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Friedrich Schleiermacher to Lotte Schleiermacher

Berlin d 25t. Juli 1798.
Das lange Außenbleiben Deines Briefes, ein Umstand deßen ich so wenig gewohnt bin, hat mir wie Du leicht denken kannst allerlei Besorgniße erregt und ich war eben im Begrif ehe ich verreiste ein kleines Mahnbriefchen an Dich zu erlaßen, als noch zur rechten Zeit Deine liebe, mich auf so eine erfreuliche Art aufklärende Epistel ankam. Du siehst daß ich auch gereist bin aber es war nur die Affaire von einigen Tagen, eine kleine Ausflucht nach Freienwalde von der ich vorigen Freitag zurükgekommen bin. Der Zeitordnung nach habe ich Dir aber erst einige unangenehme Dinge zu erzählen und die mußt Du eben auch mit durchmachen. Am Anfang dieses Monats hat mich Schlegel verlaßen um mit seinem Bruder auf einige Wochen nach Dresden zu gehn wo sie eine verheirathete Schwester haben. Da, wie ich aus Deinem Briefe sehe die preußischen Jahrbücher auch in Deine Gegend kommen und zwar ziemlich bald, so werde ich mein Exemplar von dem schönen Gedicht welches der ältere Schlegel kurz vor ihrer Abreise auf die Huldigungsfeier gemacht hat lieber für Karl aufheben. Aufmerksam will ich Dich hiemit darauf gemacht haben; es ist ein Meisterstük von Versifikation und an Gedanken und Wendungen so reich, wie ich noch kein Gelegenheitsgedicht gesehen habe. Hoffentlich wird es Dir auch gefallen. – Der Strohwittwerstand ist mir nun gar sehr fatal vorgekommen und will mir noch immer nicht schmeken, ob wir uns gleich die lezte Zeit von Schlegels Hierseyn wenig sahen, und uns nun wie zärtliche Eheleute alle [8] Tage schreiben. Dieser Zustand beschleunigte dann eine traurige Entdekung die ich sonst vielleicht später gemacht haben würde. Zwar hatte unser ganzer Zirkel schon darüber geklagt daß ich von Herzen maussade wäre entblößt von aller Munterkeit und allem Wiz; aber nun fühlte ich auf einmal daß ich nicht nur schwerfällig sondern von Herzen krank war. Zu nichts aufgelegt, schläfrig von Morgen bis Abend, matt in allen Gliedern. Dieser Zustand und | besonders die Schläfrigkeit vermehrte sich täglich, Herz rieth mir einen Aderlaß ich sträubte mich aber weil mir 2 Aderläße in Preußen sehr schlecht bekommen sind, und ich blieb bei der Behauptung daß ich überall kein Blut hätte. Ich vermehrte meine Bewegung, mein Wassertrinken, ich änderte meine Diät, alles vergeblich, ich schlief ein beim Studiren, beim Eßen und beinahe im Gehen, und überall in der angenehmsten Gesellschaft. Als es endlich so arg wurde daß ich einen guten Sonntag zwischen der Predigt und der Comunion in der Sakristei ohnerachtet der größten Anstrengung zu wachen dennoch einschlief, rieth mir Herz mit sehr ernster Miene daß ich schleunig Aderlaßen sollte, und so mußte ich mich denn entschließen 8 Unzen Blut wegzulaßen welches von ungewöhnlicher Dike und Schwere war. Das ist mir nun freilich herrlich bekommen und ich befand mich schon nach einigen Stunden weit muntrer, den folgenden Tag aber bekam ich die fürchterlichsten Schmerzen am Arm; ich schleppte mich mit Mühe zur Herz – ihr Mann war denselben Morgen ins Bad gereist – der Chirurgus wurde geholt und als er die Ader, die ganz geheilt zu seyn schien besah und befühlte verfiel ich, der ich einen tüchtigen Puff aushalten kann und nichts weniger als weichlich gegen den Schmerz bin, aus bloßem Schmerz in eine Art von Ohnmacht. Umschläge von glühender Asche, so heiß daß sie