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Friedrich Schleiermacher to Henriette Herz

den 20ten Merz Abends.
Hm, hm!! – Warum denn? Weil mein schöner Thee nach Flieder schmeckt. – Das ist das größte positive Unglück was mir noch begegnet ist hier. Da hat sich die Bamberger avisirt Fliederthee zu trinken aus meiner Kanne, und das dumme Thier die Köchinn hat sie nicht gehörig ausgebrüht. Ob ich bei diesem Thee werde Religion machen können, daran zweifle ich. Ach einen schönen Spaß muß ich Ihnen erzählen, der mir heute begegnet ist. Gegen meinen Vorsatz – das kommt heraus wenn man sich selbst widerspricht – mache ich gegen Abend eine kleine Promenade (es spinnt sich wahrhaftig was an, denn ich wollte die Bamberger doch eigentlich abholen, die nach dem neuen Garten gegangen war) und beim Rückweg dicht beim Thor sah ich mich auf einmal dicht vor einem Trupp | Officiere zu Fuß und als ich aufsehe hat der gleich neben mir an dem ich eben ganz nahe vorbei ging einen Stern – und ich war am König beinah vorbei gestreift ohne den Hut abzunehmen und nun wars zu spät. Sie können denken daß Wache, und alles was im Thor war dem König nachgesehen hatte, aber was ich mit meiner Grobheit den Leuten für ein Skandal war, können Sie kaum denken. Die Soldaten meinten vermuthlich von ihnen wäre es zu partheiisch es zu rügen, weil der König doch zu ihnen gehört; aber der patriotische Thorschreiber sezte mich ernstlich zur Rede „ob ich so wenig Regards für den König hätte nicht einmal den Hut abzunehmen.“ Ich hielt eine kurze Rede wie übel es wäre wenn man von Gott mit Blindheit und mit Gedanken gestraft wäre, aber die Meisten schienen es doch nur für eine unverschämte Ausrede zu halten. Es ärgert mich doch und ich hoffe nicht daß der König das Talent hat sich Gesichter zu merken, denn über kurz oder lang wird er das meinige doch sehr nahe ansichtig werden.
Vom zweiten Bogen ist erst eine Seite fertig und ich werde ihn wohl morgen nicht schicken und dann auch wohl überhaupt nicht schreiben es müßte denn auf dem Abend seyn.
Donnerstag Abend Theezeit.
Das war ein schlechtes Dekret und ich schicke mich drauf an es abzuändern, ich denke mein Briefchen Morgen früh wegzuschicken ohne Bogen. Denken Sie die lieben Geschäfte und Sack der hier war und die Predigt Heut | Nachmittag haben mich bis 6 Uhr zu nichts kommen lassen. Sack hat mir gesagt, daß er die dritte Rede gehabt hat, er scheint nicht sonderlich davon erbaut. Mein Begriff von Religion scheint ihm sehr unbestimmt (mißverstanden hatte er noch daß ich das Kunstgefühl selbst für Religion hielt) und auf jeden Fall wären in dieser Rede zu viel Bilder so daß es der Deutlichkeit schadete. Das bin ich mir nun gar nicht bewußt, und verstehe nicht was er meint. Er suspendirte denn immer sehr bescheiden sein Urtheil bis er das Ganze kenne, ich aber provocirte auf die beiden ersten Reden und versicherte ihn er würde nichts finden was nicht mehr oder weniger in diesen stände. Das Ende der zweiten hat er gewiß nicht gehabt oder nicht gelesen.
Metadata Concerning Header
  • Date: 20. bis 21. März 1799
  • Sender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Recipient: Henriette Herz ·
  • Place of Dispatch: Potsdam · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 3. Briefwechsel 1799‒1800 (Briefe 553‒849). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1992, S. 41‒42.

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