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Friedrich Carl Gottlieb von Duisburg, Anna Barbara Duisburg to Friedrich Schleiermacher

NB. Ich bitte das Ende zu erst zu lesen.
Danzig d. 26 Augst 1799.
Das wäre nun freylich wohl wieder so ein Pröbchen von alter Federfaulheit, einen lieben, werthen, theuren Brief seit dem 9 Juli anni currentis unbeantwortet liegen zu laßen; aber ich habe in der That erhebliche Entschuldigungen vorzubringen, wenn ich anders das Pappier damit verderben wollte. Aber ad rem. Wir wollen unsere res gestas so viel thunlich in einer chronologischen Ordnung vortragen. Eine Arbeit bey deren Anfange ich beynahe die Feder wieder fort legen möchte. Du willst aber doch gern alles wißen, was sich mit mir zugetragen hat, und da das ein Beweiß von Deiner Seite ist, daß ich Dir noch intreßant bin, so werde ich das Stückchen Arbeit nur in Gottes Nahmen anfangen. Von meinem letzten Briefe Anno 96 müßen wir also den Faden anfangen und zu dem Ende muß ich mich mit Kalendern umlagern, um aus ihnen als aus den Quellen selbst, zu schöpfen. Bevor wir diese Grundtexte hervorsuchen, wollen wir hier basta machen und uns erst zu Tische verfügen.
Noch stehe ich leider immer auf der Stelle, wo Du mich bey Deinem Hierseyn fandst; wie sehr wünschte ich aus dieser traurigen Laufbahn heraus treten zu können und wo es noch lange dauert, so verlaße ich den geistlichen Orden und suche auf andern Wegen, und sey es auch unter Zöllnern und Sündern, mein Glück. Wir wollen also bey diesem Punckt vorbey spatzieren und uns nach der angenehmen Seite meines häuslichen Glücks wenden. Ich bin Vater von 3 Töchtern und einem Jungen, aber den letztem entriß mir das fürchterliche Scharlachfieber, da er eben zwey Jahr alt geworden war. Der Junge war vielleicht zu gut für diese Welt. War seine Seele so vollkommen, wie sein Körper vollkommen war, so konnte er unter den Unvollkommenen nicht länger bleiben. Sein Hinscheiden schien die Sterbestunde meines Frohsinns zu seyn; die Zeit hat nun freylich die Wunde geheilt, aber die Narbe ist geblieben und kein Tag ist noch vergangen, sey er auch so froh, wie möglich gewesen, da ich seiner nicht mit süßer Wehmuth gedacht hätte und noch jetzt ist mir kein Gespräch intreßanter als von Ihm. Das kleine Denckmal, welches ich ihm ohngefehr 6 Wochen nach seinem Tode setzte, folgt hiebey. Seine Stelle wurde mir voriges Jahr durch ein schönes Mädchen, welche Julie genannt wird, ersetzt; es ist ein schönes Mädchen und ein lebhaftes Mädchen, aber es ist doch kein – Fritz! Im vergangen Frühjahr sind diesen 3 Kindern durch meinen Bruder, der beyläufig gesagt, jetzt einer der ersten practischen Ärtzte hier ist, die Blattern glücklich inoculirt worden; ich darf also nicht fürchten, daß ihre schönen Larven werden verunstaltet werden. An diesen 3 Kindern hänge ich mit gantzer Seele und in ihren süßen Schmeicheleyen liegt der Himmel des ehelichen Lebens. Meine Frau ist noch dasselbe gute Weib, wie Du sie kennen lerntest, sie hat sich auch im Äußeren nicht verändert und wer es nicht weiß, wird sie nie für eine Mutter von Einem, geschweige denn von vier Kindern halten. Nun ist eine Haubtfrage: wo von nährt man sich denn mit Weib und Kindern bey dem jämmerlichen Schuldienst? – Darauf dient zur Antwort: Ich hatte von meinen Kinderjahren her, vielleicht dadurch daß ich immer auf meines Vater kleiner Bücherstube lebte und so eine Art von Bibliotheckar war, eine große Liebhaberey für alte und seltene Bücher. Vogtii Catalogus Librorum rariorum war mein Haubtbuch und Du mußt es auch, mit vielen Beyträgen vermehrt, in Halle bey mir gesehn haben. Diese Liebhaberey bekamm | nun ein neues Leben als mir imm Jahr 1795 die Anfertigung des Catalogs der berühmten hiesigen von Rosenbergschen Bibliotheck, die aus 25000 BibliotheksBänden bestand, übertragen wurde. Hier hatte ich Gelegenheit meine Bibliographischen Kenntniße zu erweitern; ex officio mußte ich über manches Buch in 10 andern Büchern nachschlagen, um die litterärischen Notizen beyfügen zu können und durch die Versendung