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Friedrich Schleiermacher to Henriette Herz

den 1ten Juli. 1799.
Wie ich mit Friedrich stehe, weiß ich eigentlich nicht; es drükt mich gewaltig. Auch nun bin ich noch nicht ganz ihrer Meinung: unsre Gemüther sind wohl recht für einander Friedrich’s und meines nur nicht auf die Art wie Ihres und meines sondern eben in so fern sie einander nicht ähnlich; zur Ergänzung. Daß man unter diesen Umständen nicht so leicht auf den | rechten Punkt zusammen kommt ist natürlich; aber es kann doch gehen und muß gehen, wenn Schlegels Heftigkeit und Ungeduld uns nicht aus dem Wege bringt. Ich weiß nicht ob er ein solches heruntergebrachtes Verhältniß leiden kann, ich kann es nicht, und werde mir nächstens das Herz fassen wieder mit ihm zu reden. Es ist nur so übel, daß ich ihn ungern jetzt auf eine Art afficiren mögte, die ihn beunruhigt, weil es solchen Einfluß auf seine Arbeiten hat – Ach es ist ein großes Elend. Mit Dorothea kann ich über diese Dinge gar nicht reden: sie stellt sich so sehr auf einen unrechten Standpunkt, daß ich gar nicht hinüber sprechen kann. Worauf sie zurückgehen, das ist wohl etwas; sein gänzliches Nichtverstehen unseres Verhältnisses geht aus mehreren Stellen in der Lucinde klar hervor; aber es ist doch nicht alles: er versteht auch mein Verhältniß zu ihm nicht, und deutet meine Demuth und meine ehrerbietige Schonung nicht recht, aus der ich mir gar vieles versage. Doch das muß man mündlich besprechen und ich hoffe auch dafür viel von Ihrem Hiersein.
Was Sie von Tiek in den Zeitungen gelesen haben, weiß ich nicht; mir ist nichts dergleichen vorgekommen: aber übermüthig wird er nicht werden durch das Lob, weil er die Menschen viel zu sehr verachtet. Übrigens überzeuge ich mich daß er sehr viel ist für die deutsche Literatur, und zwar etwas was weder Göthe noch Schiller noch Richter sein können, und was vielleicht außer ihm jetzt niemand sein kann: müßte er sich nur nicht auch mit seinen Arbeiten eilen. Die Grobheiten im Athenäum werden Sie doch wol billigen, wenn es nothwendige Wahrheiten sind, und wenn sich zeigen läßt daß es nach richtigen Begriffen viel gröber wäre wenn man sie anders sagte. |
Mit der Natur, das ist mir noch immer nicht klar. Sie haben sie doch eben auch als einen todten Stoff angesehen, der behandelt werden muß und es ist Ihnen immer der von uns eingefallen der gerade diese oder jene bestimmte Gattung deßselben am besten behandeln konnte. Aber wie haben Sie ihn denn selbst behandelt?? Friedrich meint in seiner Notiz wo ich mich in der Religion der Natur nähere, da offenbare sich meine Irreligion als Mangel. Er hat besondere Begriffe von Natur, die ich noch nicht verstehe – aber meine Behandlung derselben verstehe ich wol. Was Sie mir oft als Polemik ausgelegt haben, daß ich gleich gerade zu auf die Unendlichkeit der Chemie gehe; damit ist es mir bitterer Ernst obgleich mancher einzelne Genuß dabei verloren geht, der aber freilich von einer Art ist die ich für niedriger halte. –
Ein großes Wort hat Friedrich doch über mich gesagt in unserm Gespräch; ich weiß nicht recht woher es bei ihm gekommen ist, aber wahr ist es nach allen Seiten nehmlich: „ich müsse aus allen Kräften darauf arbeiten mich innerlich frisch und lebendig zu erhalten“. Niemand ist dem Verwelken und dem Tode immerfort so nahe als ich. Ich kann das weder construiren noch demonstriren: aber es ist leider wahr. –
Mit dem Befragen das übertreiben Sie liebe Jette, und ich bitte Sie, schlagen Sie einmal die entgegengesetzte Maaßregel ein. Es ist nichts wohlthätiger für mich als wenn man mich über mich zum Reden bringt; ich dächte Sie müßten das gefühlt haben so oft es der Fall gewesen ist – es mag eine schwierige Operation sein, aber ich bitte Sie inständig lassen Sie es sich nicht verdrießen.
Metadata Concerning Header
  • Date: Montag, 1. Juli 1799
  • Sender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Recipient: Henriette Herz ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 3. Briefwechsel 1799‒1800 (Briefe 553‒849). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1992, S. 133‒137.

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