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Friedrich Schleiermacher to Lotte Schleiermacher

d 5t. Mai 1800
Du liebe Schwester feierst ja auch den heutigen Tag noch immer mit einem eignen Gedächtniß. Ach er verdient es wol, wie oft wir auch noch außerdem des guten Vaters gedenken mögen denn es war doch immer ein besonderer Tag der Freude und der Liebe. Von da an wie wir ihn in Anhalt unter Schneiders Anführung mit dem Liede „Lobet den Herrn“ feierten ist er mir vorzüglich merkwürdig, die Feier aus den früheren Kinderjahren ist meinem Gedächtniß größtentheils entschlüpft. Ich habe heute viel an den lezten Brief gedacht den ich dem Guten zu diesem Tage schrieb, und an seine beiden lezten Briefe welche der Anfang einer ganz erneuten und erhöhten Freundschaft waren in denen er als Mann zum Manne mit mir redete, und wie mich mitten in der Freude darüber die traurige Nachricht überfiel. Diese Art von Gefühl kannst Du nicht gehabt haben und ich kann sie Dir auch nicht beschreiben. Diesmal hättest Du den Tag beinahe wie vor einigen Jahren mit Karl begehen können; das wirst Du in Zukunft vielleicht noch oft können; aber damals erwartetet Ihr noch den Vater! – Karl ist nun gewiß schon seit einigen Tagen in Breslau, und ich hoffe von Euch Beiden recht bald einige Nachricht zu bekommen. Mich verlangt zu wißen wie Du den Karl gefunden hast nach den sechs Jahren, denn so lange muß es her sein daß er nach Berlin kam. Ich habe ihn eigentlich hier nicht viel genoßen; er hatte viel herumzulaufen und die Zeit war kurz; einmal war ich mit ihm im Theater weil er gern Ifland und die Schwiegertochter seines ehemaligen Principals sehen wollte; zu Herz habe ich ihn auch gebracht die ihn gern sehen wollten und er auch sie, einen Vormittag habe ich mit ihm in der PorzellanManufaktur zugebracht, und das Beste was wir geplaudert haben ist beim Frühstük, beim Ausziehn des Abends und im Gehen gewesen. Sein Aufenthalt in Stettin scheint ihm sehr nüzlich gewesen zu sein, und ich habe überhaupt rechte Freude an ihm gehabt
den 14ten Heute habe ich Deinen Brief und zugleich einen von Karl empfangen. Ich kann mich in Dein Erwarten und in alle Deine Empfindungen recht hineindenken; es mußte Dir sehr unangenehm sein nichts vorher zu erfahren da ich es Dir so gewiß versprochen. Indeß wirst Du mich hoffe ich unter den angegebenen Umständen entschuldigt haben. Ich war ganz in demselben Falle gewesen da er mich auch auf seinen Anmeldungsbrief so unendlich warten ließ, und ich überdies Gerüchte hörte als sei er abgereist. An Deiner Freude mit ihm und den schönen Tagen die ihr zusammen gelebt habt habe ich mich recht gefreut, und dabei an unser leztes Beisammensein und an die Art wie Du mit mir warst recht lebhaft gedacht. Nun Karl so in Deiner Nähe ist geht mir auch eine Hofnung auf daß wir einmal alle drei werden zusammen sein können: denn immer wird doch meine Reise nach Schlesien nicht ein leeres Gedankending bleiben. Die große Aehnlichkeit die Du und Deine Freundinnen zwischen Karl und dem seligen Vater gefunden habt ist mir nicht aufgefallen, in seinem Wesen nun gar nicht, ins Gesicht kann ich mir noch eher so etwas hineindenken aber doch auch nur in gewißen Momenten wenn Karl außerordentlich heiter und freundlich ist, und auch da nur von weitem. Wie kommts daß Du nicht mit ihm bei Kottwiz gewesen bist wo er doch bekannt ist? – Deine Nachricht von Dir selbst, daß Du nemlich nicht nach Gnadenfeld gehst hat mir, wie Du leicht denken kannst, große Freude gemacht; das ist schön daß die Brüder so gut wißen, was Deinem Zustande angemessen ist, und so billige Rüksicht darauf nehmen. Hätten Sie die Sache nun aber nicht so angesehn, und Dir den Vorschlag gemacht, so fürchte ich immer ich würde das Unglük erlebt haben, daß Du Dich gar nicht darauf eingelaßen hättest Deine Gründe dagegen auseinander zu sezen! Nun um so beßer daß es so gekommen ist, und Du auf diese Probe gar nicht gestellt worden bist.
