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Lotte Schleiermacher to Friedrich Schleiermacher

Gdfr d 20ten Octbr 1798
Es ist so viel und mancherley seit dem Empfang Deines leztern in meiner Seele vorgegangen – und auch schon vorher wie Du wohl bei Leesung des meinen wirst bemerkt haben – daß mein ganzes inres, so zu sagen verstimt – durch manche Spanungen und Berührungen von nahen und fernen Gegenständen weiß ich nicht recht wie ich eigentlich mit Dir reden – und den lezten Nachrichten zufolge die mich nicht wenig erschrekt, solte ich Dich im beklagenden Ton anreden, da man vor einigen Tagen von einem Feuer sprach welches im IrrHause sehr groß gewesen, doch alle Menschen glüklich gerettet worden – in den Zeitungen die ich pünktlich lese habe nichts davon gefunden – man erzählt es aus den ProvinzialBlättern – und was mich am meisten befremdet schon vom September, welches mir sehr auffallend da vor 14 Tagen Briefe von Cunos und meiner StubenSchwester eingelaufen die nichts davon erwähnen – umsonst habe heute Briefe von Dir erwartet die mich darüber aufklären sollen – ob Du was beträchtliches verlohren oder wohl gar Schaden genomen – vielleicht warst Du auch in Landsberg, welches für Dich zwar gut – aber Deine Habseeligkeiten betreffend sehr schlim – erhalte ich die Woche keine Nachrichten so muß dieser Leser fort, kurz oder lang, mit Bitte mir bald zu schreiben; ob Du nun mit der Schwester gesprochen die ich gebeten Dir meinen Brief selbst zu überreichen mögte ich gern wißen – vorige Woche war Wunster hier der diesen Somer in Berlin war – und Dich wenn er geglaubt Dich zu Hause zu treffen gern besucht, um Dir zu Deiner bevorstehenden Verbindung | mit Hofprediger Sacks seiner Tochter zu gratuliren; er meinte mann hätte während seiner Anwesenheit ganz laut in Berlin davon gesprochen, und wolte sichs durchaus nicht ausreden laßen – als er aber sich besan daß die Stelle in Schwedt schon besezt da wurde er ruhig und sagte Du müßtest wohl Deine guten Gründe gehabt haben die Stelle auszuschlagen – mich verlangt herzlich was aus dem allen noch werden wird – wünsche herzlich Dich bald ganz versorgt zu wißen denn auf dem Posten wirst Du doch nicht imer bleiben. Von Carln höre ich noch weniger – Gott wenn ich doch den guten Jungen noch einmahl sehen könte.
Das Gedicht von Schlegeln habe mit vieler Mühe in die Hände bekomen natürlich auch die Briefe über Berlin; aber das Buch wo einige Fragmente von Deinen philosophischen Gesinungen stehn, habe noch nicht angezeichnet gefunden, dagegen wolte Dich fragen, ob Du folgende Schauspiele gelesen, welche ich schon am Abgang meines leztern beherzigt – und durch meine Pritwiz geliehen bekommen. Die Unglüklichen[,] die Verwandschaften, die Versöhnung – der OpferTodt, alles sehr hübsch in seiner Art – besonders die 2 leztern, welche ich noch oft wieder lesen möchte – ein andermahl mehr von Lectüre |
den 4ten November
Bald nach meiner Unterhaltung mit Dir, wurde ich aus jener Verlegenheit gerißen, da die gütigen Tzirschkys von Schlössel mir sagen ließen, daß das IrHaus ganz auf einer andern Seite Berlins, und ich Deinetwegen ganz ruhig sein könte – die Zeit her hielt mich ein FlußFieber und böser Hals von FederBeschäftigungen ab – diese Woche aber muß diese Epistel fertig – welche die freundliche Bitte mir bald zu schreiben zu Dir bringen soll.
Wir hatten dieser Tage schönes Herbstwetter die ich zu einigen kleinen SpazierGängen benuzte. Am 3ten vorigen Monats war ich an einem wirklich recht stürmischen Tage bei der Aulock – die Pferde waren einmahl bestelt und ich fuhr da ich schon einmahl so manche Schwierigkeiten überwunden hatte; sie spielte mir auf ihrem neuen ganz fürtreflichen Instrument einige schöne Stüke – die ich Dir gern nennen wolte wenn ich sie nicht vergeßen hätte – Leininger sang dazu, Caroline auch und was noch mehr der kleine Ferdinand ihr einziger Junge von 6 Jahren, mein Favorit[;] außer dieser erheiternden Music, umgab mich ein wehmütiges Gefühl an ihrer Seite, welches bei jedem Ersehn ich mehr oder weniger fühle – nicht deswegen daß mein ehemaliges refus mich reut nein – sondern daß ich nicht ohngeachtet des nahgelegnen Ortes öfterer bei ihr sein kann – dazu komt noch – daß sie wieder | neuen mütterlichen Sorgen und Hoffnungen entgegen geht – und selbst wegen der Schwächlichkeit ihres Cörpers öfters muthlos ist! Gott stärke sie – und führe alles herrlich hinaus – sie gab mir Kosegartens Gedichte mit und las mir selbst einiges draus vor – bei meiner Rükkehr fand ich zu meiner nicht geringen Freude – einen Besuch den ich längst schon her gewünscht – die gute edle Hochberg von Fürstenstein – die sich schon einge Stunden hier aufgehalten – unter einer zahlreichen Geselschaft die ich alle nicht kante und mir das Wiedersehen ziemlich steif machte, wenn