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Friedrich Schleiermacher to Henriette Herz

Freitag den 12ten April früh.
Da ist Ihr Brief an dem ich dießmal vieles durchaus nicht verstehe. Ich verstehe noch immer nicht wie das mit den 2 Tagen zusammenhängt an denen Sie nichts von mir gehört haben, da ich täglich geschrieben habe. Ich verstehe nicht wie Sie haben glauben können, daß ich nach Berlin kommen würde, da wir so bestimmt ausgemacht hatten daß ich nicht eher als nach Beendigung der Religion kommen sollte, und da Sie leicht denken konnten daß was ich an Prahmer geschrieben hatte was altes sein müsse. Noch weniger verstehe ich wie Sie nach allem was ich Ihnen immer von dem Gange der Sachen gesagt habe sich noch haben einbilden können es sei die entfernteste Rede davon daß ich die Stelle hier bekommen könnte. Ferner verstehe ich nicht wie die Östreicher in Basel sein können da, so viel ich weiß noch eine Hüninger Brückenschanze existirt und hinter ihrem Rücken Tyrol so gut wie ero|bert ist; ich verstehe nicht, wie Sie zu dem schrecklichen Bevue kommen ins Theater zu gehen um sich um 7 wieder heraus zu begeben und wie der aristokratische Fasch dem Sieyes ein Auditorium kann geben wollen. Sind die Sachen wirklich so unbegreiflich, oder kommt es nur von den Gedanken die ich gestern Abend gehabt habe. Ich könnte noch mehr unbegreifliches finden, als da ist daß Sie qui court la ville und alle Viertel befährt nur nach der Ziegelstraße nicht kommen können und es für ein großes Glück halten müssen die Veit auf der Akademie zu sehen, daß Sie immer noch von meinen zwei Tagen reden, aber Ihnen gar nichts darüber einfällt, daß ich nun wirklich volle zweimal 24 Stunden gewesen bin ohne von Ihnen zu hören, und daß Sie den Brief, den ich Montag abend auf die Post gegeben erst Dienstag Abend erhalten zu haben scheinen; o! und ein Hauptstück hatte ich vergessen, daß Sie reden, als wäre zu vermuthen, ich würde nun nichts thun als immerfort machen und daß Sie sich unser schönes Leben gar nicht denken können. – Kurz das Einzige was ich recht begreife ist: daß Sie recht meine Jette sind: das lese ich in und zwischen allen Zeilen.
Da von der Ziegelstraße (wo Schlegel doch wol eigentlich wohnt) nach der neuen Friedrichsstraße so unmenschlich weit ist und keine Post geht, so werde ich wohl erst Morgen oder Übermorgen erfahren können, wie es eigentlich mit der Religion steht oder geht, ob der Setzer mich setzt oder ob er sich selbst gesetzt hat. Wegen des Titels habe ich Schlegel gestern geschrieben und auch wegen der Bogen, die ich doch nothwendig | haben muß. Wenn Sie läsen würden Sie sehen daß ich gegen das Christenthum wenigstens so weit vorgerückt bin als die Östreicher gegen die Schweiz; und wie die Polemik gegen die natürliche Religion Ihnen gefallen würde möchte ich wissen. Hie und da könnte sie ausführlicher sein.
Grüßen Sie mir den Heindorf. Haben Sie ihm auch recht eingeschärft Ihr Griechisch heimlich zu halten? Ich fürchte immer er sagt es wenigstens dem Wolf, denn der ist sein Christus und sein Papst dem man alles sagen muß. Adieu meine Gute.
Metadata Concerning Header
  • Date: Freitag, 12. April 1799
  • Sender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Recipient: Henriette Herz ·
  • Place of Dispatch: Potsdam · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 3. Briefwechsel 1799‒1800 (Briefe 553‒849). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1992, S. 82‒84.

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