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Lotte Schleiermacher to Friedrich Schleiermacher

Gdfr d 12ten August 1798
Laß mich Dir es mein Lieber recht fühlbar ins Ohr und ins fühlende Herz hineinrufen, daß mich gar sehr nach einem Briefe von Dir verlangt – nicht so wie sonst – ach! es thut so wohl bei der großen Sehnsucht die mein inres seit dem Hinscheiden der unvergeßlichen Zimmermann – so stark fühlt – alle diejenigen die sie schäzten – zu sehn meinen Schmerz mit dem ihren zu vereinen – welches leider unmöglich – doch ein Wesen – welches mir ohnedis so nahe, zu wißen – welches die Edle kante – und doch schriftlich mir ein theilnehmendes Herz öfnen – und meine LeidensEmpfindung zugleich auch meine Freude – diese Frau gekant zu haben – versteht und mit fühlt – so manche in der Näh und Ferne, die auch jezt noch wißen was ihnen die Zimmermann war – könte ich wohl sprechen – oder auch schreiben – aber hier muß ich meiner Vernunft, nicht, meinem Herzen folgen – die gute Baronin Cotwiz hat ihr auch manche Thräne gewidmet – ich könte wohl hingehen* – bin schon Jahr und Tag nicht da gewesen – aber – ich fürchte mich vor diesem Ersehn – heute sah ich zum erstenmahl seit dem trüben 16ten July – den Hofprediger in der Predigt – meine Thränen floßen fast unwilkührlich – gut – daß er mir noch nicht nahe kam. |
den 19ten Augst
Auch der gestrige Posttag ist vorbei – Bruder! nur Krankheit kann dismahl Dich entschuldigen – ich traute es Deinem fühlenden Herzen zu – ja – forderte es gleichsam Du würdest Dich in meine Laage hinein fühlen – und dann wißen – wie nötig und heilsam – mir eine theilnehmende Antwort wäre – Lieber verzeich meiner SchmerzensEmpfindung – aber es hat mich tief gekränkt – keinen Brief von Dir zu erhalten – da Du, der Einzige, der mir drüber schreiben kan – Du hast so vielen Stof – und schweigst! ach die Zeit lindert wohl manches – auch thue ich gewiß in müßigen Stunden alles mögliche um mich zu zerstreuen – sonst – würde es meinen ohnehin geschwächten Cörper zu sehr angreifen.
den 2ten September. Nun habe ich Deinen lieben Brief und muß leider ersehen – daß auch Du krank gewesen, und so lange Dich vor dem Aderlaßen gespert – nun am Ende aber einen schlimen Arm davon getragen, welches mich an die selge Mutter erinert der es auch einmahl so gegangen – Gott gebe, daß es bald ganz beßer wird und nicht etwa die Reise nach Landsberg – es schlimmer mache; ich habe Dir so viel zu sagen daß ich nicht weiß wo ich anfangen soll – drum will ich für jezt nichts sagen – wo wirst Du heute sein? |
den 10ten September
Diesen Brief erhältst Du auf eine ganz eigne Art – eine Schwester aus meiner Stube, die Verwandte in Berlin hat, reist mit Cunows hin – und soll Dir dieses selbst abgeben – da es so sehr schnell geht und ich die Gelegenheit warnehmen wolte must Dich schon mit wenigem begnügen – zu verschiedenen Zeiten haben wir bei einander gewohnt – sie wird Dir ob sie zwar nicht eine Freundin doch manches von mir erzählen können wahrscheinlich bleibt sie den Winter über dort – Goerliz der das Oeconomische der dortigen Societät zu besorgen hat ist ihr Vetter; Cunow, sahe ich vor einigen Tagen bei Peistels wo wir mit einander gespeist – er freute sich Deiner Bekantschaft bei Hofpredigers und hoft Dich zuweilen zu sehn – 9 Jahr war er hier – sein Vortrag hatte mehrentheils Beifall – noch mehr aber seine Art vorzulesen und das harmonische in seinen Singstunden – sein Caracter hat sich in allgemeiner Menschenliebe und Theilnehmen – und friedfertiges Wesen ausgezeichnet – an Lecture hat er viel Geschmak, und in der Unterhaltung ist gesunder Verstand. Sein Weib hat einen Scharfsin – der bei uns selten – sie ist aus Ungern. Wenn Du einmahl mit ihnen zusamenkomst – so schreibe mir bald darüber. |
