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Lotte Schleiermacher to Friedrich Schleiermacher

Gdfr d 28ten Dcbr 1798
Mit unsern Briefen ist es diesesmahl recht sonderbar gegangen als ich meinen lezten eben abgeschikt hatte, und er den ersten Tag unterwegens war erhielt ich Deinen vorlezten und nun habe ich schon wieder einen, auf welche ich mit dieser guten Gelegenheit antworte, da die Schlösler ihr Tochter besuchen, ich hoffe Du wirst nicht ermangeln ihnen aufzuwarten da sie sich jederzeit so freundtschaftlich gegen uns beweisen. Recht herzlichen Dank sagt Dir mein ganzes inres für alle darin gegebne Nachrichten – von so manchen Lieben Leuten die mir durch Dich imer interressant bleiben – Gott gebe daß sich Comtesse Friderique bald ganz erholt, und das Glük in stiller Ruhe und sanfter Heiterkeit genieße, zu dem sie ihrer eigenthümlichen Bedürfniße des Geistes und Sinnes nach fähig – ich schäze sie aufrichtig – ob sie durch die nähere Verbindung mit Dönenhof von ihrer Schwägern getrent wird, möchte ich gern wißen – daß Caroline sich in die Entfernung von den Ihren nicht finden kann, glaube ich gern. |
Dein vorlezter betrift nächst dem Aufenthalt des Grafen Louis in Berlin der für Dich Freuden brachte in die ich mich nach meiner Art zu empfinden ganz und gerne hinein denken kann, eine Art von stiller lohnender Zufriedenheit muß bei dem Anblike des jungen Mannes – und sanfte zarte dankbare Rükerinrungen bei seinen Erzählungen Dich ergriffen haben – – auch Deinen Besuch in Landsberg; der Dich wieder von manchen Seiten sonderbar berührte – der Kranken ihre Zufälle haben mit der Zimmermann ihren viel ähnliches – das Dasein aber des Doctors*1 scheint mir damals für sie viel zu angreifend gewesen zu sein – hierin bin ich von je her der Zimmermann ihrer Meinung auch ohne sie zu kennen gewesen; In solchen Umständen Menschen um sich zu haben die sich so sehr für uns interressiren – und mit unsern engen Verhältnißen so ganz bekant sind, ist so wohltätig es auch scheint dem Leidenden nicht gut: kann sein Du verstehst mich nicht – auch ist mirs viel zu delicat alles das zu berühren wozu ich mich gleichsam durch Deine wiederholte Aufforderung Dir alle meine Besorgniße zu sagen – genötigt sehe. | Du begehrst Aufrichtigkeit – ich werde Dir also alles sagen wie ichs in meinem tiefsten innersten empfinde, weil ich es fühle daß Dir daran gelegen; Du wirst Dich gewiß erinnern daß ich gleich bei Deiner Bekantschaft mit der Cousine vor 8 Jahren, um Dich besorgt war – und es Dir wiederholt zu verstehen gab – auch bei Deinem Besuch alhier – unter dem Nahmen Verwandtschaft wurde Dir das zur geringen Kleinigkeit und doch gestandest Du, daß diese inigen Verständniße, ohne, und mit Verwandtschaft dieselben – nachher wurde in Schlobitten ein neues Band iniger Theilnahme geknüpft — da man als Freund Dir kleine Anmaßungen vergönte, die am Ende Dich, hie, und da, in mißliche Verhältniße, wenn auch nur auf Augenblike brachte, ein gewißer magischer Geist regirte dort Deine Thatkraft, und fremde noch nie gehabte Berührungen – versezten Dich in frohe oder schwermütige Gefühle – nicht so! Deinem eignen Geständniße hierüber kanst Du nicht wiedersprechen – in Berlin finden sich wieder andre Gegenstände, die, verbunden, mit dem Reiz der feinsten Belesenheit, und Menschenkentniß, zugleich, mit den Feßeln der schönsten körperlichen Bildung – einer Anmuth, die von innen heraus | oft unwilkührlich, so erstaunend anzieht und das Wesen des andern, gleichsam, in das seine versezt – Bruder! ich rede sehr deutlich – aber lege mirs nicht anders aus – Du sprichst daß nichts leidenschaftliches hiebei – ich will es glauben – obschon Du Dir in Deinem eignen Briefe auch darüber wiedersprichst – es sei – nur das was ich dabei zu sagen habe ist: Schon bei Deinem langen aufbleiben mit der Beneke sagte ich Dir mündlich meine Meinung nun, nim, daß wenn ich auch nur vom Schein rede, den man doch als Prediger gewiß sich zu erhalten nötig hat – daß Herz keine Verwandtin ist – und daß Du nicht nur ganze Stunden mit Ihr allein sondern auch bei ihr wachst – das ist zu viel! will aber nichts weiter sagen, als daß Du in dergleichen Situationen, Dich heruntersezt von der Würde die einem Manne so wohl steht! Dein eignes freiwilliges leztes Bekentniß von der Grounen, überzeugt Dich, daß auch Du nicht leidenschaftlos – welches auch schon in andern kleinen Vorfällen erweißlich – hast also wie Andre nötig über Dich zu wachen – denke nur daß Du Mensch – und es mit schwachen