Potsdam den 25 Febr. 99.
[...] Wer kann sich das schönste und beste des Lebens so flüchtig und ganz außer unserm Willen denken! Wofür wäre der Mensch Herr der Erde wenn er nicht seyn könnte wo er wollte. Warum wird denn Alexander auf seinen Gütern leben müssen, und warum werde ich denn wer weiß wo sein? ich der ich ja diesen Augenblick zurückkommen könnte, und gar nicht aus Berlin zu weichen brauche mein Lebelang wenn ich nicht will. Und warum sehn Sie mit solcher Besorgniß auf Ihre Schwester? Ich bitte Sie liebe, lassen Sie uns nicht so auf das sehen was begegnen wird oder kann, sondern sorgen daß wir uns alle so hoch heben und halten als es geht; damit wir das alles recht klein sehen. Wenn nun Ihre Schwestern nicht heirathen – ich werde auch nicht; wir sind alle Opfer unsrer Zeit und das ist jeder Mensch in irgend einem Sinn; wenn wir nur leben und sind und lieben laß sie Kinder pflegen und mich predigen und alles gehn | wie es will, das Eine ist die Hauptsache. Sie wissen daß ich etwas leisten kann in der Wemuth und ich wollte nur Sie hätten sich in Ihrem leidenden Gefühl bis zu ihr erhoben so wäre Ihnen das andre wieder verschwunden. Nur um Gotteswillen geben Sie für sich nicht diesen Gedanken an Trennung und Einsamkeit Raum, und denken Sie daß der Wille auch etwas ist in der Welt. Vergleichen Sie einmal ob ich irgend weniger unglücklich wäre, wenn ich wer weiß wo sein müßte[.] Was sollte aus mir werden? aus mir der ich mich nicht einmal von der kleinlichen Liebe gleichgültiger Menschen nähren könnte? der ich schon an einer Probe von wenigen Tagen sehe wie ich zusammenfalle wenn es mir an der wahren und einzigen Nahrung meines Geistes fehlt dem es ganz an der beharrlichen Thätigkeit fehlt womit Sie immer den Kummer und Jammer noch glücklich genug bestreiten würden. Aber ich fürchte das nicht weil ichs nicht brauche kommen zu lassen – und sterben Sie mir: nun dann werde ich mich nicht leiblich aber geistig tödten, ich werde so fortleben ohne Ich zu sein und meine Grabschrift wird auf meiner Stirne stehn. Mit Ihrer Ansicht von der Veit haben Sie freilich Recht mit ihr und Schlegel würden Sie nicht leben können – aber war nicht jede andre Ansicht nur ein langer Irrthum? Könnten Sie das nicht wissen daß ihr Leben nicht so ruhig neben dem Ihrigen hinfließen würde daß sich beide am Ende vermischen könnten? Darauf müssen Sie sich freilich bereiten aber sehen Sie es nur recht an so wird auch das kein drückendes und | störendes Gefühl erregen. Ihre Liebe zur Veit gleicht auch darin deren Leben daß so wenig Einheit in ihr ist wie in einer wahren Person; sie hat unmerklich alle ihre Züge geändert und es kommt nur darauf an daß Sie sich dessen bewußt werden so werden Sie sie doch immer wieder erkennen. Bewahren Sie das Bild ihres kindlichen Alters in Ihrem schönen Herzen, aber lassen Sie sie sich auch so gefallen wie sie jetzt ist mit einem andern Charakter und mit den Spuren der Zeit und der Begebenheiten. – Wie hat Alexander Sie können so in den Trübsinn hineingerathen lassen? Daß ich die erste Ursach dazu bin, ist mir freilich nur gar zu klar – möchten nur alle gute Nachrichten, die ich Ihnen habe geben können Sie eben so schnell wieder aufheitern.
Die Schlabrendorf macht auch einen eignen Punkt in Ihrem Briefe, mich wundert nur daß das Reden von ihr Ihrer Stimmung nicht eine etwas andre Richtung gegeben hat übers individuelle hinaus ins allgemeine hin. Aber für eine ächte Jüngerinn des Helvetius habe ich sie immer gehalten. Glauben Sie nur nicht daß sie Sie lieber hat als Sie sie – denn was nennen Sie liebhaben, sie hat eigentlich nichts lieb und niemand. Ich glaube gern daß Menschen wirklich lieben können, die dieses System haben, praktisch nemlich; aber in wem es so zur Reflexion gekommen ist wie in ihr – denn sie ist doch ganz aus Reflexion zusammengesetzt – der kann nicht mehr lieben; denn er fängt immer beim Ich an und endigt auch beim Ich. Jenen Abend verrieth sie ihr System | schon sehr deutlich durch das gänzliche Gleichsetzen jeder Art des Genusses. Übrigens aber, liebe Freundinn lassen Sie sich das in gleichgültige Menschen zerstreute Analogon von Liebe gegen Sie immer wolgefallen; denn in unsre, die ganz andrer Art ist, läßt sie sich doch nicht verschmelzen. Ich mag das in der Welt nicht wissen, es ist ein Aufbrausen, welches beweiset daß die Austerschalen trotz ihrer Härte und Glätte doch auch Kalkerde sind, Kitt, womit das schönste und größte zusammengefügt werden kann und durch dieses Aufbrausen werden sie wirklich zubereitet es zu werden. Auch giebt es ein eigenes Gefühl von Gegenliebe für diese Menschen was ich denn doch auch nicht entbehren mögte.
