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Friedrich Schleiermacher to Lotte Schleiermacher

Berlin d 23t. Mai 99.
Hoffentlich liebe Lotte wird Dir mein Brief so wie ich es wünsche die lebendige Ueberzeugung gegeben haben wie gut ich den Deinigen aufgenommen, und wie lieb es mir gewesen ist, daß Du meinen Bitten Deine Gedanken über mich ordentlich zu äußern nachgegeben hast. Auch Dir wird ja wol das Gut aufnehmen etwas anderes sein als das unbedingt annehmen; es besteht doch eigentlich darin daß man die Liebe fühlt und erwiedert, und das Gesagte sich zu Herzen gehn läßt und in Ueberlegung nimmt. Das glaube ich recht ernstlich gethan zu haben wie Du aus allem was ich Dir geantwortet habe sehen wirst. – Jezt benuze ich den ersten ruhigen Augenblik den ich hier habe um Dir Karls großen Brief zu schiken der in der That noch bei mir gelegen hat. Deinen lezten Brief mit der Einlage an ihn erhielt ich als ich eben von Potsdam aus auf ein Paar Tage hier war am Abend vor meiner Abreise habe ihn erst in Potsdam gelesen und konnte Dir also den Brief nicht gleich schaffen. Doch ich bin so aus aller Zeitrechnung heraus, daß ich nicht einmal gewiß weiß ob mein Brief an Dich nicht erst nach Empfang Deines zweiten abgegangen ist und ob ich Dir also nicht das schon gesagt habe, und mein BriefJournal woraus ich es sehen könnte habe ich zum Unglük verlegt. Darüber bin ich oft recht böse auf mich, aber ich kann es nicht ändern, daß | jede Störung meines gewöhnlichen Lebens mein Gedächtniß ganz verwirrt macht. Doch wird es mir immer klarer daß mein Brief an Dich nur eben kurz vor Deinem Geburtstage abgegangen ist. Wie Du diesen verbracht hast davon hoffe ich bald etwas zu hören; ich mußte den Abend in einer langweiligen Gesellschaft zubringen von der ich mich nicht losmachen konnte. Ganz vorzüglich hat mich aber dies Jahr der 5te Mai afficirt wunderbar regten sich alle Erinnerungen in mir an unsern guten Todten; ich weiß nicht wie zufälliger Weise in meinen Papieren meine erste Landsberger Predigt die ich ihm hatte schiken wollen oben auf gekommen war, ich dachte an unsere Uneinigkeit darüber und an unsre Einigkeit, ich hatte diese Zeit über vieles so recht aus dem Herzen niedergeschrieben über Religion und hätte so herzlich gewünscht es ihm zeigen und darüber reden zu können, kurz ich war voll inniger Sehnsucht. Auch nahm ich mir fest vor, Dir noch den Abend ein Paar Worte wenigstens zu schreiben aber ich war in der That zu voll und zu wemüthig. Du wirst das verstehn ohne weitere Beschreibung. Hernach ist mir die Zeit wieder so hingegangen in dem Stumpfsinn der bei mir immer entsteht wenn ich isolirt bin. Darüber kann ich nicht heraus; ohne Freund, ohne herzliches Gespräch, ohne Wechsel zwischen Arbeit und geselligem Genuß ist für mich kein Leben und wenn ich ein Paar Jahre so existiren müßte würde es mir schwer werden mich selbst beisammen zu halten. In dieser Rüksicht bin ich denn | unendlich froh wieder hier zu sein obgleich mir eben auch keine glükliche Zeit bevorsteht. Die Herz macht eine Reise nach Dresden und dem Harz, Schlegel wird wahrscheinlich um dieselbe Zeit auf einige Wochen nach Jena reisen, und ich habe mich noch dazu in ein Paar weitläuftige Arbeiten eingelaßen die mich einen großen Theil meiner Zeit kosten aber freilich auch dazu dienen werden meinen Styl zu bilden und mir manche Kenntniße zu verschaffen. Unter diesen Umständen werde ich nicht einmal an eine Reise nach Landsberg eher als im Winter denken können worüber ich schon mit der Benike gejammert habe. Meiner Gesundheit kommen auch jezt von meinem Potsdamschen Aufenthalt die Nachwehen und ich werde mich eben entschließen müßen eine SommerCur zu brauchen die sich mit meinen Arbeiten schlecht genug vertragen wird. – Ich wiederhole noch einmal meine herzliche Bitte an Dich, wenn Du Dich auch jezt ganz wol befindest dennoch Deine Badereise nicht aufzuschieben. Ich konnte nicht noch 14 Tage sein ohne Dir wenigstens Karls Brief zu schiken, sonst hätte ich Dir gleich einen Beitrag zu den Unkosten derselben mitgeschikt der aber nächstens erfolgen wird. Versäume also ja nicht übrigens die nöthigen Anstalten zu treffen es ist doch viel Gutes davon zu erwarten.
Ich muß abbrechen wenn nicht der Posttag wieder verstreichen soll[.] Laß mich Dir empfolen sein, und glaube ununterbrochen an meine herzliche Liebe zu Dir und an mein Verstehen Deiner Liebe | und Deines Gutmeinens. Ich sehe mit Schreken auf den Schluß Deines lezten Briefchens wo Du wenigstens der Möglichkeit von Spannungen, von Mißverständnißen, von einem Nichtschreiben welches dann beßer wäre, sprichst. Nein Liebe, das kann nicht sein und wird nicht sein: ich habe einen festen und wolgegründeten Glauben an unsere Nähe ohnerachtet ich unsere Entfernung recht wol kenne
Ich bin gar nicht unruhig darüber wie Du meine Erklärungen über mich selbst und den Weg den ich gehe verstanden und aufgenommen haben wirst. Laß uns die Liebe ferner und immer in der Aufrichtigkeit beweisen so werden wir auch durch alles hindurch immer die Liebe sehen und fühlen. Adieu für diesmal bald mehr
Fr.
Metadata Concerning Header
  • Date: Donnerstag, 23. Mai 1799
  • Sender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Recipient: Lotte Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Gnadenfrei ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 3. Briefwechsel 1799‒1800 (Briefe 553‒849). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1992, S. 120‒122.

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