Potsdam d 30 Merz. 99.
Wol nicht ganz ohne meine Schuld, theuerster Graf, habe ich schon recht lange nichts eignes von Ihnen und Ihrem Leben gehört. Zwar kann ich mir ohngefähr denken wie es Ihnen unter den Geschäften des Dienstes und den Studien die Ihr eigner Betrieb sind, im Genuß des Ihnen so werthen Familienglüks und in thätiger Theilnahme und Sorge um Ihre Geschwister und insbesondere um die theure Leidende rasch und belohnend vergangen ist: aber erlauben Sie mir immer das Geständniß, daß diese allgemeine Vorstellung mir, der ich so lange Zeit ein näherer Zeuge Ihrer Beschäftigungen und Freuden gewesen bin, nicht genügt, und laßen Sie Sich die Bitte um etwas näheres von Ihnen an einem Tage vortragen, wo Sie das Andenken Aller, denen Sie werth sind, noch einmal so lebhaft fühlen; laßen Sie Sich den Antheil, den ich auch in der Entfernung, welche uns aufs neue trennt an Ihrem Fest nehme, an die Fortdauer meiner freundschaftlichen Anhänglichkeit und meiner herzlichen Achtung erinnern. Ich hoffe daß Sie an Ihrem Geburtstag noch Ihre verehrungswürdigen Eltern und den größeren Theil Ihrer geliebten Geschwister bei Sich haben werden, und wie gern wäre ich bei jeder kleinen Feier die elterliche und geschwisterliche Liebe Ihnen bereiten wird zugegen, und gäbe aus gutem Herzen auch das meinige dazu. | Es ist eine Freude für Jeden, der Sie liebt, an diesem Tage in Ihre Zukunft hineinzusehn. Zum erstenmale findet er Sie – und es ist warlich so früh als man nur wünschen kann – auf einer Stelle im bürgerlichen Leben, wo Sie schon zum Besten des Ganzen auf eine merkliche Art thätig und nüzlich sind; früher schon haben Sie das wesentliche und wißenschaftliche Ihres Faches entdekt, und eine Ansicht dafür gefunden, welche Sie für die ermüdenden Details, unter denen so mancher erliegt reichlich entschädigt – so ausgerüstet zu sein, was kann einem jungen Geschäftsmann beßeres begegnen und schönere Aussichten eröfnen? Könnte ich Sie nur einmal wieder unter Ihren Akten und Privatpapieren belauschen und Ihren unermüdeten Fleiß beneiden. Wenn ich nur einmal an meinem Geburtstage den dritten Theil soviel mit Studien beschriebenes Papier aufweisen könnte; aber Sie wißen wie Freunde und Freundinnen mir immer zurufen müßen: schreibe schreibe, arbeite arbeite, und wie der 21t. November sich vor dem 8t. April schämen muß. Und Ihre Kunstübungen, wie sind die seit Kurzem vielseitiger und ausgebildeter geworden, und wieviel schönen Genuß werden sie Ihnen noch gewähren, und wie wird Ihr Geschmak an den Künsten die Sie nicht selbst üben Sie immer das Beste genießen laßen was das Zeitalter hervorbringt. Wie sicher sind Sie nicht mit diesem Gegengewicht vor der Einseitigkeit in welche die meisten versinken, die sich in eine bestimmte Laufbahn hinein begeben. |
Kurz, wenn der Himmel Alles seinen natürlichen Gang gehen läßt, wenn er Ihnen den schönen Kreis in welchem Sie leben, so lange eben menschliche Dinge währen können nicht zerstört sondern, wie er schon angefangen hat nur vertheilt, wenn er bald Sie Selbst den Mittelpunkt eines eignen werden läßt und Sie in den zartesten Verhältnißen des menschlichen Lebens neuem Glück und neuer Vollendung entgegenführt – was ist uns für Sie zu wünschen übrig?
Werden Sie uns nicht bald etwas dergleichen hören oder ahnden laßen? Haben Sie Sich diesen Winter nur in freien Bahnen um die jungen Damen der Hauptstadt herumbewegt? Wollen Sie etwa Ihr Gefühl für das was die nächste Verwandschaft zu Ihnen hat erst recht sicher und untrüglich machen? Nehmen Sie Sich dazu nur nicht zu viel Zeit lieber Graf.
Ach, ich hätte Sie noch tausend Dinge zu fragen über die Ausarbeitung Ihrer Reisepapiere, über die Lektüre durch welche Sie die große Maße der auf dieser Reise erworbenen wißenschaftlichen und KunstAnsichten gewiß ordnen und completiren, und über den Antheil den Sie gewiß durch Ihren Umgang an der Bildung Ihrer jüngeren Brüder nehmen. Sie müßen wißen, wie neugierig ich auf dies Alles bin; aber wie lange soll ich mir denn herausnehmen mit Ihnen zu plaudern?
