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Friedrich Schleiermacher to Henriette Herz

Potsdam, Mittwoch den 27 Fbr. Abends 1799.
Denken Sie liebe, ich habe heut Nachmittag mit der Bamberger eine große Promenade nach dem neuen Palais gemacht. Ich glaubte freilich nicht, daß mich das so weit embarquiren würde, ich meine es würde eine Affaire von einer Stunde sein; aber sie hat mich herumgeführt und dort sitzen lassen von 2 Uhr bis 6. Inzwischen war es immer eine Bewegung und da ich einmal nicht allein spatzieren gehen kann, wenigstens nicht in diesem Wetter, so thut es mir doch nicht leid. Wir sind langsam gegangen, desto gründlicher bin ich von der frischen Luft durchzogen worden; es war keine Gesellschaft da, desto weniger habe ich hintennach drüber zu denken gebraucht. Auch habe ich mein Pensum noch fertig gemacht nur nicht abgeschrieben | und das war auch nicht meine Idee. Diese Rede ist übrigens in einem ganz andern Ton und Art; sie geht auf der Ebene sachte fort und wird sich nur ein oder zweimal in die Höhe schwingen. Morgen hoffe ich das zweite Pensum zu machen und vielleicht mich vollens in’s Reine zu bringen, und dann wäre meine Aussicht noch so ziemlich gut da ich Sonntag Vormittag predige und also hernach noch den ganzen Tag vor mir habe. Nun gute Nacht, nur diese kleine Rechenschaft hatte ich Ihnen noch geben wollen – ich gehe jetzt schon immer etwas früher zu Bett um etwas früher aufstehen zu können.
Donnerstag Abend. Allerdings hätte ich Ihren Brief heute früh haben sollen und habe ihn doch wieder nur nach Tisch bekommen, es ist nichts als die Faulheit der Briefträger – so muß ich unter der Immoralität der Menschen leiden. Es hat mir den Morgen heute verdorben und nach Tisch schlief ich aus Desperation und trank Kaffee aus Desperation, da kam er. Die Bamberger sagt diese Faulheit wäre ein gemeines Übel und es wäre dem nicht abzuhelfen. Ich weiß aber wol was ich machen werde. Des Morgens werde ich immer fortsezen womit ich des Nachts aufgehört habe, dadurch wird die Nacht annihilirt, und nach Tisch will ich aus Princip schlafen und so meinen Morgen ordentlich auf Nachmittag verlegen. Ihr Brief fand mich beim Kriton des Platon, an dem ich mich gar innig ergötzt habe. Kennen Sie das herrliche kleine Gespräch nicht, man hat es deutsch wo ich nicht irre, und Sie sollten es billig gelesen haben. Es ist nicht schwer, wer weiß ob wir es nicht bald zusammen lesen können. |
Sie haben ganz Recht mich zu fragen wo ich mit aller Zeit geblieben bin; aber das ist ja eben was ich sage, man gewinnt nichts wenn man mehr Zeit hat; ich habe noch keinen einzigen Brief geschrieben. Heute Vormittag habe ich abgeschrieben und ausgebessert was ich gestern Abend gemacht hatte, dann habe ich mir die Journaliere bestellt und bin auf der Parade gewesen um das schöne Wetter in der Mittagsstunde doch einigermaßen zu genießen. Nachmittags habe ich, wie gesagt, geschlafen und den Kriton gelesen und in Zeitungen und Journalen geblättert und eine Visite gehabt, und von 7 Uhr an bis jetzt – es ist Mitternacht – habe ich kaum einen Viertelbogen Religion gemacht, das ist dem Inhalt nach nur die Hälfte von dem was ich mir vorgenommen hatte; die andre Hälfte werde ich, wenn das Glück gut ist Morgen machen wenn ich von Zehlendorf zurück komme. Ein Bogen ist inzwischen von der dritten Rede beinahe fertig. Als ich Ihnen das letzte schickte meinten Sie ich wäre fleißig gewesen und könnte zufrieden seyn. Das war Donnerstag, nun müssen Sie aber denken, daß seitdem die Eichmann da war und ich erst Dienstag wieder zum Arbeiten gekommen bin. Wenn ich Ihnen künftigen Dienstag die dritte Rede fertig schicke, so müssen Sie mich loben und das hoffe ich. [...]
Metadata Concerning Header
  • Date: 27. bis 28. Februar 1799
  • Sender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Recipient: Henriette Herz ·
  • Place of Dispatch: Potsdam · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 3. Briefwechsel 1799‒1800 (Briefe 553‒849). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1992, S. 21‒22.

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