des Katalogs kamm ich mit manchen auswärtigen Liebhaber seltener Bücher in Verbindung; das gab mir denn zu dem Plane Anlaß hier seltene Bücher in den fast täglichen Auctionen aufzukauffen und sie durch gedruckte, und mit litterärischen Anmerkungen ausgestattete Cataloge auswärts zu verhandlen. Dadurch erweiterte sich meine Bekanntschaft und ich kamm besonders mit dem seeligen Oelrichs in Berlin und dem KirchRath Meierotto in Verbindung, auch haubtsächhch mit der gothaischen Bibliotheck. Durch diesen Handel habe ich denn so im Durchschnitt alle Jahr etwa an 300 bis 400 Rth. erobert. Was ich für Bücher beseßen habe, kannst Du aus den beygelegten Catalogen ersehen, von welchen Büchern aber kaum mehr als etwa ein Dutzend vorräthig sind, vielleicht erscheint aber bald ein neues Verzeichniß. Ein Paar Pensionairs die ich gehabt habe, haben denn auch noch mit helfen müßen. So, mein bester Schleyermacher, haben wir uns und helfen uns noch durch die Welt. Kümmerlich aber ehrlich. Ich wünschte aber wohl daß es einmal gemächlicher und sorgenfreyer hergehen mögte. Man versaurt beynahe. Meine schöne Sammlung von Dichtern pp die Du bey mir gesehen hast, mußte bald nach Deinem Hierseyn dem täglichen Brod Platz machen. Wir haben magre Jahre gehabt. Jetzt freylich geht es etwas beßer.
den 28 Augst.
Bey ökonomischen Gegenständen blieben wir letzthin stehn. Du weißt also nun daß Dein Freund zwar viel Beter ums tägliche Brod im Hause hat, daß er aber demohnerachtet doch schwer sorgen muß. Bey meiner Verheurathung war eine reiche Erbschaft von meiner Frau ihrem Onckel im Kicker, aber das glänzende Meteor hat sich beynahe in ein schmieriges untaugliches Wesen aufgelößt, wie das oft und viel mit den gläntzenden Hofnungen zu gehn pflegt. Die Erbschaft ist gethan, aber mein aberweiser Herr Schwiegervater hat sich brav übers Ohr hauen laßen, und jetzt scheint er sein Genie im Verzehren zu Tage legen zu wollen. Ich habe also auf nichts zu rechnen, und auf nichts zu dencken als durch eignen Fleiß, nicht blos mich und die meinigen zu erhalten, sondern auch noch, in Rücksicht auf jene Erbschaft gemachte kleine Schulden, abzuzahlen und dann wo möglich etwas für die Erziehung meiner Kinder zurück zu legen. Du siehst also, daß ich ein schweres, saures Amt in der Welt habe. Ein guter Rath wäre mir also recht lieb, wie ich etwa noch so etwas durch schriftstellern verdiehnen könnte, Du kannst mercken, daß ich es brauche. Mein Gehalt ist ohngefehr 250 Rth., und | da es jetzt so ungeheuer theuer in Dantzig geworden ist, so braucht man bey der strengsten Ökonomie wenigstens 600 Rth. – Ich will Dir dafür auch einen Rath geben, und der ist: Ja nicht zu heurathen bevor man sich so gesetzt hat, daß man wenigstens auf 150 Rth. mehr rechnen kann, als man nach einem gemachten Etat braucht; oder ein Mädchen mit einigen baaren Pfennigen zu erheurathen. Auf Erbschaften und Schwiegereltern zu rechnen, da sey Gott für. Ich hab’s erfahren. Gefällt Dir mein Lied? es fällt etwas im elegischen Ton? –
Meine Eltern leben noch beide. Mein Vater ist in die Stelle seines Collegen gerückt, und ein alter funfzigjähriger Candidat hat seine Stelle erhalten. Meine guten Alten haben auch der Leiden nicht wenig. Meine älteste Schwester, die an einen Rawicz verheurathet war, ist geschieden und mit ihrem Kinde in der Eltern Hause. Meine mittlere Schwester ist verheurathet an einen jungen Menschen, der als ÖkonomieInspector auf dem Lande lebt. Mein jüngster Bruder Ronn hat meiner Frau ältere Schwester, die Gundchen, geheurathet und hat in Oliva eine Brauerey gepachtet. Ihm geht es ziemlich wohl, vor vier Wochen ist er Vater geworden. Karl und Sarchen sind aus einander. Karl war Mann bis zum Eigensinn, und Sarchen war zu sehr Weib. Sie hat jetzt einen jungen Kaufmann zum Liebhaber, der freylich viel Präsente macht, aber dafür auch sehr dumm und einfältig ist. Sie liebt ihn aber um der Präsente willen. Die Eintracht, die Harmonie, die Liebe, die ehedem unter uns lebte und webte, ist von uns geschieden. Wir sehen uns oft in 2 Schwester, die