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Friedrich von Schlegel to Friedrich Schleiermacher

Ich sitze auf dem Nachtstuhl und blättre in Deinem Wieland. C’est tout dire. Ich bin schon so lange es feuchtes Wetter nicht so gesund wie vorher, und seit drey Tagen sitze ich in der Stube jedoch mit der Gewißheit morgen gesund wieder auszugehn.
Dieß hat mich doch gestern und vorgestern noch zu guter letzt abgehalten, an Dich zu schreiben. So lange hatte ich mich obstinirt weil ich durchaus Athenäum mitschicken wollte.
Hier ist es nun endlich. Für Dich hat vielleicht jetzt die letzte Abhandlung von Hülsen den meisten Reiz. Es ist viel Religion darin und fast noch mehr in den Naturbetrachtungen bey einer Reise durch die Schweiz, die er mir kürzlich geschickt, und über die ich große Freude gehabt habe. Es ist das sonderbarste eigenste und heiligste was ich seit langer Zeit gelesen habe. Die gute Hälfte in Versen, oft zwey Hexameter nach einander, doch so daß man sieht, sie sind von ungefähr da. Sie fangen an mit derselben | Würde und Pracht wie sie schließen und gehn, ohne Steigerung ohne Wechsel und ohne Ende. Es heißt auch für den Hörer wie einmal darin steht: Nirgends dem Blike endet die schöne Verwirrung und nirgends die Freude. – Von dieser Stelle habe ich unter andern gegen Dorothea behauptet, wenn ich sie allein gesehn, würde ich gesagt haben, sie sey von einem großen Genie; nicht wegen der Verwirrung oder wegen der Freude sondern weil das endet da steht, wo es steht. – Du kannst leicht denken, daß das Ganze bey aller seiner Erhabenheit doch monoton wird; kurz scheint es nur, denn man muß es wohl dreymal so langsam lesen wie etwas andres, und fast singen. Vergleicht man indessen andre Naturfühlereyen damit, wie wirs mit Goethens Reise nach dem Gotthardt gethan, so scheinen diese erbärmlich | frostig und platt dagegen. Er liebt das Wasser über die Massen und das ist für ihn eine sehr uneigennützige Liebe, da er ganz Feuer und Aether ist. – Der beste Titel wäre in der That ὑδωρ μεν αριστον. Es sind nämlich nur drey Rheinfälle in diesem Stück in Philosophie componirt.
Wilhelms Kunst der Griechen an Goethe ist δεινον τι ein gewaltiges Werk; darüber kann ich nicht so viel schreiben, Du mußt es aber so bald als möglich lesen. Ich bitte Henriette oder die Herz es Dir abzuschreiben. Nun werden die Menschen die nicht glauben daß er Genie hat, wohl einmal die Augen aufthun.
Eines was ich mir vorgenommen hatte, habe ich doch aufgeben müssen. Ich wollte Dir nämlich in meinem ersten Brief endlich entscheidende Nachricht von Unger geben. | Aber den Tag vor meiner Krankheit hatte ich wieder das Unglück, die alte Bestie allein zu treffen. Ich harre mit Sehnsucht auf den Beschluß der zweyten Rede. Dann will ich ihn schon treffen, beschließen und den Druck gleich anfangen lassen.
Von dem was Du mir zuletzt lasest habe ich wohl nur darum weniger gesagt, weil es mich sehr afficirt hat; nämlich nicht polemisch sondern mystisch. Diese Vernichtung des Todes scheint mir nächst dem Gedanken, daß jeder auch der schlechteste Mensch ein Ebenbild Gottes sey, das Religiωτατον in Deiner Schrift. – Mit der Discretion ist es wohl viel zu spät, da die Alte und gewiß schon manche andre indiscrete Person es weiß. Indessen muß doch Unger discret seyn, weil sonst das Gerücht officiell wird, und ich werde Deinen Auftrag mit Nachdruck besorgen. Die Censur hat Schewe.
Der historische Theil der Lucinde ist nun fertig und damit bin ich über den eigentlichen Berg. Für 14 – 15 Bogen ists wohl schon. |
Der Schwiegerin scheint es noch mehr gefallen zu haben als Wilhelm der jetzt gar zu teufelmäßig antik ist. Wenn ich erst Aushängebogen habe von dem, was Du nicht kennst, so schicke ich sie Dir.
Schick nur ja bald Religion. Ich hoffe stets die Langeweile, deren Du dort zu genießen scheinst wird ihr gute Dienste leisten, und Dich an den Schreibtisch fesseln.
Deine Aufträge habe ich theils gleich besorgt, zum Theil geschieht es in diesen Tagen. Holz hatte ich schon fahren lassen. Wanenher denkst Du das wir den Wein bezahlen? –
Daß die Herz nicht füglich mit uns zu Dir reisen kann, ist mir unangenehm. Es bleibt mir also nichts als mit der Veit oder allein etwa wenn Wilhelm’s kommen, ihnen entgegen zu reisen, und sie zu bescheiden, daß sie mit Potsdam den Anfang machen. Vielleicht bringe ich dann auf diesen Fall auch die Levi mit. – Vor allen Dingen müssen wir aber alle arbeiten. Denn das verfluchte Ostern ist uns sehr auf | der Nase. Indessen bin ich doch für dießmal wegen der Messe und der Lucinde ruhiger wie alle andern. Kommen aber Wilhelm’s gleich mit dem Feste wie ich fast vermuthe, so ist mir für das IVte Stück Athenäum bange, das ich doch so gern noch zur Messe hätte. Von Dir ist wohl nichts zu hoffen? – Visionen oder dergleichen wären mir jetzt das liebste.
Die Veit ist sehr wohl an Befinden und ihrer Stimmung; und war es auch da sie Dich zuletzt sah. Du mußt Dich also geirrt [haben] oder wenn Du etwas andres meynst, so wäre es mir lieber, Du schriebest es freymüthig.
Wir haben nun bey Baree’s gemiethet, können den 1ten April spätestens einziehn und Du findest uns also schon gleich vernünftigen Menschen eingerichtet.
Salut et fraternité.
Friedr Sch.
Metadata Concerning Header
  • Date: Freitag, 1. März 1799
  • Sender: Friedrich von Schlegel ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Potsdam · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 3. Briefwechsel 1799‒1800 (Briefe 553‒849). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1992, S. 25‒29.

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