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Friedrich Schleiermacher to Wilhelm Heinrich Maximilian zu Dohna-Schlobitten

Berlin d 23t. Sept. 99.
Ich rechne auf Ihre Verzeihung, bester Graf, über den langen Aufschub der Beantwortung Ihres lezten, noch aus dem nun gewiß schon vergeßenen Exil geschriebenen Briefes. Ein unglükliches Schiksal hat freilich über Sie und Graf Alexander gewaltet, und waltet über Lezteren nun aufs Neue zu unser Aller großem Verdruß. Das ist doch in der That eine kleine Ministertirannei daß Ihr Bruder noch der geheime Rath von Seiner Excellenz Bein sein soll: denn wenn sich das nichts gethan hätte wäre er doch lange hier. Denken Sie nicht etwa ich glaube daß er sich übel in Königsberg befindet: ich zweifle gar nicht daß er recht glüklich mit Ihnen lebt; aber daß er Ihre Eltern und Geschwister hier so gar nicht sehen soll ist doch sehr hart, und wir seine hiesigen Freunde haben doch auch ein Recht ein wenig zu brummen auf diese Excellenz.
Daß die lieben Ihrigen seit Donnerstag wieder hier sind wißen Sie schon und ich kann nichts thun als Alles Gute bestätigen was man Ihnen von dem Befinden der Gräfin Friederike geschrieben haben kann. Die Reise ist ihr herrlich bekommen, ihre permanenten Uebel sind verschwunden, sie sieht sehr wol aus, der Puls ist gut – kurz es fehlt nur die lezte Vollendung an dem Werke ihrer Wiederherstellung und daß | die Natur sich an das Wolbefinden wieder gewöhnt. Mir ist nur bange daß die Gräfin sich gar zu wohl fühlt, und daß auch ihre Wächter und Wächterinnen an der nöthigen Vorsicht und Strenge zu früh nachlaßen. Ich fordere Sie Alle auf es an Ermahnungen hierüber nicht fehlen zu laßen. Da hat sie Gestern und Vorgestern mit ein Paar Diners debütirt daß mir angst und bange geworden ist und nicht nur die Kranke, sondern auch die Gesunden hegen die höchst gefährliche Meinung, daß das gute Eßen in dem Hotel de Pologne zu Dresden bei den bisherigen Fortschritten das Beste gethan habe. Geschaudert habe ich gleich Anfangs über diese Idee, aber unmöglich konnte ich gleich beim ersten Wiedersehen recht kräftig dagegen streiten
Den Wünschen welche Sie in Ihrem lezten Briefe äußerten über das was hier gesehen werden sollte, ist nicht ganz Genüge geschehen. Die Siburgsche Manufaktur, das TaubstummenInstitut und die Erwerbschulen sind nicht gesehen worden. Es war in der That nicht möglich Alles zu bestreiten, weil Gräfin Friedrike nirgends gern zurükblieb, und sie sich so schon über die Gebühr angestrengt hat. Halten Sie Sich jezt noch eine Zeit lang hier auf, worüber soviel ich weiß noch nichts entschieden ist, so kann ja noch Manches nachgeholt werden. Alles indeßen was Sie proponirt haben | kann doch den jungen Damen nicht gleich interessant sein, und ich glaube, daß man das Lagerhaus und am Ende auch die Erwerbschulen – von denen wirklich der Begrif mehr werth ist als eine einzelne Anschauung – füglich streichen kann. Den Siburg wird wenigstens Ihr Vater, der noch kurz vor der Abreise Herrn von Bassewiz Bekanntschaft gemacht hat, gewiß sehen. Was ich wünschen soll in Rüksicht der Reise und des Hierbleibens Ihrer Eltern und Geschwister, weiß ich in der That nicht. Graf Alexander scheint einen lange fortgesezten Aufenthalt hier für gut zu halten; aber ungerechnet daß seinem Projekt in ein wohlfeiles Hotel garni zu ziehen tausend Schwierigkeiten im Wege stehen, so kann man doch nicht wißen wie der späte Herbst sich hernach zur Reise anlaßen wird. Könnte Gräfin Friedrike den ganzen Winter hier bleiben so wäre es etwas andres; das wünschte ich in jeder Rüksicht gar sehr – aber wie ist es zu machen? Herz, aus dem bloß medicinischen Standpunkt meint, so bald er wiße daß die Gräfin so bleibe wie sie jezt ist, würde er zur Reise rathen damit sie in Ruhe käme. Dagegen ist nichts zu sagen und fragt sich nur, ob sie wirklich in Ruhe kommen würde, es sei nun, daß sie den Winter in Schlobitten oder in Königsberg zubringen?
Wäre nur Graf Alexander hier, das ist jezt die Hauptsache; einen Gruß an ihn will ich Ihnen wol geben aber ich hoffe zu Gott und seiner Excellenz daß Sie ihn nicht mehr werden bestellen können. Bis er komt soll mir Professor Fischer recht viel von Ihnen Allen und von Ihrer Frau Schwester in Marienwerder erzählen. |
Den Grafen von Schlodien habe ich hier unglüklicherweise verfehlt; ich erfuhr sein Hiersein erst nachdem er schon abgereist war. Ihre Versicherung daß die Grafen von Karwinden und Wedeke noch die nemlichen sind wie vor acht Jahren ist mir viel werth um ihret- und auch um meinetwegen: denn ich wende diese Unveränderlichkeit, so unbedingt wie sie dasteht auch auf ihre freundschaftlichen Gesinnungen gegen mich an. Wedeke der mir sonst wol zu schreiben pflegt hat nun schon beinahe ein Jahr nichts von sich hören laßen
Ihr gütiger Antheil an meinen Beschäftigungen ist mir um so beschämender je geringfügiger diese sind. Mein Vierteljähriger Aufenthalt in Potsdam ist der würdige Anfang einer in Rüksicht des Arbeitens höchst traurigen Zeit für mich gewesen. Ich bin seitdem noch zu nichts ordentlichem gekommen, und ich kann nicht einmal sagen daß ich um desto mehr gelebt habe je weniger ich studirte. Für diesen Winter habe ich nun die besten und brillantesten Vorsäze – ich will alle Moral welche geschrieben worden ist von Anbegin der Philosophie an lesen und kritisiren, und nebenbei eine Geschichte der englischen Kolonie in New South Wales schreiben an der ich in der That schon arbeite; bekommen wir aber wieder solche Kälte als im vorigen Winter, und das fürchte ich leider, so werden in dieser vermaledeiten Wohnung unfehlbar alle meine Gedanken erfrieren.
Adieu, lieber Graf, grüßen Sie mir alle Ihre Brüder recht herzlich.
Schleiermacher.
Metadata Concerning Header
  • Date: Montag, 23. September 1799
  • Sender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Recipient: Wilhelm Heinrich Maximilian zu Dohna-Schlobitten ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 3. Briefwechsel 1799‒1800 (Briefe 553‒849). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1992, S. 185‒188.

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