Niemand an der Hand leiden konnte, und daß sich die Herz daran verbrannte linderten mir die Schmerzen so weit daß ich noch den Abend nach dem Thiergarten fahren konnte, um meinen Freund Bartoldi aus Stettin zu bewillkommen. Die Ader fing nun ruhig an zu schwären; aber geheilt ist sie noch nicht, ich gehe noch wie ein Armbrüchiger mit aufgeschliztem RokAermel, und kann noch keine starke Bewegung machen ohne ein schmerzhaftes Gefühl zu haben. Doch ist das Kleinigkeit und ich bin froh die fatale Schlafsucht los zu seyn und wieder arbeiten zu können, denn ich habe Schlegel versprochen in seiner Abwesenheit recht fleißig zu seyn. Beiläufig muß ich denn doch ohnerachtet dieser Klagen die Ehre meiner Nerven bei Dir retten. Die sind warlich nicht schwach, und ich glaube der Pächter Martin würde sagen sie wären eine gute Mittelsorte von hanfnen Nerven mit einem unbedeutenden Fädchen Seide vermischt. | Wer sich gar nicht erschrikt, und von Krämpfen nichts weiß, wem der Zug nicht schadet und wer bei ansehnlichen Schmerzen seinen Kopf noch brauchen kann, der ist wol eigentlich nicht schwachnervigt. Nur meine Augennerven haben eine eigenthümliche Schwäche und ob ich gleich seitdem ich hier bin auch über meine Augen weit weniger zu klagen habe, so fürchte ich doch sie werden mir vor der Zeit den Dienst versagen, und mich in 10 Jahren ganz, aber auch ganz, verlaßen. Das beiläufig. Am Huldigungstage, von deßen Feierlichkeiten ich nichts sah weil ich meinen Arm keinem Gedränge aussezen wollte, hatte ich das Vergnügen daß die Herz ihre Sommerwohnung wieder bezog und ich habe seit dem wieder manche schöne Stunde bei ihr zugebracht. Auch meine Reise nach Freienwalde habe ich mit ihr gemacht. Wir hatten einen schönen Tag, waren beide sehr aufgelegt und haben eine schöne Menge interessanter Dinge abgesprochen. Dort wohnte ich in einem Hause wo unten ein verrükter Mensch war, wo ich Abends ein Stümpchen gezogenes Licht auf dem schmuzigsten Küchenleuchter bekam, und wo die Schweine haufenweise bis in die 2te Etage hinauf stiegen und sich vor meiner Thür lagerten. Doch ich war den ganzen Tag mit Herzens und so ging mich mein Logis nichts weiter an. Das Badeleben und die Badegäste habe ich gleich abscheulich und fade gefunden, aber die Gegend ist nächst Potsdam gewiß die schönste die man in dieser armen Mark Brandenburg haben kann; ich fand eine üppige und mannigfache Vegetation dergleichen ich seit meinem Aufenthalt in der Mark nicht gesehen habe ich freute mich den vaterländischen Fleiß wieder zu sehn, und jeder Tag zeichnete sich durch eine Fahrt nach einem interessanten Punkt in der Nähe aus so daß ich nur einmal in schlechtem Wetter auf dem eigentlichen Brunnen war. Meinen Rükweg mußte ich allein machen, die Herz wird mit ihrem Mann erst Morgen zurükkommen. Unterdeß habe ich hier schon wieder eine Fatalität gehabt: Sack hatte vom KirchenDirektorio den Auftrag mich zu fragen ob ich als Hofprediger nach Schwedt gehn sollte, einem angenehmen Städtchen wo die Gemeine nicht unbedeutend, und das Gehalt von der Art ist, daß die Stelle zu den beßeren gehört. Sack war sehr dafür und Du kannst denken daß die Sache mir den Kopf nicht wenig warm machte. Alles wol überlegt habe ich es aber abgelehnt. Denke Dir daß ich dort von so manchem Studio welches ich hier mit Eifer betreibe gänzlich hätte Abschied nehmen müßen | daß meine wissenschaftliche Bildung wegen der Entfernung von allen Hülfsmitteln und dem Mangel an