Sie sehen, ich sehe alles mit Religion an, aber ich schreibe noch keine, wie wird das werden! Werde ich auch Ungern Wort halten? die dritte Rede liegt mir noch gar nicht fertig im Kopf es fehlt mir noch eine Inspiration und ehe die nicht kommt kann ich nichts anfangen. So etwas läßt aber manchmal lange auf sich warten. Wüßte ich doch wie Wilhelm Schlegel es immer macht de se battre les flancs wenn’s Noth thut, ich thäte es ihm gern nach. Von Friedrich habe ich noch immer keine Zeile was mich sehr beunruhigt.
Von Furcht und Hoffnung sage ich Ihnen nichts; ich habe keine als Sie. Möchte ich Sie bald in einer ruhigen Stimmung wissen ohne irgend einen Mißlaut. Wie gepeinigt werde ich Freitag in dem Zehlendorf sein, und doch kann ich nicht die andre Hälfte auch machen weil ich Sonnabend hier nicht fehlen darf. Es ist freilich nur ein optischer Betrug, daß ich Ihnen dann näher wäre; aber es quält mich doch. Was macht das Griechische? ich lege es Ihnen recht ans Herz. |
Dienstag früh. So gut wird mir’s jetzt gar nicht mehr einen Brief von Ihnen des Morgens zu bekommen, was mich so sehr aufheiterte. Ich glaube es ist die Faulheit der Briefträger denen es ein Paarmal begegnet ist mir Vor- und Nachmittags Briefe bringen zu müssen und die nun einen Weg sparen wollen, das ist mir höchst fatal. – Über die beste Ehe hatte ich noch ein Wörtchen mit Ihnen zu reden. Warum sollen nicht Liebende und solche wie K und die Fr auch animaux d’habitude sein dürfen? Der Beispiele hat man ja mehrere, aber eine gute Ehe läßt sich aus solchen Ingredienzen nicht zusammensetzen. Adieu meine liebe, lassen Sie bald von sich hören und besseres. Versammeln Sie alles um sich was Sie heiter und ruhig machen kann.
[...] Wer kann sich das schönste und beste des Lebens so flüchtig und ganz außer unserm Willen denken! Wofür wäre der Mensch Herr der Erde wenn er nicht seyn könnte wo er wollte. Warum wird denn Alexander auf seinen Gütern leben müssen, und warum werde ich denn wer weiß wo sein? ich der ich ja diesen Augenblick zurückkommen könnte, und gar nicht aus Berlin zu weichen brauche mein Lebelang wenn ich nicht will. Und warum sehn Sie mit solcher Besorgniß auf Ihre Schwester? Ich bitte Sie liebe, lassen Sie uns nicht so auf das sehen was begegnen wird oder kann, sondern sorgen daß wir uns alle so hoch heben und halten als es geht; damit wir das alles recht klein sehen. Wenn nun Ihre Schwestern nicht heirathen – ich werde auch nicht; wir sind alle Opfer unsrer Zeit und das ist jeder Mensch in irgend einem Sinn; wenn wir nur leben und sind und lieben laß sie Kinder pflegen und mich predigen und alles gehn | wie es will, das Eine ist die Hauptsache. Sie wissen daß ich etwas leisten kann in der Wemuth und ich wollte nur Sie hätten sich in Ihrem leidenden Gefühl bis zu ihr erhoben so wäre Ihnen das andre wieder verschwunden. Nur um Gotteswillen geben Sie für sich nicht diesen Gedanken an Trennung und Einsamkeit Raum, und denken Sie daß der Wille auch etwas ist in der Welt. Vergleichen Sie einmal ob ich irgend weniger unglücklich wäre, wenn ich wer weiß wo sein müßte[.] Was sollte aus mir werden? aus mir der ich mich nicht einmal von der kleinlichen Liebe gleichgültiger Menschen nähren könnte? der ich schon an einer Probe von wenigen Tagen sehe wie ich zusammenfalle wenn es mir an der wahren und einzigen Nahrung meines Geistes fehlt dem es ganz an der beharrlichen Thätigkeit fehlt womit Sie immer den Kummer und Jammer noch glücklich genug bestreiten würden. Aber ich fürchte das nicht weil ichs nicht brauche kommen zu lassen – und sterben Sie mir: nun dann werde ich mich nicht leiblich aber geistig tödten, ich werde so fortleben ohne Ich zu sein und meine Grabschrift wird auf meiner Stirne stehn. Mit Ihrer Ansicht von der Veit haben Sie freilich Recht mit ihr und Schlegel würden Sie nicht leben können – aber war nicht jede andre Ansicht nur ein langer Irrthum? Könnten Sie das nicht wissen daß ihr Leben nicht so ruhig neben dem Ihrigen hinfließen würde daß sich beide am Ende vermischen könnten? Darauf müssen Sie sich freilich bereiten aber sehen Sie es nur recht an so wird auch das kein drückendes und | störendes Gefühl erregen. Ihre Liebe zur Veit gleicht auch darin deren Leben daß so wenig Einheit in ihr ist wie in einer wahren Person; sie hat unmerklich alle ihre Züge geändert und es kommt nur darauf an daß Sie sich dessen bewußt werden so werden Sie sie doch immer wieder erkennen. Bewahren Sie das Bild ihres kindlichen Alters in Ihrem schönen Herzen, aber lassen Sie sie sich auch so gefallen wie sie jetzt ist mit einem andern Charakter und mit den Spuren der Zeit und der Begebenheiten. – Wie hat Alexander Sie können so in den Trübsinn hineingerathen lassen? Daß ich die erste Ursach dazu bin, ist mir freilich nur gar zu klar – möchten nur alle gute Nachrichten, die ich Ihnen habe geben können Sie eben so schnell wieder aufheitern.
