werden sie endlich durch einen ganz eignen Canal nach Berlin gelangen – Lüdek die von dem UnglüksStern hörte der ob diesem Paquet schon einigemahl waltete – bietet mir an es durch den Hernhutschen FuhrMann der wöchentlich hin geht zu besorgen – mit Vergnügen benuzt sie unterdeß diese Lectüre | die Adresse auf das Paquet wird sie wahrscheinlich machen – wenn Du es aber bekomen wirst weis ich nicht – doch vielleicht noch vor Ostern. Du findest darin 2 paar Handschuh – die nach meinem besten Willen schon diesen Winter benuzt werden solten wenn es anders gegangen wäre; ein paar solten, Dir, und das andre dem Charles – da dieser nun aber so weit entfernt ist wirst Du sie wohl beide behalten – ich weiß nicht ob sie nach Geschmack ausgefallen – doch hat man mir gesagt – daß Ihr lieben Mansleute auch solche weiße wolne gerne trüget – ich selbst habe mir ein paar zu meinem WinterAnzug gestrikt die mir sehr behagen – la volonté en fait le prix – wirst Du bei diesen als auch bei der befindlichen kleinen Zeichnung, denken – die ich des Spaßes halber zu einger Schadloshaltung der vor 7 Jahren nicht angekomnen – Dir zuschike – nur um meine Idee von und über dergleichen zu faßen, habe ich so elend die Mahlerei ausgefallen – sie doch eingepakt – unser kleines Genie hätte es freilich herrlich gemahlt und gestikt – allein sie ist sehr schwächlich und kan dergleichen gar nicht mehr unternehmen – die Buchstaben im Baum wirst Du Dir wohl erklären – alles sind Deine Freunde mit denen Du früher oder später gelebt. Eine Person – hast Du nie gesehen – und eine andre nur wenig. Was wirst Du nur dazu sagen – über alles dis verlange ich nicht so viel Erläuterungen – als ich begierig bin – ob Du mit Stilschweigen alles das übergehen wirst was ich seit September von meinen neuen Bekantschaften – oder auch alten Freunden geschrieben |
den 26ten
Da ich eben über diesem Chapitre bin – fält mir ein Dir zu sagen daß ich vor einiger Zeit bey dem Lesen, derer an die PredigerConferenz eingegangnen Schreibens – einen Dir gewiß bekanten Namen aus der Vorzeit gefunden, Aschenberg genant – der als Prediger in Cronenburg steht, seine vorige ErziehungsPeriode in der Gemeine und seine jezige Laage und Stimung mit einer allerliebsten Offenheit erwähnt – und sich dem Andenken der Conferenz empfiehlt – daß ich dabei so wie bei manchem Briefe der in den Religionen stehenden Prediger Deiner ganz besonders und angelegentlich dachte – darf ich Dir nicht erst erläutern – Du kenst mich und meine EmpfindungsArten. –
Da ich weiß daß Dich unsre hiesige Ortsherschaft Baron Seidlizes seit Deinem Besuch interressiren – kan ich Dir um desto eher sagen, daß sie jedesmahl wenn sie mich zu Tische bitten – welches dis Jahr schon eingemahl vorkam – sich liebevoll nach Dir erkundigen – und Dir alles wahre Gute in Deiner Laage von ganzen Herzen wünschen, der Herr Baron wundert sich gar sehr, daß Du noch gar nicht weder von dem verstorbnen noch jezigen Landes Vater etwas erwähnst er fragt mich jedesmahl darnach – die Zimmermann wundert sich auch – Louise Lüdek die einmahl davon hörte – meinte wie mann nur verlangen könte, daß man das imer wiederkäuen solte, wovon alle öffentlichen Blätter – voll, und Kannengießer sich beschäftigen – in der Folge glaubt sie, wirst Du erst sprechen wenn alles so glüklich fortgeht als es der Anfang zeigt – das ist Dir wohl recht lieb! |
Vergiß doch ja nicht meine leztern Episteln samt dieser recht gründlich durchzustudiren um mir wieder einmahl ausführlich zu antworten[;] ich bin gewiß überzeugt daß Dich so wie sonst alles interressirt was mich betrift möchte aber doch Deine Gedanken über so manches gern hören – auch ob Dir Kosegartens Rhapsodien, und Udolphos Geheimniß bekant – kürzlich habe auch ein sehr lehrreiches Buch vom Jung oder Stilling wenn Du wilst, gelesen, – Theobald oder die Schwärmer, welches mir sehr lieb daß es eben, jezt, und nicht eher wie ichs so sehnlich wünschte, in meine Hände gekommen – es wäre zu wünschen wenn es bei Uns von den Arbeitern in allen Chören gelesen würde manche Tiefen der Menschheit die ihnen nothwendig anschaulich sein solten, würden ihnen durch diese Lectüre bekant werden, öfters bin ich ganz erstaunend bei mancher Stelle stehn geblieben andre wieder führten mich auf mein mir noch dunkles ich zurük da ich das ausgesprochen fand, was ich nur leise ahndete, und nicht getraute auszudenken – eine solche