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Lotte Schleiermacher to Friedrich Schleiermacher

Gnfr d 21ten Novbr 1799
Wie wäre mir es möglich diesen mir so lieben und merkwürdigen Tag zu beschließen, ohne Dich schriftlich zu grüßen – so wenig schreibseelig ich auch jezt bin – welches mein langes Schweigen deutlich zeugt, da ich sonst imer im voraus schreibe, ohne die Briefe wegzuschiken. Alle meine Correspondenten haben schon lange nichts bekomen, und wer weiß wie lange sie noch warten müßen! und woher komt das? Weil ich theils beständig mit bestelten Strümpfen und Müzen beschäftigt und dan zur Erweiterung meiner kleinen Kentniße manches von der Geschichte und Geographie handelnde Buch lese, auch mit französischen Büchern mir je zuweilen eine Stunde hingeht – um das nicht ganz zu vergeßen was unsern Eltern so schweres Geld gekostet. Keinen neuen freundtschaftlichen Umgang pflege ich nicht – betreibe auch keinesweges den alten, sondern nehme dankbar an, was mir von freundlicher Mittheilung zu Theil wird – und empfinde den Werth davon gewiß nicht weniger als sonst – die unergründlich tiefen Falten des menschlichen Herzens – die sich oft auf eine unangenehme Weise öfnen – haben – mich – nächst der sich befestigten eignen Consistenz dazu veranlaßt – ich wünsche daß Du dis recht faßen mögest und mir glauben daß ich mich recht wohl dabei befinde. | Daß ich ohngeachtet meines Schweigens, die Zeit her Deiner viel gedacht habe, brauche ich Dir nicht erst zu betheuern – Dein Herz sagt es Dir – Du müstest mich weniger kennen, wenn Du Dir nicht vorstellen köntest daß bei meinen kleinen Beschäftigungen mit den Kindern als auch im Umgang mit Andren, ich Anlaß genug dazu finde. Die öffentlichen Vorträge – besonders die des Bruder Schneiders geben auch Gelegenheit – erinern mich an alte Zeiten – zu Hause – an Brieffwechsel – und Wortwechsel – genug hievon – ich müste Dich weniger lieben wens nicht so wäre. Daß ich den heutigen Tag bei Baron Seidliz feiern würde und noch dazu in Geselschaft der Comtesse Posadowsky mit welcher ich noch nie zusammengespeist – hätte mir wohl am frühen Morgen nicht gedacht – lezteres traf sich freilich von Ungefähr. Die edle Gräfin war aber ganz allerliebst – Barons denen ich weil sie Dich kennen es sagte – nahmen freundlichen Theil[;] wo! und mit welchen Menschen magst Du Dich befinden! schon in Deiner neuen Wohnung – wieder allein – ohne Donans — wenn ich doch bald etwas davon erführe – – dieses bekomst Du schon nicht eher bis ich einen Brief habe – mein Dich liebend Herz wünscht Dir jede wahre Freude! deren Du an Geist und Herz empfänglich – vorzüglich aber Gesundheit – |
den 30ten November
Den Sonabend wende ich gern wenn ich kann, zu allerley Arbeiten oder Schreibereien für mich an, so geschieht dis denn auch Heute, nachdem ich seit meinem lezten – sehr an NervenKopfweh – und der damit begleitenden Schwäche gelitten – unangenehm war es mir hauptsächlich weil es sehr besezte SchulTage betraf – doch konte ich meine mir sehr angenehmen Geschäfte besorgen – die nach einem kurz vorher gehaltnen Examen – mir aufs neu angelegen und zur lieblichen Pflicht wurde zu der Bildung so verschiedner Kinder etwas beizutragen – aufrichtig zu gestehen machte mir die mit ihnen vor dem Examen, durchgegangne Prüfung in der Erdbeschreibung und Geschichte mehr Freude als das wirkliche Examen, in welchem sie nur sehr oberflächlich gefragt natürlich auch sehr unbedeutend antworteten – – so unwillig war ich eben nicht — als ich vor 5 Jahren dabei war – weil ich gewiß weis daß Alle diejenige die sich dafür interressiren, besonders Rothe – der es hielt durch seine öftern Besuche in meinen Schulen, von ihren kleinen Kentnißen völlig überzeugt ist; ich hoffe es wird öfterer als sonst geschehen, damit die jungen FrauenZimer eine Fertigkeit bekomen sich vor einer ordentlichen Geselschaft – über gewiße Einsichten oder Kentniße zu erklären – so wie sie es in meinen Schulen in schriftlichen Auszügen thun – Siehe da ein ganzes Blatt! geschmirt – |