Gundchen, geheurathet und hat in Oliva eine Brauerey gepachtet. Ihm geht es ziemlich wohl, vor vier Wochen ist er Vater geworden. Karl und Sarchen sind aus einander. Karl war Mann bis zum Eigensinn, und Sarchen war zu sehr Weib. Sie hat jetzt einen jungen Kaufmann zum Liebhaber, der freylich viel Präsente macht, aber dafür auch sehr dumm und einfältig ist. Sie liebt ihn aber um der Präsente willen. Die Eintracht, die Harmonie, die Liebe, die ehedem unter uns lebte und webte, ist von uns geschieden. Wir sehen uns oft in 2 – 3 Wochen nicht. Den Gang dieses Mißverständniß zu entwickeln ist für einen Brief zu weitläuftig und für mich wäre es ein viel zu melankolisches Geschäft, als daß Du es von mir verlangen könntest. Kurz es ist nicht alles Gold, was gläntzt. Mein gantzer Umgang ist jetzt auf meinen Bruder, den Doctor und deßen Frau eingeschränckt. Da der aber in floribus und ich in spinis mich befinde, so ist unter uns kein rechtes Verhältniß. Wie sehr wünschte ich Dich hieher. Ich würde wahrlich ein andrer Kerl werden; der Hausfreuden würden mehr seyn; Du würdest mit uns das Gute genießen und als Freund die finstern Tage mit uns durchschleppen. Wie schön wäre es gewesen, wenn Du Deinen Plan ausgeführt und uns besucht hättest. Nun wenn der Himmel nur einmal zur guten Stunde mir ein freundlich Gesicht machen und so eine Hälfte des großen Looses mir an den Hals werffen wollte, so kämme ich Dir zu vor und suchte Dich in Berlin auf und dann
den 5 November
Und dann – da sind wir stehen geblieben! – Es ist wahr mein Freund, Du hast lange warten müßen, ehe Du dieß Pappier zu Handen bekommen hast, aber dafür sende ich Dir denn nun auch einen außerordentlichen bevollmächtigten Abgesandten in der Person des Hern Nicksius, der ein treuer Freund unseres Bruders Karl, und durch ihn auch der unsrige | geworden ist. Er wird Dir von unsern Thun und Laßen, Weben und Leben so recht helle Ansicht geben können. Wenn es Deine Zeit erlaubt, so suche Nicksius so viel mit Berlin’s Merckwürdigkeiten bekannt zu machen, wie es seine und Deine Zeit erlaubt. Du wirst an Ihm einen recht braven Jungen finden. Er geht jetzt nach Liverpool, um von dort aus für ein englisches Handlungshaus zu reisen. Meine Frau läßt Dich tausendmal grüßen und wünscht Dich bald einmal wieder zu sehen. Wie oft wir von Dir sprechen, kann Dir das beweisen, daß meinen Kindern, der Nahme Schleyermacher ganz geläufig ist, und sie sich darunter ein Wesen dencken, das ihnen nahe angehen muß, weil es Vater und Mutter so oft beschäftigt, und die dabey so vergnügt aussehen. Das verlangte Flaschenfutter ist eigentlich der böse Feind, welcher diesen Brief so lange zurückgehalten hat; von acht zu acht Tagen hat man mich mit einer Antwort in Lachs vertröstet, wenn man im Stande seyn würde ein eintzelnes abzulaßen. Sie gehen zu hunderten nach Rusland und England, und da will man mit eintzeln sich gar nicht abgeben, weil man nicht im Stande ist, die größeren Bestellungen alle auszurichten. Nicksius mag Dir die Wahrheit bestätigen. Da die Schiffahrt aber nun ein Ende gewinnen wird, so hoffe ich daß bald eines anlangen soll. – Schreibe mir doch ob Du mit Meierotto gut stehst und was das für ein Mann ist? Ob er wohl etwas für jemanden thut, wenn er Hofnung dazu gemacht hat; und ob er die Theologie sehr liebt? Ich liebe sie nicht sonderlich. Und nun, lebe recht herzlich wohl! Ich umarme Dich als Freund und Bruder und wünsche Dich bald einmal wieder zu sehen.
Dein
Duisburg.
[A. B. Duisburg:] Kommen sie doch recht bald zu uns nach Danzig. Das wird viel Vergnuegen machen
ihre Freundin
B Duisburg
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  • Date: 26. August bis 5. November 1799
  • Sender: Friedrich Carl Gottlieb von Duisburg · , Anna Barbara Duisburg
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Danzig · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 3. Briefwechsel 1799‒1800 (Briefe 553‒849). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1992, S. 162‒168.

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