Landsb a. d. W. d. 25ten Apr. 98
Freilich habe ich diesmal etwas lange auf Ihren Brief harren müssen, indeß finde ich ihre Entschuldigungen lieber Neveu allerdings vollgültig, die ich jedoch eigentlich nur aus Ihrem Briefe erfahren habe: Denn die gute Benike hatte bey der Krankheit ihrer Tochter so ziemlich ihre Fassung verloren[.] Nur hat sie mir von Ihrer Madlitzschen Reise und von ihren vielen FestArbeiten gesagt, weshalb wir alle Sie recht sehr bedauert haben. Und nun ist sie – zumal da Emilie jetzt sehr in der Beßerung zu seyn scheint, – sehr neugierig wie es mit Ulrichs Stelle werden wird – ich hütete mich wohl davon anzufangen, aber Sie müssen wohl selbst auch an die Benike davon geschrieben haben: denn ich sollte ihr nun gleich sagen, ob ich nicht glaubte, daß Sie sie gewiß und unfehlbar erhalten würden, und da ich das nicht vermochte, so war nun eine andre sehr angelegentliche Frage: Wie hoch sich denn wohl der Ertrag der Stelle belaufe, welches ich ihr aber auch nicht auf eine befriedigende Art beantworten konnte; indeß hoffe ich doch wohl, daß die Sache dann, wenn wir Sie nach Pfingsten hier haben, so ziemlich entschieden seyn werde. |
Recht sehr danke ich Ihnen für die sorgfältige und genaue Beantwortung der vorgelegten Fragen. Die Benike sagte mir gestern, daß Sie so äußerst unruhig darüber seyen, daß sie einen Posttag hätte vorbeygehen laßen, ohne an Sie zu schreiben, – ich hoffe sicher, daß Sie nun wieder völlig beruhigt seyn werden
Ich habe gestern eine kleine recht anmuthige Reise gemacht nach den Genninschen Holländern – kann aber deswegen vielleicht von dem dortigen Prediger Keiler verklagt werden; ich habe nämlich dort ein Kind getauft, deßen Aeltern zu seiner Gemeine gehören und beyde lutherisch sind. Ich habe hier nach meinem beßten Gewissen gehandelt, und so bin ich ganz ruhig, wenn ich gleich vorhersehen kann, daß de part & d’autre sonderbare Urtheile dieserhalb über mich ergehen werden. Die Gemeine lebt seit langer Zeit in Streit mit dem Prediger, der Mann, dessen Kind ich getauft, hat dem Prediger Keiler um einen Erlaubnißschein gebeten, daß er sein Kind von einem andern lutherischen Prediger könne taufen laßen und ihm die Gebühren mit 1 Rth. vergüten wollen, welches jener ausgeschlagen, und als ich ihn fragte, ob er nicht beym Herrn Inspector Stenigke gewesen, so hörte ich, daß auch dieser einen solchen Erlaubnißschein versagt | habe; da ich nun nicht einsehen konnte, daß es besser sey, daß das Kind gar ungetauft bliebe (ohnerachtet Sie es mir wohl zutrauen werden, daß ich von sogenanten Nothtaufen nichts halte) so habe ich es – ohne Erlaubnißschein getauft – habe die Gebühren und das Opfer gegen Quittung, die ich dem Vater des Kindes gegeben in Empfang genomen, und dem Prediger Keiler durch seinen Schulmeister sagen laßen, daß er diese Gebühren, jedoch ebenfalls gegen Quittung, bey mir abfordern laßen könne auch nicht besorgen dürfe, daß ihm dadurch ein Gemeinglied (wenn er bey dieser Gemeine noch länger bleiben kann) entzogen werden würde, indem nach meinen Begriffen die Kinder weder zu Reformirten noch zu Lutherischen, sondern allein zu Christen getauft würden
den 26ten
Das thut uns recht leid, daß ihr lieber Bruder nicht hat den kleinen Umweg über Landsberg nehmen wollen, wir hatten uns schon recht gefreut, ihn bey der Gelegenheit persönlich kennen zu lernen. Recht herzlich lieb ist es mir, daß wir ihn doch wenigstens etwas mehr in unsrer Nähe wissen, und ich denke und hoffe, es werde ihm in Stettin ja wohl noch besser gefallen, als in Westphalen |
Da habe ich eben in der Zeitung von dem Lärm in Wien gelesen, und damit ich nun aus der Gewohnheit des Fragens nicht ganz herauskomme so wünschte ich wohl von Ihnen zu erfahren, ob der französische Gesandte in Berlin auch seine 3farbige Fahne ausgesteckt hat – oder ob es vielleicht nur eine Chicane von jenem in Wien gewesen
Ich hätte noch freilich auch sonst mancherley zu fragen aber jetzt ruft der Wächter, daß ich soll zu Bette gehen.
