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Friedrich Schleiermacher to Lotte Schleiermacher

Berlin d 29t. Merz 1800.
Wir haben Heute des guten Alexander Dohna’s Geburtstag gefeiert mit einem Thee bei unserer gemeinschaftlichen Freundin Herz. Wir waren alle recht innig vergnügt und wie wir beide uns freuten, einen so guten und lieben Freund zu haben, so freute auch er sich über uns. Von seinen Eltern und Geschwistern bekam er die zärtlichsten Briefe voll Liebe und Dankbarkeit die freilich dieses Jahr besonders in Regung waren weil er dort durch seine Anwesenheit so sehr das gemeinschaftliche Wohl und die häusliche Ruhe befördert und noch fast Jedem besonders ntüzlich gewesen war. Vorzüglich rührend war mir wie Du leicht denken kannst Friederikens Brief die ihm so recht aus der Fülle des Herzens für ihre Befreiung dankte wovon er doch die erste Ursach gewesen ist und ihre jezige Ruhe und Glükseligkeit wie als ein Geschenk von seinen Händen annahm. Gott sei Dank daß durch diese ganze Katastrophe auch ihre Gesundheit nicht gelitten hat, wie wir alle fürchteten; es verliert sich vielmehr nun auch jede Spur ihres kranken Zustandes und ich hoffe sie diesen Herbst ganz wieder hergestellt und heiter zu sehn denn sie wollen wie sie im vorigen Jahr hier waren nach Karlsbad gehn und dann auf dem Rükwege hier durch kommen. Es ist etwas ganz eignes und hat so etwas patriarchalisches an sich wie die ältesten Söhne in diesen vornehmen Häusern gehalten werden, die Geschwister sehen ihn an als den zweiten Vater die Mutter ehrt ihn als ihren künftigen Beschüzer und der Vater selbst glaubt ihm von allem Rechenschaft schuldig zu sein. Alexander verdient es aber auch, er ist gar ein treflicher Mensch. – Bei Karlsbad fällt mir Deine Gesundheit natürlicherweise auch ein. Laß Dich doch erbitten liebe Lotte, und denke bei Zeiten darauf dies Jahr auch eine kleine Badereise zu machen. Du klagst wieder über Dein Kopfweh und es würde Dir gewiß nichts so gut thun als dieses; unterlaße doch nur auch aus Aengstlichkeit für Deine Geschäfte nichts was Deiner Gesundheit nöthig ist, das führt am Ende darauf nicht eher für Dich zu sorgen bis Du ordentlich krank wirst, wodurch sie doch noch mehr leiden. Ich warte alle Tage ängstlich auf Briefe von Karl mit näherer Nachricht von seiner Reise, die ich Dir gern so gleich mittheilte damit Du ihn nicht zu früh erwartest oder auch eher als Du denkst von ihm überrascht wirst. Der junge Mensch ist aber im Schreiben ein wenig gar zu nachläßig
den 31ten Du kannst Dir denken, liebe Schwester, wie ich heute in herzlicher Liebe besonders an Dich denke und Dich zum Gegenstand meiner wärmsten Wünsche mache. Noch immer liegt mir besonders im Sinn was Du mir von einer möglichen Verlegung Deines Aufenthaltes geschrieben und worüber ich seitdem noch nichts entscheidendes gehört habe. Es liegt mir wol besonders | an, daß Du auch dieses Jahr ungestört an dem lieben Orte zubringen möchtest, wo Du nun schon so viele Jahre zu Deiner Zufriedenheit gewesen bist, wo ich Dich in der Nähe einiger lieber Menschen weiß die einen besonders herzlichen Antheil an Dir nehmen, und wo Du grade auf die Art thätig bist die sich zu Deinem ganzen Wesen und zu Deinem Gesundheitszustande am besten schikt, und zu dem ich auch eine alte Liebe trage. Möchtest Du mir bald hierüber etwas tröstliches sagen. An Deine lieben Freundinnen dort denke ich auch heute mit besonderer Dankbarkeit und Freude über ihre Anhänglichkeit und Alles was sie liebes und Gutes für Dich empfinden und thun, jede nach ihrer Art und nach dem was sie für Dich sein kann[.] Wie werden auch sie Alle Deiner heute gedenken und jede gern ein vertrauliches Stündchen mit Dir zubringen. Ich werde doch hören wie Du mit ihnen diesen Tag verlebt hast. Ohnehin habe ich von mancher unter ihnen, unter andern von Lotte Schlegel, schon lange nichts gehört, und von Allen weniger als ich wünschte. – Nächst dem bitte ich Dich noch einmal mache doch daß Du gesund bleibst, und scheue manche kleine Umständlichkeit nicht um etwas recht gründliches für Dich zu thun. Wirklich kann ich mich Dir hierin zum Muster vorstellen. Ich habe doch auch mein Amt, dem nichts zu vergeben immer meine erste Sorge ist, und bin außerdem durch meine andern Arbeiten und Studien eingeschränkt und überdies nun schon seit ein Paar Wochen meine Kolickschmerzen völlig los: dennoch laße ich mich weder Geld noch Zeit noch Weitläuftigkeiten reuen eine recht ordentliche Kur zu brauchen die wenigstens ein Vierteljahr dauern wird, um mich wo möglich recht von Grund aus zu heilen. Thue Du ein Gleiches, und denke, daß das auch eine theure Pflicht ist, ohne welche man die übrigen nicht erfüllen kann.