Beschäftigung ist nicht übel und spornt einen imer mehr ann, seinem großen Ziel nachzueilen, es soll kürzlich noch ein Buch von ihm herausgekomen sein, Briefe – oder der Mann im grauen Rocke – wenn Du irgend wieder etwas findest wie Hesperus – nach unsrer beiden Geschmack und mir einge Stellen auszeichnen woltest – Du würdest mir viel Freude gewähren – an französischer Lecture bin ich jezt durch Mademoiselle Schilden die Du ja auch kenst beßer als je versehen, | Histoire des bons Empereurs Romains auquels on a joint celle d’agricola, et de Pline le jeune, me fait beaucoup de plaisir[;] le Voyage d’Anacharsis dans la Grèce – et plusieurs autres livres qui ont du rapport à l’histoire ancienne –
So sehr ich aber auch die Geschichte der Alten liebe – so sehr wünsche ich auch einmahl etwas von der neuern StatenGeschichte – England oder Frankreich oder auch von den Normänern zu lesen, und zwar französisch geschrieben – ich bin nun schon einmahl dafür, und dann giebt es mir auch Uebung – Unterricht aber gebe ich nur jezt einer einzigen und zwar täglich – welches mir da sie schon erwachsen und viel Lust hat mir viel Freude macht, meine Stunden in der Anstalt betreffen, wie ich schon im vorigen gesagt nur Historie Geographie und Briefschreiben – auch habe ich hier im Hause einge Stunden von der Art jungen Madgens zu geben, so daß Dienstag und Mitwoch Nachmittag, und den Sonabend – die übrigen Tage völlig besezt sind – welches mir für Leib und Geist sehr heilsam –
aus allem diesem kanst Du erachten daß mir die Zeit recht angenehm verfließt dazu komt noch der Umgang mit einigen mir sehr lieben Personen – Comtesse Posadowsky bei der ich öfters bin – Lotte komt auch zuweilen oder ich zu ihr und in der Stube bist Du ja mit meiner Freundin bekant; vor einer halben Stunde kam die gutmütige Peisteln mich zu Tische zu holen, da ich aber mein gestriges SontagsEßen noch hatte und bald wieder in die Schule muß verspare ich mirs bis auf den Mitwoch – wenn ich eine ganze Woche auslaße, dan komt Nachfrage – manche angenehme Stunde verbrachte ich schon dort – werde aber nicht von ihnen, angespant indem sie mit ihrem neuen Hofmeister in jeder Rüksicht gut versorgt – gestern speiste ich Mittag und Abends bei der jungen | von Seidliz – die seit Weinachten anstatt in Habendorf hier logirt – um sich während einer critischen Zeit hier recht ruhig zu verhalten – nach dieser Contumaz die freilich manches unangenehme hat, warten ihrer Freuden, die sie als Weib und Mutter zu schäzen weis – Gott schenke sie ihr – – Du weist daß ich die Solos liebe – leiste ihr daher gern wenn sie allein Geselschaft sie ist ein kluges edles interressantes Geschöpf – Schade, daß Du sie nicht gesehen. Von unsrer Mutter habe schon lange keine Nachricht, ich werde daher bald schreiben, um zu hören, ob etwa der Todt des Fürsten einen üblen Einfluß auf sie hat – die Tochter in Fürstenstein ist tief betrübt – schrieb mir lezthin – und fand sich aufgeregt mir wegen meiner gehabten Veränderung und Kränklichkeit für dis Jahr eine festgesezte kleine Unterstüzung von 24 Thalern zu gewähren – ihr allerliebstes Benehmen dabei, ist mir eben so werth und lieb als das Geschenk mir angenehm ist – die Gute! Vor einigen Wochen habe wegen der verauctionirten Bücher an Herrn [Kuhnrath] einen alten Freund unsers Vaters geschrieben, und ihn ersucht mir zu dem Gelde zu verhelfen – welches denn vorgestern hier angelangt – – es sind 76 ReichsThaler ins ganze – wegen Eurer Entfernung habe ich mir die Summe hieher ausgeben [lassen], und dieser Brief geht deshalb heute schon auf die Post – um je eher je lieber Deine Antwort zu erhalten, ob ich Dir Eure beiden Antheile nach Berlin schiken soll oder es an den hiesigen Vorsteher auszahlen – der Dir dort an Goerliz oder Fabricius eine Anweisung giebt – wo Du das Geld haben kanst – bitte, laß mich bald Deine Meinung hierüber wißen – schreibe mir auch von Schedes – und vorzüglich was Du von Charles weist ich werde wo möglich noch ein Zettelchen an ihn einlegen
Lotte
Metadata Concerning Header
  • Date: 23. bis 26. Februar 1798
  • Sender: Lotte Schleiermacher ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Gnadenfrei ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 2. Briefwechsel 1796‒1798 (Briefe 327‒552). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1988, S. 280‒287.

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