den 28ten
Ich kann nun zwar nicht sagen, daß ich hier so viele Zerstreuungen und so mancherley Abhaltungen, als Sie in Berlin, gleichwohl habe ich gestern und heute nicht füglich ans Briefschreiben komen können. Gestern schikte mir der Herr Conrector ein paar von den in jetzigen Zeiten leider! so übermäßig häufig erscheinenden Flugschriften: Kamäleon – und Trauerrede auf Friedrich Wilhelm II. über ApostelGeschichte 13, 21.22 welche letztere in meinen Augen ein abscheuliches und für den gemeinen Haufen der alles gierig verschlindenden Lesewelt höchst schädliches Product zu seyn scheint. Obs wirklich verboten sey wie der Conrector versichert, kann ich nicht sagen, aber daß der Schaden dadurch gehindert werde glaube ich noch nicht
Nun muß ich wohl schließen damit der Brief noch auf die Post komme. Viele herzliche Grüße von Mama und unserm Sohne. Bey meinem nächsten Schreiben werden sich wohl unsere BesoldungsQuittungen auch einfinden
Ich bin, wie Sie wissen
Ihr aufrichtig getreuer
St.
Recht viele Empfehlungen an Herrn Sack, Reinhardt und alle, die sich dort noch unser erinnern
Freilich habe ich diesmal etwas lange auf Ihren Brief harren müssen, indeß finde ich ihre Entschuldigungen lieber Neveu allerdings vollgültig, die ich jedoch eigentlich nur aus Ihrem Briefe erfahren habe: Denn die gute Benike hatte bey der Krankheit ihrer Tochter so ziemlich ihre Fassung verloren[.] Nur hat sie mir von Ihrer Madlitzschen Reise und von ihren vielen FestArbeiten gesagt, weshalb wir alle Sie recht sehr bedauert haben. Und nun ist sie – zumal da Emilie jetzt sehr in der Beßerung zu seyn scheint, – sehr neugierig wie es mit Ulrichs Stelle werden wird – ich hütete mich wohl davon anzufangen, aber Sie müssen wohl selbst auch an die Benike davon geschrieben haben: denn ich sollte ihr nun gleich sagen, ob ich nicht glaubte, daß Sie sie gewiß und unfehlbar erhalten würden, und da ich das nicht vermochte, so war nun eine andre sehr angelegentliche Frage: Wie hoch sich denn wohl der Ertrag der Stelle belaufe, welches ich ihr aber auch nicht auf eine befriedigende Art beantworten konnte; indeß hoffe ich doch wohl, daß die Sache dann, wenn wir Sie nach Pfingsten hier haben, so ziemlich entschieden seyn werde. |
Recht sehr danke ich Ihnen für die sorgfältige und genaue Beantwortung der vorgelegten Fragen. Die Benike sagte mir gestern, daß Sie so äußerst unruhig darüber seyen, daß sie einen Posttag hätte vorbeygehen laßen, ohne an Sie zu schreiben, – ich hoffe sicher, daß Sie nun wieder völlig beruhigt seyn werden
Ich habe gestern eine kleine recht anmuthige Reise gemacht nach den Genninschen Holländern – kann aber deswegen vielleicht von dem dortigen Prediger Keiler verklagt werden; ich habe nämlich dort ein Kind getauft, deßen Aeltern zu seiner Gemeine gehören und beyde lutherisch sind. Ich habe hier nach meinem beßten Gewissen gehandelt, und so bin ich ganz ruhig, wenn ich gleich vorhersehen kann, daß de part & d’autre sonderbare Urtheile dieserhalb über mich ergehen werden. Die Gemeine lebt seit langer Zeit in Streit mit dem Prediger, der