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Friedrich Schleiermacher to Carl Gustav von Brinckmann

Berlin d 22t. Merz 1800.
Wie Du leicht denken kannst ist es mir sehr viel werth lieber Freund daß mein Buch auch für Dich und gewißermaßen in Deinem Namen mitgeschrieben ist, und einen angenehmen Eindruk auf Dich gemacht hat. Ich glaube daß Jemanden der ein Buch geschrieben hat Nichts angenehmeres begegnen kann als wenn er erfährt daß einige Menschen, von denen er es am liebsten will, ihn mit Wolgefallen gehört haben. So wenigstens ist mir zu Muth, und dies wird immer mein liebstes Ziel bleiben wie tief ich mich auch noch ins Bücherschreiben verwikeln mag. Es komt mir mit der theuern Buchdrukerkunst vor wie mit der Posaune, deren würdigster Gebrauch doch bei weitem nicht ist sie der Fama in den Mund zu geben um irgend etwas in alle Welt hinaus schreien zu laßen, sondern wie wir es gesehen haben von einem kleinen Thürmchen herab eine kleine Gemeine zusammenzuloken, oder ihr damit voranzugehen und ihre Empfindungen zu verkünden und zu begleiten. Deinem Wunsche gemäß schike ich Dir mein zweites Kind, welches dem Tadel kluger Menschen, daß es ein mystisches Galimathias ist, leicht noch mehr ausgesezt sein dürfte als das erste; ich bitte Dich dabei nicht sowol auf das zu sehen was darin steht als viel|mehr auf das blanc de l’ouvrage, auf die Voraussezungen von denen dabei ausgegangen wird und die ich so Gott will in ein Paar Jahren in einer Kritik der Moral und einer Moral selbst auf andere Weise und schulgerecht darzulegen denke. Das principium individui ist das mystischste im Gebiet der Philosophie und wo sich Alles so unmittelbar daran anknüpft hat das Ganze allerdings ein mystisches Ansehn bekommen müßen. Du siehst aus diesen Andeutungen, daß ich es nicht bei dem bisher geschriebenen bewenden zu laßen gedenke, sondern noch mehr Bücherkeime im Kopf habe. Am Ende muß ich doch daran denken der Welt etwas zu thun. Dich möchte ich, aus diesem Gesichtspunkt zum Drukenlaßen gar nicht auffordern. Du hast eine große Menge von Freunden und mit Deiner erstaunlichen Thätigkeit kannst Du auf sie alle einzeln wirken und diese schönere Wirksamkeit müßte leiden wenn Du Dich ex professo und anders als nur gelegentlich mit dem Bücherschreiben abgeben wolltest: ich hingegen habe der Freunde nur wenige und noch dazu weder das Talent zu sprechen noch Briefe zu schreiben, so daß auch sie am Ende Manches was ich denke und glaube nicht anders oder wenigstens nicht beßer erfahren können als aus den Büchern, und so bleibt mir nichts andres übrig als dieses. Denke nur nicht daß sie Alle in diesem Styl sein werden, und siehe die Reden und die Monologen nur so an, als wenn Jemand | der ein recht ordentliches Concert zu geben gedenkt sich vorher und ehe die Zuhörer recht versammelt sind etwas auf seine eigne Hand fantasirt. Dir nun lieber Freund hätte ich besonders in Beziehung auf diesen meinen neuen Beruf eine große Bitte vorzutragen die mir sehr am Herzen liegt. Du wirst aus dem Athenäum gesehen haben, daß Schlegel (ohnerachtet er von dem Posaunenton in seiner Notiz nichts ahndet, und vielmehr glaubt neben dem Lobe seinen Tadel, und seine Abweichungen von mir sehr stark angedeutet zu haben) zu einer ordentlichen Kritik nicht zu gebrauchen ist, Du weißt wie wenig man sie von den Recensenten erwarten darf, und weißt zwar nicht, kannst mirs aber glauben daß ich wenigstens herzlich ungeschikt bin mich selbst zu kritisiren. Laß Dich also erbitten dieses Liebeswerk an mir zu thun und mir ein recht ordentliches ausführliches Urtheil über die Reden abzufaßen von Deiner Unpartheilichkeit an die meinige gerichtet[.] Auch ohne den Nuzen den ich davon erwarte wäre es mir höchstinteressant zu wißen wie Du Manches Einzelne darin ansiehst; und da ich weiß wie schnell Du liesest und schreibst, so glaube ich daß meine Zumuthung nicht frecher ist als die Freundschaft erlaubt, auch wenn Du deshalb die Reden noch einmal durchlesen müßtest. Sollten nicht meine Bitten Dich vermögen den Reden zu thun was Du ungebeten der Lucinde gethan hast? Noch einen großen Dienst könntest Du mir erzeigen wenn Du mir Deine Recension der Lucinde, wenn Du sie