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Friedrich von Schlegel to Friedrich Schleiermacher

Freylich habe ichs mit Unger verabredet, daß Du den Shakespeare sollst hohlen können lassen wollen, und ich bin böse, daß Du daran zweifelst. Die Hierarchen halten uns doch immer im Weltlichen für dumme Bestien.
Die Mademoiselle Absicht hat nicht bloß die Absicht, Dir im Großen und Ganzen einen Esel zu bohren, sondern sie thut es von Zeit zu Zeit wirklich im Dreyachteltakt, ungeachtet sie dem unbändigen Witz Deines ersten Briefs sehr gehuldigt. Du hast hier beyläufig das Beyspiel von einem komischen Hintergrund.
Ueber meine Arbeiten habe ich noch nicht viel Witziges gehört, außer daß Hardenberg meynt die Ironie sey in den Fragmenten die Spadille wo|mit immer gestochen würde.
Daß Ihr, Du und die Herz die Treue charakterisiren d. h. anatomisch zerstören und annihiliren und antiquiren wollt, dazu wünsche ich Euch von Herzen Glück.
Göttlich ists aber daß Du am Kant bist. Nur nimm ja den Fichte mit; vielleicht wäre es am besten ihm zu zeigen, daß sein System von Moral und Naturrecht mit dem Kantischen identisch sey, wie ich es dafür halte im Ganzen nämlich. Seiner Mystik der Rechtlichkeit, seinem bis zum Liebenswürdigen rechtlich seyn, kann man dabey leicht Gerechtigkeit und Schonung wiederfahren lassen, da das grade nur individuell und doch nicht eben das höchste ist. Ich glaube | Deine Kritik der Moral, die wenn sie im Ton zu polemisch wird, als eigner Aufsatz, wenn sie aber historisch bleibt, als zweyte Rhapsodie der histonschen Ansichten der Philosophie das Athenäum zieren soll, bedarf gewiß, einer Construction und Constitution der ganzen vollen Menschheit und Moralität im Gegensatz der isolirten Philosophie. Sollte diese am Anfang oder am Schluß am besten thun, oder vertheilt werden müssen? Ich kann Dir nicht sagen, wie ich mich darauf und damit freue. Es ist mein höchster litterarischer Wunsch, eine Moral zu stiften, und im Athenäum durch die | Essays und auch sonst für diesen großen Zweck zu präludiren. Aber ich glaube nicht daß ich kann, ohne Dich; es ist weniger Deine Arbeit deren ich bedarf, als Deiner Befruchtung und auch Deiner Berichtigung. Denn ich kann dieser sehr bedürfen, da ich der Poesie in alle Sackgäßchen des Universums nachlaufen muß, und Fichte nicht so verachten darf, wie Du auf Deinem Standpunkte mußt. Du mußt es, und zwar kann diese sehr begeisterte Verachtung nur absolut seyn; auch muß sie grader sprechen, da die Verachtung des ganzen Menschen nur im Hintergrund lächeln darf; doch wünschte ich sie so leise, so ruhig und so ironisch als eine absolute Verachtung seyn kann. Dies betrifft nur die Form.
Du mußt mich dagegen an der Mitte der Menschheit selbst festhalten, dadurch daß Du | Dich aus Deiner Harmonie erhebst, und Dich herabläßt, aufzustehn. Der Winter, wo ich von dem was wir Welt nennen schon freyer zu seyn hoffe, muß viel Früchte tragen. Ich gestehe Dir, daß alles was Du mir bist, durch diese Theilnahme für mich verdoppelt werden wird.
Der Katechism ist Hardenberg wohl zu hoch gewesen. Mein Meister hat ihm misfallen. Aber die Offenheit liebt er auch, und glaubt mich und Dich unterscheiden zu können.
Jacobi will hervortreten und die neuesten Philosophen warnen, daß sie doch nicht statt des Bissens das Messer verschlucken möchten.
Metadata Concerning Header
  • Date: Anfang bis Mitte Juli 1798
  • Sender: Friedrich von Schlegel ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Dresden · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 2. Briefwechsel 1796‒1798 (Briefe 327‒552). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1988, S. 347‒349.

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