Mann, dessen Kind ich getauft, hat dem Prediger Keiler um einen Erlaubnißschein gebeten, daß er sein Kind von einem andern lutherischen Prediger könne taufen laßen und ihm die Gebühren mit 1 Rth. vergüten wollen, welches jener ausgeschlagen, und als ich ihn fragte, ob er nicht beym Herrn Inspector Stenigke gewesen, so hörte ich, daß auch dieser einen solchen Erlaubnißschein versagt | habe; da ich nun nicht einsehen konnte, daß es besser sey, daß das Kind gar ungetauft bliebe (ohnerachtet Sie es mir wohl zutrauen werden, daß ich von sogenanten Nothtaufen nichts halte) so habe ich es – ohne Erlaubnißschein getauft – habe die Gebühren und das Opfer gegen Quittung, die ich dem Vater des Kindes gegeben in Empfang genomen, und dem Prediger Keiler durch seinen Schulmeister sagen laßen, daß er diese Gebühren, jedoch ebenfalls gegen Quittung, bey mir abfordern laßen könne auch nicht besorgen dürfe, daß ihm dadurch ein Gemeinglied (wenn er bey dieser Gemeine noch länger bleiben kann) entzogen werden würde, indem nach meinen Begriffen die Kinder weder zu Reformirten noch zu Lutherischen, sondern allein zu Christen getauft würden
den 26ten
Das thut uns recht leid, daß ihr lieber Bruder nicht hat den kleinen Umweg über Landsberg nehmen wollen, wir hatten uns schon recht gefreut, ihn bey der Gelegenheit persönlich kennen zu lernen. Recht herzlich lieb ist es mir, daß wir ihn doch wenigstens etwas mehr in unsrer Nähe wissen, und ich denke und hoffe, es werde ihm in Stettin ja wohl noch besser gefallen, als in Westphalen |
Da habe ich eben in der Zeitung von dem Lärm in Wien gelesen, und damit ich nun aus der Gewohnheit des Fragens nicht ganz herauskomme so wünschte ich wohl von Ihnen zu erfahren, ob der französische Gesandte in Berlin auch seine 3farbige Fahne ausgesteckt hat – oder ob es vielleicht nur eine Chicane von jenem in Wien gewesen
Ich hätte noch freilich auch sonst mancherley zu fragen aber jetzt ruft der Wächter, daß ich soll zu Bette gehen.
den 28ten
Ich kann nun zwar nicht sagen, daß ich hier so viele Zerstreuungen und so mancherley Abhaltungen, als Sie in Berlin, gleichwohl habe ich gestern und heute nicht füglich ans Briefschreiben komen können. Gestern schikte mir der Herr Conrector ein paar von den in jetzigen Zeiten leider! so übermäßig häufig erscheinenden Flugschriften: Kamäleon – und Trauerrede auf Friedrich Wilhelm II. über ApostelGeschichte 13, 21.22 welche letztere in meinen Augen ein abscheuliches und für den gemeinen Haufen der alles gierig verschlindenden Lesewelt höchst schädliches Product zu seyn scheint. Obs wirklich verboten sey wie der Conrector versichert, kann ich nicht sagen, aber daß der Schaden dadurch gehindert werde glaube ich noch nicht
Nun muß ich wohl schließen damit der Brief noch auf die Post komme. Viele herzliche Grüße von Mama und unserm Sohne. Bey meinem nächsten Schreiben werden sich wohl unsere BesoldungsQuittungen auch einfinden
Ich bin, wie Sie wissen
Ihr aufrichtig getreuer
St.
Recht viele Empfehlungen an Herrn Sack, Reinhardt und alle, die sich dort noch unser erinnern