den 1ten December 1799
Heut vor 8 Tagen hielt meine gute von Pritwiz ihren Kirchgang mit einem lieben starken Jungen Herman Albert – der wie es sich jezt zeigt mehr seinem Vater gleichen wird. Der ältere, Moriz ist ganz die Mutter oder vielmehr der JustizRath Seidliz – in seiner ganzen Corpulenz und allen Mienen –. Ich hatte meine Freundin 9 Wochen nicht gesehn – da sie die lezte Zeit wegen des schlechten Weges nicht kam, auch in Kuchendorf Wochen lag – es war mir daher ein feierlicher sehr rührender Anblik, Sie, ganz wohl – und froh – mit dem Kleinen (den sie selbst stillt) in den Saal komen zu sehn – da eben nicht viel Volks um sie war begrüßte ich sie bald nach der Predigt im Saal – ach sie war so herzlich und drükte mir für meine Theilnahme so warm und bieder die Hand daß ich in dem Augenblik auch Deiner dachte – – Nachmittag gieng ich zu ihr – ohngeachtet ich 3 Stunden dort verweilte – waren wir doch nur eine ViertelStunde allein – bei der Ueberreichung einger Kleinigkeiten – an Strümpfen und Handschuh für Moriz der den 28ten November, 3 Jahr wurde – bedankte sich die Edle so einzig – daß ich mich im inersten tief schämte – ich hatte ihr Deinen lezten Brief mitgebracht – weil sie selbige so gern liest den folgenden Tag schikte sie mir ihn wieder – Moriz ist mehrentheils hier bei den alten Pritwizes – ein lieber Junge |
den 8ten December
Heute bei meinem Frühstük welches immer gegen 7 uhr eingenomen wird war Dein lieber Brief meine Unterhaltung – gestern als ich mich eben anzog um ins Abendmahl zu gehen, empfieng ich ihn – sahe aus Eilfertigkeit geschwind hinein – und traf eben die Stelle von Carln – diese Neuigkeit überraschte mich sehr und fülte mein Gemüth so an, daß ich das übrige gern bis heute ließ, meinen herzlichen Dank Lieber daß Du mir diese Nachricht gegeben – ich bin eben so wenig für die Ueberraschungen – und da ich ja wohl die Woche und den Tag nicht vorher wißen soll, wird es dann doch noch eine sein – die Vorstellung eines Wiedersehns oder ähnlichen Genuß der Seele – und die Rükerinrung aller der Freuden – ist mir eben so viel – ja oft noch mehr werth – Du verstehst dis ohne weitere Erläuterung – da er mir diese Aussicht des Breslauer engagement verheimlichen wolte, werde ich wohl bis zu der Ankunft keinen Brief erhalten, welches mir sehr unangenehm wäre – komt keiner vor dem JahresSchluß – denn schreibe ich es ihm daß ich es weis und werde es schon so einrichten daß er nicht zürnt. ich kome hier auf eine Stelle die am Ende Deines Briefes steht doch sie gehört hieher nehmlich die Reise – diese hängt also auch noch von mancherley Verhältnißen ab – so wie ich auch noch nicht bestimt sagen kann, ob, wie ich es vorgenomen und auch Dir geschrieben hatte ich künftiges Jahr nach Gnadenfeld reisen werde, um die Mutter mit den Schwestern dort zu sehn – auch Carls Wiedersehn so nahe es scheint ist mir noch dunkel und ferne – doch freue ich unaussprechlich darauf. Vielleicht sehen wir Uns alle 3 hier oder in Gnadenfeld – – |