literarischem Umgang ihre Endschaft erreicht hätte, daß ich in ein luxuriöses Städtchen gekommen wäre wo die Geselligkeit in Festen und in Spielen besteht, und daß ich mich von meinen hiesigen Freunden hätte losreißen müßen ohne Andere zu finden – um diesen Preis ein Einkommen von etwa 600 rth zu erkaufen, mit dem man doch eine Familie nur sehr kümmerlich ernähren kann, dazu denke ich ist es im Nothfall in 10 Jahren auch noch Zeit genug. Der gute Hofprediger sah das auf den ersten Blik nicht ein und that mir die Qual an mir noch eine neue Bedenkzeit zu sezen nach welcher ich mich jedoch nicht anders erklären konnte. Noch habe ich mich nicht mit ihm ausreden können und ich fürchte ich werde mich ihm nicht sobald ganz verständlich machen können und er wird meine Ideen mißdeuten. Es ist ein sehr unangenehmes Gefühl einem Manne den man so sehr schäzt und liebt dennoch etwas, was so genau mit dem innersten Menschen zusammenhängt, nicht deutlich machen zu können, und darum hauptsächlich nenne ich diese Geschichte eine Fatalität. – Und nun meine Liebe muß ich auch aufhören zu schreiben aus reinem Respekt für meine Augen.
den 2ten August. Wie mich Dein Herrnhutischer Besuch erfreut hat, Liebe, davon brauche ich Dir wol nicht viel Worte zu machen. Wie gern habe ich mich dabei auch meiner Reise dorthin erinnert (ehe ich von Niesky nach Barby ging) Ich war freilich sehr isolirt da; alle meine Reisegefährten hatten Freunde und Verwandten die Fülle dort und ich keinen Menschen, aber der Ort selbst, und der Anblik der ehrwürdigen Männer von der UnitaetsAeltestenConferenz und die herrliche Gegend haben mir dennoch glükliche Tage gemacht. Auf dem Heinrichsberg war ich täglich, und ich wollte noch einzelne Stellen dort malen wenn ich könnte. Wie kommts aber daß Du nichts vom Hutberge schreibst wo die Asche so vieler merkwürdigen Personen ruht und der durch seine Bestimmung und seine Einrichtung einen so großen und herrlichen Eindruk macht. Hoffentlich bist Du doch da gewesen? Wir reisten dann von Herrnhut aus noch über Zittau nach dem Eubin und es ist schade daß Du diese lachende Landschaft und den merkwürdigen Berg selbst nicht gesehen hast. Doch alle Naturschönheiten sind nichts gegen die Menschen, und wieviel liebe Leute hast Du in Niesky und Herrnhut nicht gesehn. Es ist alles zu wenig was Du sagst und ich möchte alles viel ausführlicher und detaillirter wißen. Wie gern hätte ich noch mehr von Deiner Henriette Arndt gehört, von ihrer Art zu existiren und mit ihren Eleven umzugehn, und wieviel sie deren hat, und was ihr alles mit einander abgesprochen habt. Deine Nachricht von der Struensee hat mir eben keine außerordentliche Freude gemacht. Wie ist es möglich | unter den ordentlichsten Menschen die es giebt unordentlich zu seyn, und bei einem so beschränkten häuslichen Leben kein Talent zur Erziehung zu haben. Die arme Eichmann, die ich vor ein paar Tagen in Charlottenburg besucht habe, hat eben auch kein großes, aber sie hat auch 5 Kinder deren ältestes nur 8 Jahr ist. Es ist freilich mit dem Erziehen eine eigne Sache, ob ich Talent dazu habe weiß ich nicht, meine Schlobittensche Erfahrung reicht nicht hin die Frage zu entscheiden, aber Erfahrung habe ich genug und mache täglich mehr und Lust auch, und es ist mir wirklich bisweilen bange danach daß ich nichts zu erziehn habe. Wenn ich bei Eichmanns oder bei Sacks bin, oder wenn ich der Herz ihre jüngste Schwester und ein paar gute Freundinnen von