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Friedrich Schleiermacher to Henriette Herz

Potsdam den 15ten Febr. 1799.
Nichts ist geworden aus den Briefen, die ich gestern noch | schreiben wollte. Die Bamberger hatte noch ein geistliches Paar zum Abendbrodt gebeten, vorher trank ich Thee mit ihr und den Abend war ich herzlich müde, auch war ich noch nicht in Besitz von Feder und Tinte, welches ich wie Sie sehen eigentlich auch noch nicht habe. Nicht einmal auspacken konnte ich gestern weil ich die KofferSchlüssel entweder vergessen oder verloren hatte – kurz ich habe noch nichts gethan. Ich hoffe aber wenn ich mich erst mit den Tischen und Stühlen werde befreundet haben mit denen ich mich jetzt noch herumkomplimentire, wobei es im stummen Spiel viel schiefe Gesichter giebt, so wird die Religion, die doch schon vor mir auf dem Tische liegt an dem Glockenspiel einen treuen Alliirten haben; und Sie liebe Freundinn, Sie wissen daß Sie keinen brauchen. Ich will nur mit keiner Elegie anfangen; aber ob ich gleich noch wüste bin fühle ich doch schon wie jämmerlich mir zu Muthe seyn wird – elegisch kann ich gar nicht sagen denn das poetische wird ganz darin fehlen. Noch habe ich nicht einmal Lust zu einem Menschen zu gehen und ich glaube daß ich in den ersten Tagen weder zu Rönne noch zu Massenbach kommen werde, ohne deßhalb fleißiger zu seyn. [...] Ich habe nicht eher weiterschreiben wollen bis ich alles wenigstens durchprobirt hätte: ich habe | einen Dialog im Plato gelesen, ich habe ein kleines Stück Religion gemacht, ich habe Briefe geschrieben kurz ich habe alles versucht außer die gute Lebensart, und was soll ich mit der ohne Gesellschaft? aber es geht alles nur sehr mittelmäßig. Vielleicht geht’s morgen besser wenn ich ein Federmesser habe und mir die Feder nach meiner Hand schneiden kann. Ach liebe Jette thun Sie Gutes an mir und schreiben Sir mir fleißig, das muß mein Leben erhalten, welches schlechterdings in der Einsamkeit nicht gedeihen kann. Warlich ich bin das allerabhängigste und unselbstständigste Wesen auf der Erde ich zweifle sogar ob ich ein Individuum bin. Ich strecke alle meine Wurzeln und Blätter aus nach Liebe, ich muß sie unmittelbar berühren und wenn ich sie nicht in vollen Zügen in mich schlürfen kann, bin ich gleich trocken und welk: das ist meine innerste Natur es giebt kein Mittel dagegen und ich möchte auch keins. In Landsberg war ich zwar weiter von Ihnen, aber was hilft mir der Raum, ich war doch nicht so verkommen und lebte in einem bessern Klima. Mein letzter Gedanke, als Sie mir Lebewol sagten und mir mit wenig Worten ein so inniges Gefühl Ihrer Freundschaft gaben war „daß das Wegreisen doch auch etwas schönes sey“; es war sehr frevelhaft, aber doch auch sehr religiös – ja wenn man | nur nicht fortbliebe! – Doch ich will Sie nicht weichmüthig machen, Sie werden meiner doch genug denken. [...] Vergessen Sie nicht mich in jedem Brief um die Religion zu mahnen damit sie mir nicht in’s Stocken geräth. Berichten will ich Ihnen treulich wie weit ich bin; aber Handschrift schicke ich wol nicht eher bis ich die zweite Rede zu Ende schicken kann; ich habe bemerkt daß es der Religion nicht bekommt wenn ich gar zu kleine Portionen ins Reine schreibe.
Metadata Concerning Header
  • Date: Freitag, 15. Februar 1799
  • Sender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Recipient: Henriette Herz ·
  • Place of Dispatch: Potsdam · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 3. Briefwechsel 1799‒1800 (Briefe 553‒849). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1992, S. 9‒11.

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