Geschöpfen zu thun hast – mit Weibern, die wie | Du selbst sagst, nicht imer ganz harmonisch mit ihren Manern leben – O! das ist ein gefährlicher Standt! und mit eigner Zartheit zu behandeln; ich rede nicht von der Veit – ich bin auch noch in der Welt mein Bester wo ich sehe und fühle wie sichs zwischen 2 nicht ganz harmonischen Wesen lebt, wenn auch nicht in solchen engen Verhältnißen mich befinde – ich rede auch nicht von dem schreklichen Fall womit eine affaire d’amour sich öfters tragisch endigt – o! weit entfernt – nur von den subtilen Attituden, die eins oder das andre verrathen, und ihrer Würde berauben – kurz von dem was man sich selbst und Andern schuldig – wozu auch diejenigen gehören die gewißer maßen, wohl scharfe aber auch heilsame Beobachter unsrer kleinsten Handlungen und Winke sein. Dis alles – und noch mehrere Gegenstände ja ganze Familien die Du mir genant – haben so ganz und gar Dir ihr Vertrauen geschenkt – (wovon auch ich in meinem Grade weis) Dein Herz und Kopf ist so damit erfült daß – alle zu befriedigen – und zu helfen wo Du kanst ohne jemand weh zu thun – Dir gar manche Zeit die Du dem heilsamen Nachdenken über Dich – und Deinen hohen Beruf als Verkündiger des Willens Gottes an die Menschen – noch dazu an die gesunknen gedrükten [widmen solltest], unfehlbar rauben muß – nim mir das nicht übel – ich weiß es aus Erfahrung – wenn man sich für so vieles interressirt aus wahrer | Theilnahme, mit seiner lebhaften EinbildungsKraft wirkt – und seiner Phantasie so manchen Schwung erlaubt – freilich auch je zuweilen nuzt durch guten Rath – dennoch aber, mehr verliehrt – da es nicht fehlt daß bei aller Menschenkentniß die man dabei samlet – doch manches in uns, was man Eigenliebe, Selbstgefälligkeit – Geringschäzung Anderer [nennt] – aufgeregt wird – und wir gewiß ohne alle die durch Mittheilungen Andrer – genug Anlaß haben, in unser inres zu bliken – und den Abgrund in den wir gerathen könen, leider täglich vor uns haben! auch ich bin manche Zeiten hindurch so glüklich oder unglüklich Mittheilungen mancher Art zu hören – wo ich aber nicht wirklich helfen kann – weise ich es nach dem Rath und Bitte meiner unvergeßlichen Zimmermann bescheiden ab – ach! wie unauslöschlich sind mir ihre dringende Worte – „O Lotte, geben Sie sich selbst immer mehr wieder, auch ich muste mit Gewalt mich losreißen von so vieler Theilnahme, um mehr auf mich und meinen Schöpfer und Erlöser zu sehn – ach je mehr Verwikelungen mit Menschen und ihren Begebenheiten je feinere Aufregungen des in Uns nicht Guten – – was wir aus einem Schein der edlen Aufopferung für Andre | lange in uns herumtragen – und uns von dem großen Ziel desto mehr entfernen.“ Siehe da! wie ich mich verweilt habe – und doch bin ich noch nicht fertig; Wenn Du auch mein Lieber! wie Du selber sagst in der großen dem Menschen angelegensten Sache, von mir unterschieden, wie sichs denn in unsern mündlichen Unterredungen erwiesen hat, und ich Dich auch gewiß nicht überreden will, das wieder zu ergreifen, was Dir einmahl so annehmenwerth war, so liegt mir doch alles an Deiner wahren innern Ruhe deren Du aber jezt schon lange nicht genießest – an der pünktlichen Erfüllung Deiner Pflichten, so viel an Dir ist, und Vermeidung alles deßen was Dich daran hindert – aber leider ergreifst Du alles nur zu behende was Dich wieder außer Dich selbst in etwas andres führet – o lieber Bruder! gib einmahl recht unpartheiisch auf Dich acht wie Du selbst meinst daß Du noch viel in Deinem Herzen zu erbliken hast, und Du wirst finden daß Du gewiß nicht der fromme und durch das Geräusch der Welt abgesonderte Mann bist – sondern, daß Du eine eigne Welt in Dir herumträgst und diejenigen die Deinen Umgang suchen ganz befriedigst – also nichts aufopferst nichts verläugnest | als daß Du das nicht mitmachst was für Dich keinen Reiz hat. O! mein Bruder vielleicht komt noch eine Zeit, wo Du durch mancherlei gedrungen, Dich umsiehst nach Dem – der allein helfen kan – Ihn um Vergebung anflehst den Du mit Deinem ganzen Wandel, und innern*2 Verachtung seiner (für uns sonst ewig verlohrne Creatur) freiwilligen Hingabe – so schmerzlich betrübst – ich denke Deiner oft in dieser Hinsicht – und habe es auch in diesen Feiertagen mit Herzlicher Zuversicht gethan. Mein ganzes Herz das Dich so zärtlich liebt und gewiß in jedem Betracht nur Dein wahres Glük zu dem Du geschaffen aufrichtig wünscht – hoft, daß Du diese treugemeinte Äußerungen die Du gleichsam mir abfordertest – eben so herzlich aufnehmen wirst.