Wenn Sie Sich an Ihrem frohen Tage meiner freundschaftlich erinnern und Sich vornehmen mir gelegentlich ein halbes Stündchen zu schenken; wenn Sie Ihre gnädigen Eltern meiner innigen Verehrung versichern, und | mich in das gütige Andenken Ihrer Geschwister empfehlen; wenn Sie besonders der theuren Kranken einen entfernten Begrif davon machen wollen, wie wehe mir ihr langes Leiden thut, wie voll guter Wünsche ich für sie bin, und wie ich, auch ohne anders als im Geist ein Zeuge davon zu sein, die Tugenden bewundere die sie auch in diesem Zustande beweiset – so haben Sie Alles gethan was ich von Ihnen bitte; für jezt nemlich, denn die Bitte mir Ihr Wolwollen zu erhalten gilt wie Sie wißen für immer, und ist etwas sehr angelegenes für
Ihren treu ergebenen
Schleiermacher
Wol nicht ganz ohne meine Schuld, theuerster Graf, habe ich schon recht lange nichts eignes von Ihnen und Ihrem Leben gehört. Zwar kann ich mir ohngefähr denken wie es Ihnen unter den Geschäften des Dienstes und den Studien die Ihr eigner Betrieb sind, im Genuß des Ihnen so werthen Familienglüks und in thätiger Theilnahme und Sorge um Ihre Geschwister und insbesondere um die theure Leidende rasch und belohnend vergangen ist: aber erlauben Sie mir immer das Geständniß, daß diese allgemeine Vorstellung mir, der ich so lange Zeit ein näherer Zeuge Ihrer Beschäftigungen und Freuden gewesen bin, nicht genügt, und laßen Sie Sich die Bitte um etwas näheres von Ihnen an einem Tage vortragen, wo Sie das Andenken Aller, denen Sie werth sind, noch einmal so lebhaft fühlen; laßen Sie Sich den Antheil, den ich auch in der Entfernung, welche uns aufs neue trennt an Ihrem Fest nehme, an die Fortdauer meiner freundschaftlichen Anhänglichkeit und meiner herzlichen Achtung erinnern. Ich hoffe daß Sie an Ihrem Geburtstag noch Ihre verehrungswürdigen Eltern und den größeren Theil Ihrer geliebten Geschwister bei Sich haben werden, und wie gern wäre ich bei jeder kleinen Feier die elterliche und geschwisterliche Liebe Ihnen bereiten wird zugegen, und gäbe aus gutem Herzen auch das meinige dazu. | Es ist eine Freude für Jeden, der Sie liebt, an diesem Tage in Ihre Zukunft hineinzusehn. Zum erstenmale findet er Sie – und es ist warlich so früh als man nur wünschen kann – auf einer Stelle im bürgerlichen Leben, wo Sie schon zum Besten des Ganzen auf eine merkliche Art thätig und nüzlich sind; früher schon haben Sie das wesentliche und wißenschaftliche Ihres Faches entdekt, und eine Ansicht dafür gefunden, welche Sie für die ermüdenden Details, unter denen so mancher erliegt reichlich entschädigt – so ausgerüstet zu sein, was kann einem jungen Geschäftsmann beßeres begegnen und schönere Aussichten eröfnen? Könnte ich Sie nur einmal wieder unter Ihren Akten und Privatpapieren belauschen und Ihren unermüdeten Fleiß beneiden. Wenn ich nur einmal an meinem Geburtstage den dritten Theil soviel mit Studien beschriebenes Papier aufweisen könnte; aber Sie wißen wie Freunde und Freundinnen mir immer zurufen müßen: schreibe schreibe, arbeite arbeite, und wie der 21t. November sich vor dem 8t. April schämen muß. Und Ihre Kunstübungen, wie sind die seit Kurzem vielseitiger und ausgebildeter geworden, und wieviel schönen Genuß werden sie Ihnen noch gewähren, und wie wird Ihr Geschmak an den Künsten die Sie nicht selbst üben Sie immer das Beste genießen laßen was das Zeitalter hervorbringt. Wie sicher sind Sie nicht mit diesem Gegengewicht vor der Einseitigkeit in welche die meisten versinken, die sich in eine bestimmte Laufbahn hinein begeben. |
Kurz, wenn der Himmel Alles seinen natürlichen Gang gehen läßt, wenn er Ihnen den schönen Kreis in welchem Sie leben, so lange eben menschliche Dinge währen können nicht zerstört sondern, wie er schon angefangen hat nur vertheilt, wenn er bald Sie Selbst den Mittelpunkt eines eignen werden läßt und Sie in den zartesten Verhältnißen des menschlichen Lebens neuem Glück und neuer Vollendung entgegenführt – was ist uns für Sie zu wünschen übrig?
Werden Sie uns nicht bald etwas dergleichen hören oder ahnden laßen? Haben Sie Sich diesen Winter nur in freien Bahnen um die jungen Damen der Hauptstadt herumbewegt? Wollen Sie etwa Ihr Gefühl für das was die nächste Verwandschaft zu Ihnen hat erst recht sicher und untrüglich machen? Nehmen Sie Sich dazu nur nicht zu viel Zeit lieber Graf.
Ach, ich hätte Sie noch tausend Dinge zu fragen über die Ausarbeitung Ihrer Reisepapiere, über die Lektüre durch welche Sie die große Maße der auf dieser Reise erworbenen wißenschaftlichen und KunstAnsichten gewiß ordnen und completiren, und über den Antheil den Sie gewiß durch Ihren Umgang an der Bildung Ihrer jüngeren Brüder nehmen. Sie müßen wißen, wie neugierig ich auf dies Alles bin; aber wie lange soll ich mir denn herausnehmen mit Ihnen zu plaudern?
Wenn Sie Sich an Ihrem frohen Tage meiner freundschaftlich erinnern und Sich vornehmen mir gelegentlich ein halbes Stündchen zu schenken; wenn Sie Ihre gnädigen Eltern meiner innigen Verehrung versichern, und | mich in das gütige Andenken Ihrer Geschwister empfehlen; wenn Sie besonders der theuren Kranken einen entfernten Begrif davon machen wollen, wie wehe mir ihr langes Leiden thut, wie voll guter Wünsche ich für sie bin, und wie ich, auch ohne anders als im Geist ein Zeuge davon zu sein, die Tugenden bewundere die sie auch in diesem Zustande beweiset – so haben Sie Alles gethan was ich von Ihnen bitte; für jezt nemlich, denn die Bitte mir Ihr Wolwollen zu erhalten gilt wie Sie wißen für immer, und ist etwas sehr angelegenes für
Ihren treu ergebenen
Schleiermacher