ihr, gar liebe gute Mädchen aber von 17 Jahren beisammen habe, so erziehe ich immer ein wenig an ihnen, aber das ist alles was ich vor der Hand thun kann. Im Winter habe ich versprochen will ich sie allerlei lehren. Es scheint mir die unnachläßlichste Pflicht eines Jeden Menschen zu seyn Andere zu erziehn, es mögen nun Alte seyn oder Kinder, eigne oder fremde. Ich habe dieser Pflicht noch lange nicht Genüge gethan, und da ich nicht weiß wie es in Zukunft werden wird, so thue ich sehr wol, wenn ich keine Gelegenheit vorbeigehn laße. Manchmal möcht ich mir einreden wenn man Briefe schriebe erzöge man auch an der Welt – nach bestem Wißen, es ist aber nicht wahr, es ist nur ein wunderliches Treiben ohne Leben ohne Anschauung ohne Nuzen. Das predigen ist wol etwas mehr, aber nach der gegenwärtigen Einrichtung doch auch wenig genug. – Doch ich bin ganz von Deiner Reise abgekommen. Daß Du Albertinis nicht gesehn hast thut mir sehr weh; gar zu gern wüßte ich wie er lebt mit seinem Amt und mit seiner Frau, und ob er Kinder hat, und ob er noch an mich denkt. Wie oft erinnere ich mich bei meinen gemeinschaftlichen Lesereien mit Schlegel und mit der Herz an unsre Nieskyschen Studien. Weit auseinander sind wir freilich jezt und aus aller Verbindung; aber wie es im Grunde seines Herzens aussieht, das weiß ich doch noch recht genau, und sein ganzes Wesen kann ich mir wie es jezt seyn muß sehr lebhaft denken. Er möchte seinen alten Pylades mehr verändert finden, wenn wir noch einmal zusammen kämen. Daß Du Schwerdtner gesprochen hast – mag die Aulock immer über dies Attachement lächeln – ist gar herrlich; aber liebe Du hättest seinen Gebrauch nicht auf die Zeit Deines Aufenthalts in Herrnhut einschränken sollen, denn das mußte Dir doch klar seyn daß er Dich in 14 Tagen nicht von Deinem kränklichen Zustande befreien konnte: Du hättest Dir sollen eine ordentliche Cur von ihm verschreiben laßen, um sie in Gnadenfrei weiter zu brauchen, und vor allen Dingen hättest Du Dich auf den Fuß sezen sollen über Deine Gesundheit fleißig mit ihm zu correspondiren. Das, dächte ich, thätest Du noch da Du in Deinem Zutrauen zu ihm so ganz aufs neue bestärkt worden bist – die Gemeinregel kann doch nichts dagegen einwenden daß Du an einen Arzt schreibst? Und übers Jahr mußt Du wieder entweder noch eine längere Ausflucht zu ihm machen oder ins Bad reisen. Du und die Beniken die auch immer kränkelt, ihr müßt beide baden, und ich will es auch so oft wiederholen bis ihr folgt, sollte es auch nur aus Ueberdruß seyn. Die arme Frau leidet immer stark an Krämpfen die sie sehr mitnehmen; eigentlich sollte ich unserer Abrede nach jezt schon in Landsberg [seyn] aber mein College hat mir einen dummen Streich gemacht, und so werde ich wol noch 14 Tage hier bleiben müßen. Gestern ist mir noch dazu ein Brief aus Landsberg ausgeblieben was mich sehr ängstigt |
den 4ten. So eben, meine liebe, komme ich von der sich so nennenden reisenden Dame, die in ihren Briefen über Berlin der jüdischen Frauen so angelegentlich und sonderbar gedenkt; es ist Madam Unger, eine kränkliche, ältliche grämliche Frau, die Berlin gewiß seit vielen Jahren nicht länger als auf einige Tage verlaßen hat. Warum sie so eine eigne Pique gegen die Juden hat weiß ich nicht, sie soll aber in ihr schon sehr alt seyn. Daß junge Gelehrte und Elegants die hiesigen großen jüdischen Häuser fleißig besuchen ist sehr natürlich, denn es sind bei weitem die reichsten bürgerlichen