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Friedrich Schleiermacher to Henriette Herz

Freitag Abend.
Ich habe ordentlich eine kleine Furcht davor, daß Fichte gelegentlich die Reden lesen wird; nicht davor daß er viel dagegen einzuwenden haben möchte, das weiß ich vorher, und es macht mir nicht bange – sondern nur, daß ich nicht weiß, wo er mir alles in die Flanke fallen wird, und daß ich nicht werde würdig mit ihm darüber reden können. Bei der Lucinde ist er eben und hat Friedrich gesagt Vieles einzelne gefalle ihm um aber eine Meinung über die Idee des Ganzen zu haben müsse er es erst recht studiren. – Er hat | schon heute einen Besuch von der Polizei gehabt, man hat so horchen wollen, ob er etwa gesonnen sei sich hier zu etabliren p.p. er hat denn gesagt, er sei zu seinem Vergnügen hier, und wisse nicht, wie lange er sich aufhalten werde. Observirt wird er wahrscheinlich provisorisch von der kleinen Polizei. Es sollte mir leid thun wenn er irgend Unannehmlichkeiten hätte und es wäre auch höchst inkonsequent. Große Sachen habe ich noch nicht mit ihm gesprochen, ich will es so sachte angehen lassen nach meiner Manier. [...]
Ich schreibe heute noch an Brinkmann, die Religion habe ich ihm nebenbei angedeutet. Wenn es so viele Menschen wissen kann er auch; aber schicken kann ich ihm keine. Seine Elegien sind mir nicht einfältig vorgekommen wie er mir dabei schrieb, aber einförmig – es ist immer nur eine Idee, die sich durchzieht und Paris afficirt ihn so wenig daß außer dem Titel fast keine Spur ist daß sie dort geschrieben sind. Die Verse sind aber größtentheils wol so gut als wir sie immer haben. An Alexander habe ich am Dienstag nicht schreiben können, thue es aber heute, und wenn Sie kommen müssen Sie auch schreiben. Übertreiben Sie das nur nicht und bedenken Sie wie schön es ist wenn man den Leuten Esel bohren und mehr in einem Brief schreiben kann, als sie heraus zu lesen im Stande sind, und das sollten Sie doch wol können. Und, liebe Jette, warum quälen Sie sich doch mit Gedanken von Trennung? Sehen Sie das ist das Übel | von Ihrem Planmachen und in die Zukunft sehen! Welches Recht haben Sie dazu und welche Verpflichtung? Wie vieles kann noch geschehen wodurch alles ganz anders wird. Der Gedanke an so ungewisse Schmerzen sollte Ihnen keinen Augenblick einer schönen Gegenwart verbittern, das ist Hochverrath gegen das Leben und die Liebe und wahre Irreligion. Darin können und sollen Sie etwas von mir lernen.
Schlegel hat mir letzthin verschiedentlich demonstrirt ich müßte einen Roman schreiben, meine religiösen Ideen über Liebe Ehe und Freundschaft ließen sich nicht anders mittheilen und mitgetheilt sollten sie werden, also müßte ich den Roman auch schreiben können. Ich habe ihm gestanden ich hätte es schon seit einiger Zeit als meinen Beruf gefühlt, ich zweifelte aber am Können und das thue ich auch noch. Mit Ihrem Nichtschreibenkönnen, liebe Jette, das hat nichts zu sagen: üben müssen Sie sich freilich an allerlei Formen; aber dann ist auch gar nicht dran zu zweifeln. Wir wollen schon machen. Lassen Sie uns nur erst wieder zusammen leben.
Metadata Concerning Header
  • Date: Freitag, 5. Juli 1799
  • Sender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Recipient: Henriette Herz ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 3. Briefwechsel 1799‒1800 (Briefe 553‒849). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1992, S. 141‒143.

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