Ich hatte mir heute ein ganz besonderes kleines Fest versprochen, es ist aber leider nichts daraus geworden. Es ist nemlich heute ein Jahr daß ich von Potsdam zurükkam, und weil diese Rükkehr nach einem sehr einsam und traurig verlebten Vierteljahr etwas so sehr freu | diges war, so wollte ich diesen Tag feiern. Dohna, die Herz und die Grunow wollten bei mir früstüken, und die Männer hernach nachkommen und sie abholen. Die Herz und die Grunow, die wie Du leicht denken kannst viel von einander wissen aber noch gar nicht zusammen gewesen sind, sollten ihre Bekanntschaft machen was für mich etwas sehr interessantes und erfreuliches gewesen wäre. Aber was geschieht? die Grunow bekommt Vorgestern die Influenza, und liegt zu Bett, und die Herz leidet an ihren Brustschmerzen, und kann nicht ausgehn. Da habe ich mir nun allein ein Fest gemacht, mich mit allen Briefen die ich in Potsdam empfangen und Allem was ich dort gearbeitet umgeben und mich in meine dortige Klause zurückversezt. Nun habe ich auch mit Dir ein Augenblikchen geplaudert und jezt muß ich an meine Arbeit gehn.
den 26ten Heute liebe Lotte ist der Geburtstag der Gräfin Friederike, der mir wie Du denken kannst noch immer ein gar lieber Tag ist. Wenn wir nur von dem lieben Mädchen beßere Nachrichten hätten! Mit ihrer Gesundheit geht es noch so ziemlich; sie hat die Influenza gehabt, und ist davon natürlicherweise mehr angegriffen worden als Andere, das hat aber doch nichts weiter zu sagen. Allein sonst steht sie viel aus. Es ist nemlich dort im Hause durch die unruhigen und wunderlichen Gedanken und Plane des Grafen eine traurige Verwirrung entstanden[;] die Gräfin der Präsident und Alexander müßen ihm in allem widersprechen, zuwider sein und hintertreiben, was er jezt am heftigsten will weil er sonst die Familie zu Grunde richten und am Ende noch sich und seinen Söhnen die Ungnade des Königes zuziehn könnte. Friederike hängt sich unter diesen traurigen Umständen mit doppelter Zärtlichkeit an die Mutter, die wirklich sehr viel dabei leidet, und der Graf bildet sich nun ein sie mache Partei mit ihr gegen ihn und läßt sie allen den Verdacht und Unwillen fühlen den zu meiner Zeit die arme Karoline oft zu genießen hatte. Wie dieses zarte Gemüth dadurch angegriffen wird (weit mehr als es bei Karoline der Fall war) und wie das auf ihre kaum wieder hergestellte Gesundheit doch nachtheilig wirken muß kannst Du Dir leicht denken, und es macht uns Allen herzlich bange. Jezt werden sie Alle am Ende des künftigen Monates nach Karlsbad gehen, und bei der Revue die der König über acht Tage in Preußen hält wird man auch für Louis um Erlaubniß bitten die Reise mitzumachen damit nur außer dem Grafen noch irgend ein männliches Wesen da ist was Ruhe und Gleichgewicht erhalten kann. Auf dem Rükwege werden sie wieder auf ein Paar Wochen hier sein, und dann wollen wir Alles mögliche thun um es dahin zu bringen daß Friederike eine lange Zeit in Marienwerder bei ihrer Schwester lebe, um einiger Ruhe zu genießen; vielleicht daß sich unterdeß Alles verblutet und der Graf wieder auf andere weniger gefährliche Ideen kommt. Das gute Mädchen mag auf die Art heute nicht eben viel Freude haben obgleich an solchen Tagen der Graf alles zu vergeßen und lauter väterliche Liebe und Zärtlichkeit zu sein pflegt, und dies auch wirklich bei seinem weichen Gemüth ganz wahr und aufrichtig in ihm ist; aber was hilft doch das wenn sie fühlt und weiß daß in ein Paar Tagen das Alles vorüber und das Alte wieder da ist. Ich wollte ihr zu ihrem Geburtstage ein Paar freundliche Worte schreiben hatte aber an dem Posttage wo es hätte geschehn müßen auch nicht ein halbes Stündchen Zeit. Heute sehe ich auch nicht einmal Alexander, wie ich ihn überhaupt im Sommer wo Herzens im Thiergarten wohnen seltner sehe weil wir uns dort nicht so oft zusammentreffen können. Ich muß fort meine Stunde ins Collegium schlägt. Du mußt wißen ich wohne auf meine alten Tage noch Vorlesungen über allerlei Wißenschaften bei in denen ich in der Jugend nichts gründliches habe thun können, unter andern auch über die Chemie, worüber ich denn noch mit Karl correspondire, und eben dahin muß ich jezt. |
