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Friedrich Schleiermacher to Carl Gustav von Brinckmann

Berlin d 6t. Jul. 99.
Es ist ein eigenes Unglük was über unserm Zusammenhang geschwebt hat. Mein erster Brief an Dich ist verloren gegangen; als Dein zweiter im Herbst ankam kam bald darauf ein Doktor Weishaar, und versicherte Du seiest mit ihm an einem Tage aus Paris abgereiset um auf ein halb Jahr nach Stokholm zu gehen; dann bin ich ein Vierteljahr lang in Potsdam begraben gewesen; und nun war ich wieder zweifelhaft ob die schwedische Gesandschaft nach der berühmten Erklärung Deines Königs in Regensburg es nicht für rathsam finden würde Paris zu verlaßen. Ich habe mich immer damit getröstet daß wahre Brüder denn doch im Geiste unter einander verbunden sind
Deine Elegien sind mir sehr angenehme theils Erscheinungen, theils Erinnerungen gewesen – denn mehrere davon kannte ich schon. Mich hast Du dadurch wieder damit ausgesöhnt daß Deutsches in Paris geschrieben wird was mir Humboldts Versuche ziemlich verleidet hatten; Du hast es aber gar dort sezen und druken laßen und hast also offenbar noch ein gutes Werk zu gut für irgend eine andere fremde Sünde. Daß die Liebe darin überall nur ein alter Schaden ist, ist mir lieb und leid; leid wahrhaftig bloß um Deinetwillen, denn an den Pariser Frauen ist mir nichts gelegen; aber da vorauszusezen ist daß Du Dich weder in die Stadt noch in die Revolution verlieben kannst so liebst Du wol gar nichts nahes und gegenwärtiges und es ist zu besorgen, daß Dir nicht nur die Freude überhaupt, sondern auch die Freude über die Liebe geraubt ist. Lieb ist mirs aus ächt kosmopolitischen und religiösen Gründen, damit doch dort auch ein | kleines Samenkörnchen ausgestreut wird von der Liebe von altem Schrot und Korn; denn ich fürchte die Parisische Liebe ist noch einen Schritt weiter als unsere Philosophie; so daß das Nicht-ich darin ganz fehlt; bei Dir galt es doch immer wenigstens als Anstoß. Das war freilich für die ganz alte Liebe heterodox genug; aber wie schnell jezt das neue alt und das heterodoxe orthodox wird das wißen ja die Götter und alle Menschen.
Willst Du übrigens Satyren machen, so mache lieber zuerst die welche Du uns lange schuldig bist, nemlich die Satyre auf die deutsche Stoßvogel Satyre aber in Reimen denn es bieten sich gar zu schöne von selbst dar: Falk, Schalk; Satyre Geschmiere (Wir legen uns hier etwas auf das Burleske in diesem Fach wie Du bemerken wirst wenn das vierte Stük des Athenäums nach Paris kommt). Ich bin in der That gar kein Objekt für die Satyre: mit der neuen Philosophie laße ichs so ganz sachte angehn, und der Dankbarkeit habe ich kürzlich eine öffentliche Ehrenerklärung gethan, wenn sie sichs anders zur Ehre rechnen will daß ich sie aus der Moral in die Religion versezt habe. Ja, ja, meine Sünden könnte ich Dir mit Thränen beichten wenn Du anders die Unschuld für eine Tugend hältst. Denke, ich habe meine Unschuld verloren, die litterarische nemlich! Zwar vor der Welt nicht, denn es ist im strengsten incognito geschehen, aber doch innerlich und da es Leute giebt die einem jungen Menschen so etwas an den Augen ansehen so fürchte ich daß auch die böse Welt zeitig genug dahinter kommen wird. Ich habe ein kleines Büchlein über die Religion geschrieben, und wenn es der Mühe verlohnte, wenn es nicht Tollheiten genug in Paris gäbe, und wenn Du nicht absichtlich die ganze deutsche Litteratur | hier gelaßen hättest, so würde ich es Dir geschikt haben.
Von Begebenheiten sollte ich Dir eigentlich nicht das geringste schreiben da Du so rein bei allem was dem nur ähnlich sieht vorbeigehst, aber doch kann ichs nicht übers Herz bringen Dir zu verschweigen daß Fichte hier ist. Du kannst denken daß es mir an Gelegenheit ihn zu sehen nicht fehlt, aber er ist erst zwei Tage hier und ich kann also noch nichts über ihn sagen. Voß, den ich im vorigen Jahr ganz versäumt hatte, wird auch erwartet. Von der Litteratur sage ich Dir aber gewiß nichts – denn dafür hast Du unstreitig einen andern Correspondenten. Schlegels Luzinde und Schillers neue Trauerspiele: ich kann von allem schweigen, auch von Herders Metakritik und von der neuen gegen die neue Philosophie geschloßenen wunderbaren Allianz
Spalding der, wie Du wol wißen wirst, seine Schwiegermutter verloren hat jammert sehr über den Verlust eines Pakets Depeschen von Dir – ich gewiß auch denn ich hätte doch hie und da etwas davon erfahren, und Du weißt ja wie berühmt Deine Depeschen sind. Die Herz hat Dein Brief mit den Elegien nicht hier getroffen sondern unterwegens; sie macht eine kleine Reise nach Dresden und dem Harz und ist noch darin begriffen
Daß Du Dich mit Sprecher in Paris gefunden hast gehört wirklich zu den Sonderbarkeiten. Vor 15 Jahren als Du noch Dein Tagebuch schriebst und er ein besonderer Liebling des lieben Heilandes war, hätte man das nicht gedacht. Wo ist er denn jezt angestellt seitdem er jenes traurige Geschäft verrichtet hat? So habe ich auch vorigen Herbst durch die kleine Levi einen Gruß von Heinrich Einsiedel bekommen – es ist recht romantisch wie man immer wieder zusammenkommt. Bei uns aber soll von keinem Wiederzusammenkommen die Rede sein. Nächstens – in dem Sinne wie man es zwischen hier und Paris nehmen kann – bekommst Du einen ordentlichen Brief von mir worin ich Dir meine Herzensangelegenheiten so aufrichtig enthüllen will wie mans nur immer in den Gesellschaften thut
Schleiermacher |
Ist es etwa möglich einzelne Nummern von Zeitungen in Paris zu bekommen so habe doch die Güte, mir sobald als möglich No 274 vom laufenden Jahrgang des Journal de Paris zu schiken, mit der mir hier ein Unglük begegnet ist.
Metadata Concerning Header
  • Date: Samstag, 6. Juli 1799
  • Sender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Recipient: Carl Gustav von Brinckmann ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Paris · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 3. Briefwechsel 1799‒1800 (Briefe 553‒849). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1992, S. 143‒147.

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