den 8ten April Das begreife ich nicht liebe Lotte was der Karl anstellt. Mir schreibt er nicht und Gestern bekomme ich einen Brief aus Landsberg mit der Nachricht er habe an den Onkel geschrieben daß er über Landsberg reisen würde. Dies ist freilich von Stettin aus der grade Postweg nach Schlesien, aber dann käme er nicht über Berlin, und ich kann mir doch nicht denken daß er seinen Plan so abändern würde ohne mir ein Wort davon zu sagen. Der Onkel und die Benike erkundigen sich fleißig nach Dir, solltest Du nicht dem ersteren einmal wieder schreiben? Er selbst ist noch wohl und munter fast zu meiner Verwunderung, die Tante aber kränkelt und quält sich, was bei einer Frau von ihren Jahren wol selten ist mit Würmern, und Vetter David ist noch immer im väterlichen Hause ohne Versorgung und ohne bestimmte Aussicht. Mich kränkt und ängstigt das so oft ich daran denke, und ich wage es nicht diese Seite in meinen Briefen an den Vater zu berühren. Es ist ein unglüklicher junger Mensch, der sich alle Verhältniße in die er kommt immer gleich wieder verdirbt durch eine seltne Ungeschiktheit und eine bis zum Abgeschmakten gehende Empfindlichkeit. Dabei hat er eine wunderliche Betriebsamkeit um kleine Dinge von der Art die eigentlich überall in das Departement der Frauen gehören, und etwas so kindisches in seinem Betragen in der Gesellschaft daß er sich überall sehr bald lächerlich macht. Höchst unwahrscheinlich ist es daß jemals irgend etwas aus ihm | wird. Fast wollte ich um seinetwillen nicht daß Karl über Landsberg ginge; ich dächte der Anblik eines jeden jungen Menschen, der in diesen Jahren gelernt hat sich durch eigne Arbeit sein Brodt zu erwerben, müßte den armen braven Eltern schmerzhaft sein: um so mehr wo die Vergleichung so nahe liegt. Denn die beiden Vettern haben in der Figur und in der Physiognomie eine große Aehnlichkeit mit einander.
den 18ten Was in diesen Tagen passirt ist wird Dir Karl wol sagen; er hat mir nur so kurz vor seiner Ankunft geschrieben und ist nur so kurz hier geblieben daß es fast nicht möglich gewesen wäre einen Brief voranzuschiken; der arme Mensch ist von der größten Eiligkeit an den Ort seiner Bestimmung zu kommen. Daß es mir nicht möglich gewesen ist in dieser Kürze den Graff zu besuchen noch auch uns nach Halstüchern wie Du sie wünschest umzusehn wird er Dir selbst am besten auseinander sezen können. Die lezten werde ich Dir schon besorgen. Ich habe Karl aufgetragen er soll Dich recht über Deine Gesundheit examiniren und Dir die Nothwendigkeit ins Bad zu gehen recht klar demonstriren. Nächstens mehr; ich sage Dir herzliches Lebewol.
Dein treuer Bruder
Friz
Metadata Concerning Header
  • Date: 29. März bis 18. April 1800
  • Sender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Recipient: Lotte Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Gnadenfrei ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 3. Briefwechsel 1799‒1800 (Briefe 553‒849). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1992, S. 445‒448.

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