den 7ten Juni Du siehst wie schlecht es mir geht mit dem Schreiben, und leider geht es mit allem übrigen was ich thun will nicht beßer. Der baldige Abzug meines bisherigen Kollegen, der jezt schon viel an seinem künftigen Wohnort ist ladet mir alle Amtsgeschäfte auf, Grunow auf dem Invalidenhause hat die Influenza gehabt und ich habe für ihn auch predigen müßen, nun bin ich zur Abwechselung selbst beinahe krank. Ich habe einen Rükfall von meiner Kolik gehabt und muß wieder mediciniren, dazu leide ich an Zahnschmerzen die mir aber weniger beschwerlich sind als Andern; sie stören mich nicht eher völlig bis ich vor Schmerzen auch Kopfschmerzen bekomme. Am dritten Feiertag habe ich eine kleine Reise gemacht, das heißt ich fuhr mit noch ein Paar Freunden um 3 Uhr des Morgens hier weg nach Oranienburg 4 Meilen von hier um ein Rendez Vous mit meinem Freunde aus Stettin zu haben. Die Hinreise war sehr angenehm und ich so blind ich bin kutschierte größtentheils. Dort waren wir sehr vergnügt, durchstrichen den schönen Schloßgarten und unterhielten uns von Allem was uns interessirt. Abends auf dem Rükwege überfiel uns ein fürchterliches Gewitter, wir wurden ganz durchnäßt und sahen es zweimal in der Entfernung von etwa 2000 Fuß von uns in den Wald einschlagen. Zum Glük waren unsere Pferde nicht scheu und wir kamen wolbehalten um Mitternacht wieder an. Acht Tage vorher machte ich auch eine Landparthie mit Herz, die er mir als Arzneimittel ausdrüklich verschrieb. Wir waren bei einem Kammerherrn von Wülkniz, einem gemeinschaftlichen Bekannten und deßen Frau ich noch von Halle aus kenne (bei ihr war Henriette Freisse, wenn Du Dich auf diese noch besinnst, damals Gesellschafterin) Hier machte ich die interessante Bekanntschaft des General Bischoffswerder, ehemaligen Regenten der preußischen Monarchie. Der Mann scheint bei der Veränderung seines Zustandes wenigstens keine Langeweile zu empfinden, indeß habe ich auch nichts an ihm gefunden was Achtung einflößte. Er sprach von dem Könige den er so sehr gemißbraucht hat ohne Liebe und redete viel Philosophie und Moral in der feinsten Art der Heuchelei, die auf das Geheuchelte keinen besondern Accent legt. Mit mir sprach er viel über Erziehung ganz in dem gewöhnlichen Ton eines Edelmannes der es zur Schau trägt daß er seine Kinder über die Sitten und Vorurtheile seines Standes erheben will. – Eine andre ebenso des Gegenstandes wegen interessante Bekanntschaft habe ich vor ein Paar Tagen gemacht nemlich des beliebten Schriftstellers Friedrich Richter genannt Jean Paul. Du hast mir zwar nie geschrieben daß Du etwas von ihm gelesen hättest, indeß wird Dir sein Name gewiß nicht unbekannt sein, und Du wirst Dich erinnern daß ich Dir einmal einige Stellen aus seinem Hesperus geschikt habe, welche Dir zu gefallen schienen. Leider habe ich ihn zuerst in einer großen sehr vermischten Gesellschaft gesehn wo wir uns Beide nicht gefallen haben. Er fand daß mir von allem Guten das er von mir gehört nichts anzusehn noch anzuhören wäre, und ich fand eben auch an ihm nicht den Ausdruk des Gefühls und der Kindlichkeit den ich erwartet hatte. Indeß soll er in vertrauten Gesellschaften ganz anders sein, mit mir ist das grade auch der Fall und es wird also darauf ankommen ob wir Gelegenheit haben werden uns so zu sehen.
