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Friedrich Schleiermacher to Henriette Herz

Berlin den 23ten Juli 98.
Was für eine Beruhigung wäre mirs gewesen, liebe Freundinn, wenn Sie in diesen Tagen hätten hier seyn können. Sie hätten freilich meine Unruhe theilen | und mich viel schimpfen und klagen hören müssen; aber das erspare ich auch meinen Freunden ungern. Denken Sie, ich habe mich wehren müssen, mit Händen und Füßen, um nur ruhig hier gelassen zu werden. Sak’s eilige Botschaft betraf nichts geringeres, als einen Antrag mich als Hofprediger nach Schwedt zu schicken, und er hat sich aus lauter Güte bei einem Refus nicht beruhigt, ich habe ihm heute noch einen zweiten geben müssen. Dohna, denken Sie nur, hat mir ordentlich zugeredet hinzugehn; ist das nicht recht wie er? Ich habe ihm auch gesagt, er könnte ruhig seyn, seine Hände hätte er in Unschuld gewaschen. Bin ich nicht ein rechter Thor mich von einer Sache so recht ordentlich unruhig machen zu lassen, die mit zwei Briefen abgemacht war, und über die ich innerlich so gar keinen Zweifel hatte? Aber es ist nicht anders, es sind mir viele bittre Gedanken durch den Kopf gegangen. Wenn man an so einem bedeutenden Scheidewege steht, auf den man von Außen gezwungen wird zu reflectiren, so kann man nicht vermeiden das Leben mit allen seinen Ungewißheiten zu erblicken. Was kann alles begegnen! Wenn Schlegel Berlin untreu würde, oder gar wenn Sie mich einmal aufgeben könnten, und ich Sie in einem ganz andern Sinn und mit einem ganz andern Blick fragen müßte: warum? Sehn Sie, auch daran hab ich denken | müssen; aber ich habe es doch nicht denken können. Doch nichts mehr von der fatalen Geschichte. Die Aktenstücke will ich Ihnen vorlegen um wenigstens hintennach Ihr Urtheil über meine Vertheidigung einzuziehn.
Daß ich mit aller Unruhe und mit allen Predigten – heute die vierte – noch nicht gar viel habe thun können, werden Sie mir wohl eingestehn müssen. Schlegel will wirklich Anfang September zurükkommen und im August müssen also noch Wunder geschehen.
Ihre Aufträge habe ich ausgerichtet. Nichts, ich versichre Sie, gar nichts ist mir aus dem Gedächtniß gekommen was wir auf unsrer Reise verhandelt haben. Ich genieße noch an jedem schönen Augenblick, den Sie mir gegeben haben; aber bei aller dieser Fähigkeit bin ich doch auch unersättlich, Schlegel mag sagen was er will. Kommen Sie nur: das Leben ist kurz und das Gemüth ist unendlich. [...]
Metadata Concerning Header
  • Date: Montag, 23. Juli 1798
  • Sender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Recipient: Henriette Herz ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 2. Briefwechsel 1796‒1798 (Briefe 327‒552). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1988, S. 358‒359.

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