Die Schlabrendorf macht auch einen eignen Punkt in Ihrem Briefe, mich wundert nur daß das Reden von ihr Ihrer Stimmung nicht eine etwas andre Richtung gegeben hat übers individuelle hinaus ins allgemeine hin. Aber für eine ächte Jüngerinn des Helvetius habe ich sie immer gehalten. Glauben Sie nur nicht daß sie Sie lieber hat als Sie sie – denn was nennen Sie liebhaben, sie hat eigentlich nichts lieb und niemand. Ich glaube gern daß Menschen wirklich lieben können, die dieses System haben, praktisch nemlich; aber in wem es so zur Reflexion gekommen ist wie in ihr – denn sie ist doch ganz aus Reflexion zusammengesetzt – der kann nicht mehr lieben; denn er fängt immer beim Ich an und endigt auch beim Ich. Jenen Abend verrieth sie ihr System | schon sehr deutlich durch das gänzliche Gleichsetzen jeder Art des Genusses. Übrigens aber, liebe Freundinn lassen Sie sich das in gleichgültige Menschen zerstreute Analogon von Liebe gegen Sie immer wolgefallen; denn in unsre, die ganz andrer Art ist, läßt sie sich doch nicht verschmelzen. Ich mag das in der Welt nicht wissen, es ist ein Aufbrausen, welches beweiset daß die Austerschalen trotz ihrer Härte und Glätte doch auch Kalkerde sind, Kitt, womit das schönste und größte zusammengefügt werden kann und durch dieses Aufbrausen werden sie wirklich zubereitet es zu werden. Auch giebt es ein eigenes Gefühl von Gegenliebe für diese Menschen was ich denn doch auch nicht entbehren mögte.
Sie sehen, ich sehe alles mit Religion an, aber ich schreibe noch keine, wie wird das werden! Werde ich auch Ungern Wort halten? die dritte Rede liegt mir noch gar nicht fertig im Kopf es fehlt mir noch eine Inspiration und ehe die nicht kommt kann ich nichts anfangen. So etwas läßt aber manchmal lange auf sich warten. Wüßte ich doch wie Wilhelm Schlegel es immer macht de se battre les flancs wenn’s Noth thut, ich thäte es ihm gern nach. Von Friedrich habe ich noch immer keine Zeile was mich sehr beunruhigt.
Von Furcht und Hoffnung sage ich Ihnen nichts; ich habe keine als Sie. Möchte ich Sie bald in einer ruhigen Stimmung wissen ohne irgend einen Mißlaut. Wie gepeinigt werde ich Freitag in dem Zehlendorf sein, und doch kann ich nicht die andre Hälfte auch machen weil ich Sonnabend hier nicht fehlen darf. Es ist freilich nur ein optischer Betrug, daß ich Ihnen dann näher wäre; aber es quält mich doch. Was macht das Griechische? ich lege es Ihnen recht ans Herz. |
Dienstag früh. So gut wird mir’s jetzt gar nicht mehr einen Brief von Ihnen des Morgens zu bekommen, was mich so sehr aufheiterte. Ich glaube es ist die Faulheit der Briefträger denen es ein Paarmal begegnet ist mir Vor- und Nachmittags Briefe bringen zu müssen und die nun einen Weg sparen wollen, das ist mir höchst fatal. – Über die beste Ehe hatte ich noch ein Wörtchen mit Ihnen zu reden. Warum sollen nicht Liebende und solche wie K und die Fr auch animaux d’habitude sein dürfen? Der Beispiele hat man ja mehrere, aber eine gute Ehe läßt sich aus solchen Ingredienzen nicht zusammensetzen. Adieu meine liebe, lassen Sie bald von sich hören und besseres. Versammeln Sie alles um sich was Sie heiter und ruhig machen kann.