Daß Du diesen Herbst gekränkelt – und jezt noch Schmerzen in den Augen hast erregt meine ganze Theilnahme – als Freundin Schwester – und SelbstErfahrung mancherley erduldeter Uebel und Überbleibsel von Schwäche erhöhet diese Mitempfindung noch – mögten doch die kalten Wintertage, die einem geschwächten Cörper (wenn man sich nur gehörig warm hält) oft am zuträglichsten sind – auch Dir neue Kräfte geben. Dein eignes Geständniß – daß die verschiednen unangenehmen Ereigniße unter Deinen Freunden – Deine kränkelnden Anlagen vermehrt – war mir in so fern lieb – weil ich vor einger Zeit schon bemerkt – und Dir zu verstehen gab – daß Deine Nerven dabei leiden würden, da, ich gewiß glaube, daß wir Beide – einen viel zu umfaßenden Geist – für unsern zart gebauten Cörper haben – ich weiß nicht ob ich mich recht ausgedrükt habe – ich habe dazu wenig Worte, fühle aber desto mehr was ich sagen will – auch hier um mich her – gab es seit geraumer Zeit manches traurige – was zwar nicht Freunde aber doch bekante Menschen betraf – und einen recht inerlich nagen kann – jemand hier in der Nähe mochte auch sagen wie Du bei der Grunen, daß er durch | den reinsten Eifer die Sache nur schlimer gemacht – so geht es, unser guter Wille – und Wirksamkeit verdirbt oft manches, was, einen beßren Ausgang nähme, wenn man es der Natur der Sache überließe –
Hier fallen mir sehr natürlich jene geheimnißvollen Unternehmungen des Grafen Donan [ein], wobei Du wie mirs schien die MittelsPerson warst – in diesem Briefe sagst Du gar nichts davon – Theilnahme nur, nicht Neugierde läst mich fragen ob die Sache gut abgelaufen? Daß die edle leidende Friderique wieder munter ist – freut mich ungemein – aber auch hieran lese ich nichts bestimtes ob sie Adolph Donenhof seine Gattin wird – oder ein beßeres Loos erwartet – daß sich Dir alles aus den alten Zeiten erneuert, und Deine Existenz in der Nähe jenes köstlichen Geschöpfes gleichsam erhöhet wurde, kann ich mir sehr gut vorstellen – auch ist mir dieses nicht so ängstlich wie Dein Umgang mit der Herz – doch! ich wolte ja schweigen! – Die GeburtsTagsFeier war ja besonders ein wekendes Bild der alten Situation – die Verse die Du dazu gemacht hast – mögte ich wohl gerne lesen – dergleichen Producte Deines Geistes und Herzens sind mir viel werth – die kleinen Andenkens die ich davon besize, haben mir und solchen die dafür empfänglich schon viel Freude gemacht – – Du wirst Dich erinnern daß ich oder vielmehr Du selbst, mir auch die Verse abgeschrieben, die Du für Pritwiz Zimmermann und Schlegel gemacht |
den 9ten December
Da Du das gute Zutraun hast, daß schon Briefe von mir unterwegens so will ich Dich auch nicht länger warten laßen, sondern ihn heute endigen – Du machst mir dagegen die Freude – und schreibst in den Feiertagen – so – daß ich zum Schluß oder bald zu Anfange des neuen Jahres etwas von Dir bekomme. Sehr faßlich ist mir es, daß der Unterschied unsrer Jahre etwas beträchtliches bei den Erscheinungen aus alten Zeiten wirkt – aber eben so wirst Du mich verstehen, wenn ich Dir sage, daß es mir nicht nur eine Freude, gute Menschen, die von unsern Eltern geschäzt wurden wieder zu sehn – sondern es erregt eine eigne Dankempfindung – in meinem jezigen Verhältniß – es zu fühlen – daß wir einander viel sind – viel sein könten wenn wir uns öfterer sähen – so ist mirs doch seit geraumer Zeit schon mit vielen treflichen Menschen gegangen. Da ich die lezten 2 Jahre in Anhalt ganz besonders viel mit unsrer lieben Mutter abgehandelt – und überhaupt sie mehr – handeln sah – als Du! so ists wohl natürlich – daß ich mir ihr Wesen in den manichfaltigen Laagen – eben so wie das Bild des Vaters erinerlich machen kann – auch habe, ich, in meinen Verhältniß im täglichen Umgang mit so verschiednen Menschen – als auch bei den Kindern viel Anlaß dazu; alles was Du hierüber sagst war meinem innern wohltätig – wie Du wohl glauben wirst – |