Familien hier, fast die einzigen die ein ofnes Haus halten und bei denen man wegen ihrer ausgebreiteten Verbindungen in allen Ländern Fremde von allen Ständen antrift. Wer also auf eine recht ungenirte Art gute Gesellschaft sehn will läßt sich in solchen Häusern einführen, wo natürlich jeder Mensch von Talenten, wenn es auch nur gesellige Talente sind gern gesehn wird und sich auch gewiß amüsirt weil die jüdischen Frauen – die Männer werden zu früh in den Handel gestürzt – sehr gebildet sind, von allem zu sprechen wißen und gewöhnlich eine oder die andere schöne Kunst in einem hohen Grade besizen. Auch ich würde ein paar von diesen Häusern besuchen wenn ich nicht den Zirkel meiner Bekanntschaften ein für allemal geschloßen hätte, und wenn mich nicht dieses Mißverhältniß zwischen den beiden Geschlechtern abschrekte, bei dem es nur gar zu auffallend ist, daß man nur der Frauen wegen hingeht. Mit Herzens und Veits ist das eine ganz andere Sache. Die ersten sehen zwar auch viele Fremde und es kommt nicht leicht ein merkwürdiger Mensch nach Berlin der sie nicht besuchte und auch hier sind sie in den ausgebreitetsten Verbindungen, aber sie halten doch nicht was man ein ofnes Haus nennt, und ich besonders bin meistentheils en famille bei ihnen und vermeide es große Gesellschaft dort zu sehn weil mir wirklich zu wenig daran liegt. Sie besonders, die Herz, schränkt ihre persönliche Bekantschaft sehr ein, und wenn sie nicht des Mannes wegen müßte, und weil sie einmal eine bekannte Frau ist, so würde sie gewiß nur mit ein paar Menschen leben. Veits aber sind gar nicht in diese Klaße zu sezen und leben sehr eingezogen. In dieser Rüksicht also gehöre ich weder unter die Elegants noch unter die jungen Gelehrten obgleich ich mich in anderer Rüksicht bestrebe zu beiden gerechnet zu werden. Mit Sack habe ich auch dieser Tage eine Herzenserleichterung über meinen jüdischen Umgang gehabt. Er sagte mir offenherzig er hätte auch deswegen gewünscht daß ich nach Schwedt gegangen wäre weil er fürchte meine Art zu existiren möchte meiner Beförderung hier hinderlich seyn und ein paar Jahre Abwesenheit würden das beßer gut machen was sich sonst vielleicht nicht ändern ließe. Er sei, wie ich wiße, nicht pedantisch genug gegen den Umgang mit Juden zu seyn (wie denn auch sein Vater und sein Schwiegervater mit Mendelssohn viel umgegangen sind) aber für diese Bureaux d’Esprit, für den Umgang wie ihn Madame Unger beschriebe habe er doch keinen Sinn und wenn es gar zu bekannt wäre, daß ich so ganz unter diesen Menschen lebte, so müßte das doch auf viele Leute einen nachtheiligen Eindruk machen, und er selbst besorge der Ton den man in solchen Gesellschaften nach und nach annehme würde mir mit der Zeit Gleichgültigkeit und Widerwille gegen mein Amt geben. Ueber den lezten Punkt suchte ich ihn denn zu beruhigen und ihn über das erste eines beßeren zu überzeugen. Was kann einem doch das unbefugte Schreiben über Gegenstände die der Schreiber nicht recht kennt für Noth machen! – Die Lieder aus dem Meister, welche Du wünschest, habe ich schon abgeschrieben hier. Musicirt nur fleißig ihr lieben Lotten und recht schöne Sachen. Nicht alles, wovon Du mir gesagt hast kenne ich; das Matthissonsche nicht, nur die Reichardtschen Kompositionen von | Goethe. Schreibe mir doch ob ihr diese Goethischen Lieder von Reichardt alle habt, oder welche ihr abschriftlich besizt, so kann ich euch entweder die ganze Sammlung schiken oder