Es ist mir sehr lieb daß Sack sich mehr unterstanden als ich – er hat Dir aber meines Herzens inerstes dargelegt – auch ich bin seit Deinen lezten Briefen Deines Umgangs wegen in Sorgen, und bin, so sehr ich auch manches Dir unangenehme einsehe, doch im ganzen nicht zufrieden daß Du die angebotne Stelle nicht angenomen – doch es ist nun nicht zu ändern – so wie alles geschehne nicht ungeschehn zu machen. Mein eignes ich wird von so vielen Seiten schon manche Wochen her berührt – daß ich ganze Folianten brauchte – und doch alles das nicht aussprechen könte, um es Dir mitzutheilen. Mit mir selber ist nichts anders das heißt mit meinem Cörper, außer daß ich fast ganz wohl bin – daher mich auch freilich wieder alles mehr interressirt – Du meinst ich hätte außer der – Zimmermann – noch so viele Menschen nah und fern die ich fest halten solte – und ich fühle mich so gar arm an Wesen, wo ich Einklang und Theilnahme finde – ohngeachtet ich gar nicht dran denke der edlen Bewährten Stelle zu ersezen. Vielleicht bin ich in meinem nächsten im Stand, Dir manches Bruchstük zu geben – wie bange wird mir das schlechte Wetter thun – jezt bin ich wenn ich nicht Schulen gebe, welches die Woche nur 10 sind mehrentheils im Garten mit meinem Strikzeug – – ach diese Solos thun mir sehr wohl. |
Du verlangst noch mehr Detaills von meinem Besuch in Sachsen und ich dachte Dir ziemliche Auskunft gegeben zu haben; den herlichen GottesAker aber habe wohl vergeßen – wenn ich dort wohnte, ging ich alle Tage hin – ich möchte sagen, der TotalEindruk [verschmilzt] die einzeln – sowohl was die herliche Aussicht von der Höhe als die ehrwürdge Ordnung in welcher die Todten ruhn – und die Schattigten Bäume, es würde verliehren mehr davon zu sagen – auf dem HeinrichsBerge wäre ich gern öfters gewesen – nur 4 mahl habe ihn besucht meine Schwäche ließ es nicht zu – es sind von dort aus durch einen diken Busch zwischen der Petersbach seit eingen Jahren ganz herliche Spaziergänge bis herüber zu einem andern Berge angelegt – dort ist es recht romantisch wild. – Viele meiner alten und neuen Bekanten glauben ich werde in kurzen bald wieder dort erscheinen – und mit erneuerten Kräften alles benuzen – mir auch ists Wunsch – wie, aber weis ich nicht – ach! es giebt dort so viele feine gebildete Menschen nach deren Umgang ich mich hier oft sehne – mit meiner Arndt habe nur einigemahl gefrühstükt – und in Geselschaft ihrer liebenswürdigen Eleven spazieren gegangen – diese versüßen ihr alles oft peinliche ihrer gebundnen Laage – alles was sie | könen wißen sie von ihr, auch ihre Äußerungen und Urtheile – alles ist, besonders bei der ältesten, Gepräge ihrer Lehrerin und Freundin. Von der Albertini denke ich habe ich erwähnt daß sie eben von ihrer Reise zurükkam und ich einge Stunden in Hernhut sehr freundtschaftlich mit ihr verlebt. Kinder haben sie nicht – möchten wohl auch keine kommen – sie sind sehr vergnügt – und genießen Beide viel Liebe und Achtung – in ihrem Haus war ich in Nisky in allen Winkeln gar allerliebst ist es – recht niedlich und geschmakvoll – ihre Schwester die viel bei ihnen ist führte mich herum.
Louise Luedek die vorgen Winter hier war, habe sehr wenig gesprochen – da sie bei ihrer Schenberg sehr eingeklamert – ich war jedoch auch bei dieser imer sehr verständigen geistvollen Person, mit Louisen machte ich jenen angeführten schönen Spaziergang. Ich muß aufhören von Hernhut. Morgen wird der junge Herbst zum Prediger ordinirt – er war Docent in der Gnadenfeldschen Anstalt – ist zum Prediger daselbst ernant – und hat sich aus Sachsen ein Weibchen geholt die ich aber nicht kenne. Dank herzlichen Dank für die Noten – bitte nim ein andermahl feineres Papier. Gefilde des Todes Gefilde der Ruh, hätte ich auch sehr gern wenn Du mirs schaffen kanst. Lebe wohl – schreibe bald an
Lotten.
bitte die Inlagen bald zu besorgen damit Charles es nicht zu spät bekomt.
*bin auch wirklich am 22ten da gewesen – Beide waren so herzlich wie sonst – Wir erinerten Uns der guten unvergeßlichen Alten. mir that es sehr wohl so viel von der Seeligen Zimmermann mit der Baronin zu sprechen.
Metadata Concerning Header
  • Date: 12. August bis 10. September 1798
  • Sender: Lotte Schleiermacher ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Gnadenfrei ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 2. Briefwechsel 1796‒1798 (Briefe 327‒552). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1988, S. 385‒389.

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