Was ist denn aber Deinem Schlegel zugestoßen? hat er unnötige Ausgaben gemacht die ihn drängen – oder sich als Gelehrter in Dinge gemischt die ihm nicht zukommen – Du redest ja in einem recht traurigen Ton von dem Menschen! Die Lotte geht so ihren Gang fort – ungleich sanfter als weiland – ist sehr tätig – doch ohne viel Geräusch – wir sehen uns täglich – doch nur beim Wechsel der Stunden – zuweilen komt sie in meine Stube, macht mir Mittheilungen die mehrentheils unsre Zöglinge betreffen! – die Bedürfniße über sich zu sprechen scheinen nicht so dringend zu sein – da der Bach des Lebens so ziemlich klar – und nicht wie vor Zeiten über so manche felsenartige Steine rauscht – noch weniger Klippen im Wege sind – vor 9 Wochen hatte ich die Freude eine alte Freundin wieder zu sehn von der ich Dir Anno 1793 – 94 – schrieb – ich nante sie das SchneiderMädgen sie kam 96 – nach Gnadenberg – es war mir recht wohl mit dem guten Geschöpf – sie verweilte einge Wochen, Du kanst glauben daß manches Frühstük und AbendThe mit ihr verzehrt wurde wir kamen so oft zusamen als es meine Verhältniße zuließen, und doch fanden wir bei der Trenung daß uns noch viel übrig blieb – Du weist ja wie das geht! doch ist durch das Wiedersehn manches wieder angeknüpft – nun noch etwas von freundtschaftlichem Ersehn. | Meine trefliche Aulock die ich seit Pfingsten eigentlich nicht gesehn und diesen Herbst es auch gar nicht hoffen konte, da sie so sehr leidend ist – erschien am 3ten November – zwar nur auf ein Stündgen – doch es war mir viel werth! ich gieng gleich mit dem Gedanken ins Logis „Wem Augenblike nicht genügen – dem sind auch Ewigkeiten nicht hinreichend“ in dieser Stimung genoß ich es ganz dis Wiedersehen – wir fühlten es was es heißt ohne sich selbst zu verändern, in dem Andern seine Existenz zwiefach zu finden – Wir Beide sind während unsrer Bekantschaft – durch cörperliches Leiden – – und andre Dinge geläutert – und sanfterer geworden – O! ich kan Dir das nicht so beschreiben! Daß dis alles an einem Tage traf, wo ich dieser Aufheiterung gar sehr bedurfte, am GeburtsTag meiner unvergeßlichen Zimmermann – wirst Du mir wohl gönen und es leicht faßen – daß ich bald nach diesem Besuch einen recht langen Brief an die Edle schrieb – und seitdem auch 2 Zettel von ihr habe. Diese Frau – meine ganze Geschichte mit ihr – meine Art der Beleidigung und ihre Güte – und dauernde Freundtschaft – hat mir schon Schaam und Freudenthränen entlokt – – mich sonderbar mit meinem Wesen bekant gemacht, kurz – mir Freuden und Leiden gewährt die Niemand mir schaffen konte – Schon lange habe ich nicht so viel von mir gesprochen mein inigster Wunsch ist, daß Du Deine Augen nicht zu sehr über diesem Studium angreifen mögest – und Alles recht faßen – wenn ich auch nicht zweifle daß Du Dich in meine jezige Art zu sein verstehst. bitte gewähre mir wegen einem baldigen Schreiben meine Bitte
L. S.
Metadata Concerning Header
  • Date: 21. November bis 9. Dezember 1799
  • Sender: Lotte Schleiermacher ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Gnadenfrei ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 3. Briefwechsel 1799‒1800 (Briefe 553‒849). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1992, S. 257‒263.

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