wenigstens von Zeit zu Zeit eins einlegen. Wenn ich nur wüßte was ihr liebt würde ich keinen Brief Notenleer schiken, meine musikalischen Freundinnen werden mir dazu gern behülflich seyn. Ich gehe jezt öfter als sonst um Musik zu hören ins Theater und habe nur kürzlich zwei gar herrliche Operetten gehört den Axur von Salieri und die beiden kleinen Savoyarden von d’Aleyrac. Bei Gelegenheit des lezten sah ich denn auch in einem kleinen Stük das vorherging unsern Iffland wieder spielen, ein Vergnügen das ich lange nicht genoßen habe und das mich ganz aufs neue ergrif.
den 12ten. Das hätte ich nicht gedacht, Du ärmste, daß Du so bald Deine edle Zimmermann verlieren würdest; im Gegentheil hatte ich viel eben auf ihre Art von Kränklichkeit gerechnet bei der so ein schleuniger Zufall eben gar nicht zu besorgen war. Eine so reife erfahrene Freundin ist ein Kleinod das man zum zweitenmal nicht leicht wiederfindet. Mit ihr hätte es nicht beßer gemacht werden können, eine leichte Auflösung bei soviel Leiden nicht nur – denn die hätte sie noch lange tragen können – aber bei einer wie Du sagst so merklichen Abnahme der geistigen Kraft war die größte Wolthat, die der Himmel ihr erzeigen konnte. Der guten mag es recht willkommen gewesen seyn die Bande abzuwerfen die sie schon lange gedrükt haben. Was Du verlierst davon habe ich einen recht lebhaften Begrif ohnerachtet so vieles unter euch war wovon mir nie eine deutliche Vorstellung gegeben worden ist. Einen Ersaz wirst Du schwerlich finden denn die Freundschaft jüngerer Personen ist doch nie das; aber dennoch halte nur recht fest was Dir bleibt, Du bist noch recht reich an lieben Menschen nahe und fern mit denen Dein Herz in der schönsten Wechselwirkung des Gebens und Nehmens steht. Gieb und nimm in immer reicherem Maaße, und übertrage auf die andern wozu Du dort keinen Raum mehr findest. Ach das ist eine ärmliche Rechnung aber doch das einzige Mittel was uns Armen übrig bleibt! – Ich fürchte mir steht etwas ähnliches bevor; wenn ich diesmal verhältnißmäßig den Onkel so an Leib und Seele herunter finde als im vorigen Jahre, so zweifle ich daß wir ihn lange behalten. Daß Du den Hofprediger so ganz vermeidest finde ich sehr natürlich nach dem was ich von ihren Verhältnißen weiß; wenn Du aber gar nicht die Empfindung hast ihm dennoch ein freundliches Wort schuldig zu seyn so muß es noch übler seyn als ich dachte. Für das Leichen sehen und sich befaßen mit der todten Hülle eines abgeschiedenen Geistes habe ich eben auch keinen Sinn; es ist etwas erschütterndes und man kann doch weder Freude noch Trost davon haben. Irgend eine kleine Reliquie die man bei sich aufbewahren kann ist in meinen Augen etwas viel wertheres und schöneres. Ich | habe von keinem geliebten Todten irgend etwas anderes als Schriftzüge und gewißermaßen sind denn die doch das bedeutendste; sie sind der Abdruk des Geistes selbst – wenn gleich nur in einem flüchtigen Moment doch in einem Sinn in dem es nicht leicht etwas andres seyn kann. Hast Du keine Briefchen von Deiner seligen so dächte ich fodertest Du dem Hofprediger gradezu irgend ein kleines Andenken ab, ich würde das ohne Bedenken thun. Den Aufsaz meine Liebe sollst Du allerdings wieder haben; aber erlaube mir ihn noch bis zum nächsten Briefe. Ich wollte wenigstens noch einmal ihn recht aufmerksam und treu durchlesen, und dazu werde ich in den nächsten paar Tagen – und alsdenn muß dieser Brief fort – wol keine Zeit haben.