anders bei der Hand hast schiken wolltest; es müßte | aber sogleich geschehen, wobei ich Dich versichere daß kein Mensch eine Sylbe davon erfahren soll und daß ich sie ganz allein für mich haben will. es wäre mir eine sehr wesentliche Gefälligkeit, und um so wesentlicher je eher. Daß Du die Religion Jakobi’n mitbringen willst ist mir sehr wichtig; ich habe lange gewünscht, daß er sie kennen möchte, und dabei oft recht ausdrüklich an ihn gedacht. Du kennst meine alte Verehrung gegen ihn, die durch nichts neueres verringert sondern nur bestimmter geworden ist. Zwar glaube ich daß sie ihn anfangs wenigstens nur polemisch afficiren wird, indeß wenn sie ihn nur afficirt. Reinhold wird sie dann zugleich auch kennen lernen was mir ebenfalls lieb ist – und durch wen könnte ich lieber wollen, daß sie diesen beiden Männern applicirt würde, als durch Dich? Auch verlaße ich mich drauf daß Du mir, so offen als es unserer Unpartheilichkeit geziemt, sagen wirst, wie ich von ihnen aufgenommen worden bin. Da giebt es in Königsberg einen Kriegsrath Scheffner (dem man als einem vertrauten Freunde von Hippel lange Zeit an den Werken des lezteren einen bedeutenden Antheil zugeschrieben hat) der hat in den Reden neben allem übrigen auch Herrnhutische Ideen gespürt. Das ist doch von einem solchen Weltkinde wirklich sehr scharfsichtig.
Gar sehr empfehle ich Dir Friedrich Schlegels Gespräch über die Poesie in dem neuesten Stüke des Athenäums, welches in diesen Tagen erscheint es ist voll sehr schöner Ideen, und gewiß das | Klarste, was er noch geschrieben hat. Nur die neue Mythologie hat mir so etwas sonderbares an sich; ich kann nicht begreifen wie eine Mythologie gemacht werden kann. Dagegen sind die Ideen noch ein, hoffentlich das lezte, Produkt seiner sich doch immer mehr verlierenden innern Unfertigkeit und ungeordneten Fülle von Gedanken und Anregungen. Dies ist ein Zustand durch den er nach seinem ganzen inneren Wesen, der Art seiner Bildung, und der Größe seines Zieles und seiner Ansichten nothwendig hindurch mußte, und ich glaube nach vielen Anzeigen ihn nun am Ende desselben zu sehn. Etwas gründlicheres, und dann hintennach wizigeres als die Notiz von Wilhelm Schlegel über Voß pp ist mir lange nicht vorgekommen. Der Wettgesang ist eine herrliche Idee und die Eigenthümlichkeit vortreflich gehalten, nur der Zusammenhang ist mir etwas zu lose. Was von Garve darin steht ist von mir und ich bitte Dich dabei nicht an das zu denken was Du vielleicht von Schlegel im Manuskript über ihn gelesen hast. Es ist dies nun der zweite Versuch den ich im Recensiren – wenn Du dies so nennen willst – mache, und beide sind mir, wie ich sehr bestimmt fühle mißlungen. Doch muß ich’s noch weiter versuchen, denn das Recensiren ist mir durchaus nothwendig um mich im Lesen zu üben – nur daß ichs ein andermal nicht wieder druken laßen werde. Hier hast Du eine Relation von mir, die doch so gründlich ist, als ob Du mein Pfleger wärest, und mich gesprochen hättest. Daß Du von dem was ich über Schlegel sage keinen Gebrauch machst, bitte ich nicht erst. |
Und nun, mache vor allen Dingen daß Du gesund wirst und reise nicht eher nach dem Nordpol; Dein kleiner König hält ja so noch Reichstag wohin laut den Zeitungen Niemand kommen darf, der nicht dazu gehört. Wie kommst Du zu allem Kranksein? Da mache ich der Niskyschen physischen Erziehung mehr Ehre; die abscheuliche Kolik abgerechnet, an der ich aber weit eher gelitten habe als ich nach Niesky kam, bin ich doch erstaunlich gesund. Lebe wol, und laß mich Dir empfohlen sein.
Schl.
Spalding könnte eher über ein Projekt ihn selbst zu vergiften deliberiren als über eins das seine Natur beträfe und ich scheine ihm vielleicht das leztere gewißermaßen gethan zu haben
Metadata Concerning Header
  • Date: Samstag, 22. März 1800
  • Sender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Recipient: Carl Gustav von Brinckmann ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Hamburg · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 3. Briefwechsel 1799‒1800 (Briefe 553‒849). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1992, S. 433‒437.

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