Was die Gräfin Hochberg betrift – so war es wahrscheinlich mein flüchtiges Schreiben was Dich zu dem Nichtdabeisein des Herrn bewog er hat viel Gutmütigkeit in seiner Phisiognomie – ich glaube sie sind recht vergnügt zusammen. Altwaßer ist nur eine kleine Meile von ihnen – nur einen Sohn | hatte die Gute, vor 2 Jahren, der einige Stunden, nachher starb. Prinz Henri steht in Glaz – Cristian Friedrich – glaube ich in Pleß bei die Husaren – und der kleine Louis ist beim Oncle in Stolberg – die Fürstinn hat einen kleinen armen OffizierSohn deßen Mutter gestorben zu sich genomen – der sehr gut erzogen wird, sie sagte mir das bei Gelegenheit da sie Spielzeug für ihn kaufte; vorige Woche schrieb ich das erstemahl nach unserm Ersehen an sie – – – wie es mit Altwaßer werden wird weis ich nicht, da man dort für sich sorgen muß, aus dem Gasthof ist es erschreklich theuer – ich wünsche auch nur 14 Tage dort zu sein, einige Tage in Fuerstenstein zuzubringen – und den Brunnen zu trinken – wie das eingerichtet werden könne, muß die Zeit lehren – – ich wünsche mir dis, und manches andre mit der Stille des Geistes und kindlicher Zuversicht zu erwarten die der große MenschenErzieher so gern bei seinen Kindern sieht. Für die Beschreibung der Feyer des 21ten Novembers | danke ich Dir noch herzlich, ich hatte an dem Tage einen sehr vergnügten Nachmittag mit einer Dir unbekanten Person, und einen eben so traulichen Abend – in Geselschaft 3er Schwestern die von meinem ersten Hiersein an vielen Theil an mir genommen die 4te war Julchen Marchen – die auch Deiner dachte.
Die Entschlüße – das in Dir liegende Gute weiter zu bilden, alles so viel wie möglich mit der Lebhaftigkeit der Jugend zu empfinden und Dir dazu Gottes Gnade zu erbitten – haben mich recht gefreut, aber noch einmahl bitte, hab Achtung auf Dich selbst – und suche den liebevollen Hirten – oder laße Dich vielmehr von ihm finden, der mit so unbeschreiblicher Treue uns nachgeht – durch eigne Schiksaale und Andrer Begebenheiten uns wekt – und sich uns so gern als Liebe und Barmherzigkeit offenbahrt – so bald wir es nur leise fühlen dis Bedürfniß. Das heißt eine Epistel. Die Pritwiz grüßt Dich – ihr Moriz macht uns viel Freude einige Soldaten und Pferde die ich ihm vorgestern bei einer Erleuchtung überreichte, machten ihm ohngeachtet aller andern und schönern Spielsachen viel Vergnügen – dis und die zarte Dankbarkeit der Mutter erhöhte das frohe Gefühl Deiner
Lotte.
Aus eigner Erfahrung weis ich, daß Du nun nicht auf einmahl abbrechen kanst – solst auch nicht – aber mein herzliches warnen – nur nicht verwerfen – ich meine es gut
Scheuerls Stelle – ist durch Bruder Bothe besezt der ehemals zu Gnadenfeld – und kürzlich in Gnadenberg war – und Cunows – durch Bruder Schneider – der zulezt in Zeist – und vorher in Neudietendorf war | daß er Carln in Nisky Stunden gegeben, sagte er mir als er im Corhause herum geführt wurde.
Wan werde ich nur was eigenhändiges von Charles erhalten – für die Arie danke recht schön
*1 weiß wohl daß es nicht anders sein konte
*2 auch ich habe diese Erfahrung gemacht und wohl mir daß ich seine Huld | kenne, die täglich bereit mir den Eindruk seines Opfers für mich zu erneuern, denn ich brauche sein Vergeben täglich
Metadata Concerning Header
  • Date: Freitag, 28. Dezember 1798
  • Sender: Lotte Schleiermacher ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Gnadenfrei ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 2. Briefwechsel 1796‒1798 (Briefe 327‒552). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1988, S. 444‒449.

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