Single collated printed full text without registry labelling not including a registry
TEI-Logo

Friedrich von Schlegel to Friedrich Schleiermacher

Hier gehn mehr wunderliche Streiche vor als daß ich mit Wieland auf dem Nachtstuhle gesessen. Unter andern ist Carl krank, und da von der Charité nur ein Feldscher zu ihm gekommen der doch eben nur ein Feldscher ist, so habe ich heute Bing zu ihm rufen lassen; da ich aber bei dessen Hierseyn nicht zu Hause war, kann ich Dir keinen ordentlichen Bericht geben. Nun war es aber ein übler Umstand, daß in seiner Küche der Wind gleich von der Straße hereinbläst. Er wäre da wohl nie besser geworden, und nun weiß ich nicht ob es Dir recht seyn wird, daß ich heute Nachmittag ihn und sein Bett habe in Deine Stube setzen lassen. Hoffentlich dauerts nicht lange, und dann kann man ja durch Luft und Wasser das Zimmer gleich in den alten Stand bringen. Sollte er aber sehr krank werden, und Du indessen einmal kommen wollen, wozu nach Deinem heutigen Briefe wenig Hoffnung ist, so müßtest Du auf dem Sopha schlafen, welches ich bey so bewandten Umständen in mein Zimmer genommen. Du kannst mir ja auch auf diesen oder auf jeden Fall | schreiben, wie Du es willst gehalten haben. Ich wußte mir vor der Hand nicht anders zu helfen. Ich sondierte Fieke, und dachte die sollte in der kleinen Küche schlafen, er aber hinten. Sie schien es aber für unmöglich zu halten, und da ich nicht weiß, ob sie Recht darin hat oder Unrecht, so machte ichs eben so gut ich wußte. Bleiben konnte er unmöglich in dem kleinen Loche.
Du siehst das Wunderbare geht doch wieder ganz so natürlich wie mit dem Nachtstuhl und dem Wieland. Den ersten habe ich in der Geschwindigkeit gekauft, und da ich während des Gebrauchs selbst für Lope zu dumm war, ging ich zu Deinen Büchern und suchte was wohl am wenigsten adstringiren möchte.
Das Evangelium von der Vollendung der dritten Rede macht mir fast so viel Freude als die Verheißung der | Visionen auf die ich unglaublich lüstern bin.
Am Schluß der zweyten Rede hat mir die Polemik gegen Kunst, Philosophie und Moral am besten gefallen. Sie hätte ausführlicher seyn dürfen. Etwas mager dagegen kam mir Dein Gott vor. Ich hoffe Du wirst an dieser Stelle in der Folge schon tiefer graben wenn es auch nicht in diesen Reden geschieht, damit sich kein Sack an ihnen freuen und überfüllen möge. Das Bischen über die Unsterblichkeit ist beynah ein Abriß wie mein Ionischer Styl. Indessen müßte ich die zweyte Rede noch einmal im Ganzen anschauen, um zu sehn wie sichs macht. – Diese Polemik gegen die Unsterblichkeit der Person und des Individui ist gut heilsam aber für den Schluß der wichtigsten Rede nicht neu oder vielmehr nicht eigen genug. Fichte hat wenigstens | mündlich sehr oft darüber gegen mich geredet; ich vermuthe daher, daß auch wohl in seinen Schriften Meldung davon seye. Schelling ist voll davon. – Hätte nur die Andeutung des Eignen noch einen Drücker mehr! – Ist das etwa der Stoff der Visionen.
An der Lucinde ist nun schon über acht Tage nur gefeilt und abgeschrieben, wegen der grausamlichen Hinderungen. Indessen ist mir doch noch nicht bange. Mehr wie Du habe ich leicht, denn ich will dem ersten Band sein volles Recht geben. Du scheinst Dich aber in der Religion, der geschriebnen allgemach sehr concentrisch zu bewegen.
Hardenberg wird in Kürze eine Fräulein Charpentier heyrathen. Eine Sache die ich seit einigen Monathen schon kommen sah, und die eigentlich seit dem Sommer auf dem Spiele steht. Ich hoffe wieder viel für ihn. |
Hülsen ist freylich schwer und dunkel, und nur durch seine lezten Betrachtungen ist mir ein ganz neues Licht aufgegangen. Wenn Du Dich nicht provisorisch vermauerst, so wirst Du gewaltig viel daran finden. Denn es ist durchaus neu, tief, einzig und göttlich (aber das ist nach Deinem Gotte beynah schimpflich). Deine Conjektur gefällt mir nicht sonderlich. Wäre das Endet wiederhohlt, so wäre der Hexameter wohl gut, aber Hülsen wäre schlecht. – Er geht doch tapfer in die Religion ein und hat dabey ein so schönes Unbewußtseyn. Freylich kommt er aus der Mitte der Philosophie. Aber wer wird bey einem solchen Geist lange fragen wo er herkommt?
Daß die Veit den rechten Ton gegen Dich so ganz verfehlt haben sollte kann ich kaum glauben. Aber sehr leicht kann ich mir denken, wie sie ihn um einige Oktaven zu hoch angegeben | hat. Das darfst Du aber nicht übel deuten, denn sie ist darin ganz wie Ich, daß ein solcher Mislaut ihr nur mit Menschen möglich ist, deren hoher einziger Werth für unser Gefühl ewig fest steht, und er ist selbst nichts als der reine Schmerz über die erkannte Nothwendigkeit, dieses Gefühl ins Innre zurückdrängen zu müssen. – Daß sie zurückhaltend wird, kannst Du nicht unnatürlich finden, da es bemerklich genug ist, wenn Du denkst, Du werdest gebraucht, und würdest es werden, oder nun nicht mehr.
Ungern habe ich das Manuscript angelegentlich empfohlen. Wenn ich nur bald mehr erhalte, so will ich recht drängen. Es wird Noth thun, denn die Druckerey ist sehr besetzt. Vom Schakespeare sind nur | erst einige Bogen gedruckt. Ich habe Unger denn auch um Bestimmung des Honorars gedrängt: da hat er 5 Thaler gesagt. – Mit den Velin das will ich besorgen. Uns würden sie auch recht wohl bekommen. Ich freue mich sehr wie herrlich alle meine Freunde dießmal vor den Augen der Welt erscheinen. Hardenberg fehlt uns zwar, aber ich hoffe Du oder Ich wecken seine Eifersucht und er schreibt eine Bibel oder einen Roman.
Ich umarme Dich herzlich
Friedr Schl
Metadata Concerning Header
  • Date: wohl Anfang März 1799
  • Sender: Friedrich von Schlegel ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Potsdam · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 3. Briefwechsel 1799‒1800 (Briefe 553‒849). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1992, S. 32‒35.

Basics · Zitieren