nicht die zuvorkomende Güte der herzlichen Fürstin mein ganzes ineres gehoben hätte – nur eine Viertelstunde sähe ich sie den Abend – am andern Morgen aber – kam sie früh mit einer Gräfin [Kauer] aus Preußen, nach hier ins Haus, da ich denn die Freude hatte sie noch eine reichliche halbe Stunde zu sprechen; da sie denn mit einem biedern Händedruk mir sagte: jezt am Tage finden Sie wohl die alten GesichtsZüge ihrer Anne wieder? Daß ich viel an Euch Beide dachte, und die Edle auch von Euch sprach versteht sich – auch daß sie Deinen Nahmen in den Zeitungen gelesen – und mir einen Gruß an Dich auftrug sie bat mich wiederholt künftig Frühjahr nach Altwaßer zu körnen und dort den Brunen zu trinken, der mir meines schwachen Magens wegen gewiß gut sein würde – ob es geschehn wird muß die Zeit lehren |
den 16ten November 1798
Alles ist so abgebrochen in unsrer Unterhaltung durch Dein seltnes Schreiben und meine Schwächlichkeit, daß ich in der That nicht weiß was und wo ich anfangen soll; an Gegenständen fehlt es nicht, aber, die Fäden sind abgerißen – und alles so weit herzuholen das kan ich nicht – meine Denkkraft ist geschwächt, die Fühlkraft und Vorstellungskraft dagegen viel zu stark, daß ich nicht dabei leiden solte. Ich weiß nicht ob Dir das warum nun so deutlich – am besten wärs schon wenn Du mein Lieber! mir bald wieder einen Besuch abstatetest – um alles wieder anzuknüpfen aufrichtig ich sehne mich recht sehr nach einer mündlichen Unterredung schon seit geraumer Zeit mit Dir – und wünsche Du ließest mich nicht warten bis 4 Jahr vorbei sind ach es giebt so manche Perioden im menschlichen Leben, da man herzlich verlangt sich gegen seine nächsten Lieben mitzutheilen, und daß wir Uns ungeachtet mancher Verschiedenheit einander recht nahe sind – dis denke ich fühlen wir Beide wohl. Zimerman ist vor 14 Tagen nach Posen gegangen wo er bei seinem Schwager leben wird – auch seine Stiefmutter lebt dort – eine Frau die er vor der Verheiratung mit seinem Vater am liebsten selbst gewolt hätte – sie ist Witwe – hier hat er sich mit seinem abscheulichen Geize noch recht blamirt alles so wie die Seelige es voraus gesagt, mir hat er auf Fürbitte Andrer eine Art von Nähküßen von der mir unvergeßlichen Zimmermann geschikt – beßer als Nichts aber mir doch lange nicht so lieb als die Schürze die ich ihr einstens zuließ – oder Noten von denen sie mir sagte daß ich sie alle nach ihrem Tode haben solte – – o! hätte ich nur die Trio erhalten die mich so lebhaft an meine musicalischen Stunden mit der guten Schneidern erinert hätten – solche kleine Anstöße und Regungen an alte Zeiten liebe ich so herzlich – da hätte ich sie gar doppelt gehabt |
Daß Du die Mollendorf damals nicht aufgesucht und Bahr nicht gesprochen ist mir recht leid ich hatte das lange nicht vergeßen können – so gehts. Die Vorstellung von solchen Begegnißen macht mich schon im Traum so glüklich – daß wahrscheinlich die Wirklichkeit nicht nötig – oder mich bei meiner jezigen Reizbarkeit so abspannen würde daß für mich das gewöhnliche Gleis am Besten – vorgestern habe so etwas ähnliches empfunden – da die guten Hausleutners die ich beinahe 2 Jahre nicht gesehen mich in meiner Stube so überraschten – daß sie selbst mein schwaches Nervensistem bemerkten – Beide laßen Dich grüßen – der liebe Gott hat ihnen alle ihre Kinder eins nach dem Andern, da sie kaum durch schuldloses Lächeln die zärtliche sorgsame Mutter lohnen konten und dem Vater, dem wegen der Schwächlichkeit seines Weibes fast bange war, frohen Muth einflößten – 3 waren es an der Zahl.
Die Pritwizen meint Du schriebest jezt so selten, das gute Weib! ihr Moriz macht uns viel Freude so selten ich ihn sehe – so herzlich nent er mich seine Otte, er schwäzt nun alles ganz drollig nach – und zeigt manche herrliche Anlage seines Geistes und Verstandes. Bitte schreib mir recht bald nach Empfang dieses – auch von der Feier des 21ten an welchem ich viel bei Dir bin, und schon öfters Dich deshalb, dem empfohlen der die Liebe! da Er uns schuf – aus Liebe uns erlöste – und jezt noch mit lauter Liebe uns hebt und trägt – – Er gieße seine Liebe immer völliger in unsre Herzen – dan trägt auch gewiß die kranken Stunden mit kindlicher Ergebenheit Deine Lotte.
Bitte besorge die Inlage bald – und schreibe so bald als möglich – auch von Carln
Das Schreiben greift mich so an – daß ich nicht so kurz mich faßen kan und so hastig schreibe
Metadata Concerning Header
  • Date: 20. Oktober bis 16. November 1798
  • Sender: Lotte Schleiermacher ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Gnadenfrei ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 2. Briefwechsel 1796‒1798 (Briefe 327‒552). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1988, S. 425‒429.

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