den 15ten. In einigen Tagen, ob ich gleich noch nicht bestimmen kann wann seze ich mich auf den Postwagen um nach Landsberg zu reisen wo ich 14 Tage bis 3 Wochen bleiben werde. Ich habe noch einige Fragen aus Deinem vorigen Briefe zu beantworten, das will ich kürzlich thun; alles übrige bis nächstens. Karoline Dohna ist seit den ersten Tagen dieses Monats wirklich verheirathet und bereits in Marienwerder eingezogen wo sie sich, wie man schreibt recht glüklich fühlt – ich will sobald ich zurükkomme einmal an sie schreiben. Die arme Friederike hingegen ist seit dem Frühjahr noch immer ununterbrochen und sehr schmerzhaft krank, obgleich nicht immer bettlägerig. Das beständige Fieber was sie hatte und die immer zunehmende Abmattung verbunden mit der abwechselnden und unzusammenhängenden Behandlung der man sie unterwarf hat uns sogar lange für das Leben des theuren Mädchens besorgt gemacht, und Du kannst denken wie dem armen Alexander und mir zu Muthe war. Jezt beßert es sich posttäglich mit ihr und wir sind voll der besten Hofnung. Ihr Bräutigam ist eine Zeit lang in Finkenstein gewesen, noch immer aber hat sie seine Schwester Aurore bei sich, ihre vertraute Freundin. Von Adolf kann ich also nichts näheres sagen. Alexander hält ihn für einen ganz unbedeutenden Menschen, ich aber kanns nicht glauben. Louis Dohna wird vielleicht künftigen Monat auf ein paar Wochen herkommen worauf ich mich sehr freue. Die Herren von Taubadel kenne ich nicht und ihre Bekanntschaft in Schlobitten ist wahrscheinlich neuer. Daß Du keinen Brief von Carl gefunden hast habe ich gar nicht begreifen können bis ich ihn zu meinem großen Schrek in meinem Sekretair gefunden; es soll mir diesmal nicht wieder so gehn. Rechne es ihm also nicht zu. Vor ein paar Tagen habe ich einen sehr ausführlichen Brief von ihm bekommen er scheint sich fortdauernd in Stettin sehr wol zu befinden. Ehe ich reise schreibe ich auch noch an die Mutter der ich sehr lang Brief schuldig bin[.] Und nun lebe wol mein Licht reicht nicht mehr zum Siegeln welches Morgen früh geschehn soll.
Dein treuer Bruder
Friz
16ten. Eben da ich zumachen will erhalte ich das Paket mit dem Fuhrmann. Tausend Dank vor der Hand, nächstens mehr. Mit den musikalischen Abschriften ist mir ein Unglük begegnet und ich habe in der Geschwindigkeit eine andere selbst machen müßen.
a propos wo sind der Lotte ihre Anmerkungen geblieben? Die wären mir sehr interessant.
Metadata Concerning Header
  • Date: 25. Juli bis 16. August 1798
  • Sender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Recipient: Lotte Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Gnadenfrei ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 2. Briefwechsel 1796‒1798 (Briefe 327‒552). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1988, S. 364‒374.

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