Die arme Schlegeln thut mir recht leid und ich freue mich daß Dein Postskript von ihr doch etwas beßer lautet. Das Nervenfieber laß ich ihr passiren; aber wenn eine junge Person sich mit solchen Krankheiten des Alters plagen muß als Gicht, so habe ich das aufrichtigste Mitleiden. Vergiß ja nicht mir zu sagen ob ihre Reise den gewünschten Erfolg gehabt hat. Bei ihr fällt mir sehr natürlich Brinkmann ein, der eben so leidet und noch dazu in der übelsten Situation in der sich ein unverheiratheter Mann befinden kann, an einem | völlig fremden Ort. Nachdem er schon in Paris lange an alten Nervenübeln gelitten hatte überfiel ihn auf der Rükreise nach Stokholm in Hamburg die Gicht, die sich auf den Kopf und die Brust warf; er war eine Zeitlang in augenscheinlicher Lebensgefahr, und noch jezt fürchten leider die Aerzte daß der heftige Stoß den seine Brust erlitten ihm die Schwindsucht zuziehn wird. Noch ist er in Hamburg und kann an kein Weiterreisen denken. Zum Glük hat er sich auch dort Freunde und Freundinnen zu erwerben gewußt die seiner bestens pflegen und ihn soviel möglich erleichtern.
Und Du willst also keine Badekur brauchen? Außer dem, daß Du Dich jezt grade gesund fühlst – was doch auch etwas sehr unzuverläßiges ist – wollen Deine übrigen Motive wenig bedeuten. Das Baden hat eine ganz andere Wirkung als euer gründliches Waschen und Du darfst von diesem gar nicht auf jenes schließen. Ich kenne viele Menschen die es nicht vertragen können den Kopf zu waschen, und die doch mit gutem Erfolge baden. Auch kann man mit Hülfe einer Müze von Wachstafft baden ohne den Kopf zu benezen, wie ich es täglich mache wenn ich bade nachdem mein Haar schon zurecht gemacht ist. Uebrigens aber ist wol das Baden bei weitem nicht die Hauptsache, sondern dieses daß Du einige Wochen in einem andern Orte, in einer andern Luft, in gänzlicher Unabhängigkeit um jeden schönen Augenblik zu genießen und ohne alle Geschäfte lebst, die so angenehm sie Dir auch mit Recht sind, Dich doch so anstrengen, daß einige gänzliche Ferien Dir gewiß sehr nöthig sind. Ich glaube nicht daß Du die wolthätige Wirkung, welche diese haben würden, durch kleine Spazierfahrten nach Kuchendorf oder Pangel erreichen kannst (empfiel mich übrigens an beiden Orten und schreibe mir etwas von den beiden lieben Frauen) da diese jedesmal mit umständlichen Vorbereitungen verbunden sind die Dich reizen und afficiren und Du dabei weder so ganz entfernt noch so ganz dispensirt von Deinen Geschäften bist daß sie Dir gar nicht im Gemüth liegen sollten. Ueberlege Dir doch das recht, und bedenke daß Du eben so gegründete Ansprüche auf einige Ruhe hast, als irgend eine andere.
Da bin ich unterbrochen worden von Herrn Reinhardts Enkel, einem hofnungsvollen jungen Menschen der hier auf dem Gymnasium ist, und mit dem ich eine ganze Stunde über seine Studien gesprochen habe. Es will mir manchmal wunderlich vorkommen, daß ich jezt schon zu der älteren Generation gehöre, die den jungen Leuten Rath geben, und auf die Jahre des eignen zunftmäßigen Lernens als auf eine längst vergangene Zeit zurük sehen kann. Er hat mich um englische Lektüre gebeten mit der ich ihm auch aushelfen konnte. – Des Onkel Stubenrauchs (bist Du denn mit diesem aus allem Briefwechsel heraus?) Sohn ist jezt wieder in Küstrin als Referendarius. Wenn der endlich einmal versorgt sein wird will ich mich um der guten Eltern willen herzlich freuen! Jezt liebe Lotte muß ich Abschied von Dir nehmen wenn dieser Brief den ich auch nicht gern vor mir sehen möchte noch heute auf die Post soll, und Alles, was mir noch auf dem Herzen liegt, aus Deinem Briefe und sonst, muß ich auf nächstens versparen. Bleibe indeß bei der guten Gesundheit über die ich mich so sehr freue. Um die meinige sei nicht bange, die wird schon wiederkomen.
Dein treuer Bruder
Fr. S.
Es ängstigt mich, daß ich von unserer Mutter und den Kleinen seit ewigen Zeiten nichts weiß. Geht es Dir eben so? Sobald ich dazu kommen kann will ich ihr wieder schreiben um sie endlich zu einer Antwort zu bewegen.
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  • Date: 5. Mai bis 7. Juni 1800
  • Sender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Recipient: Lotte Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Gnadenfrei ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 4. Briefwechsel 1800 (Briefe 850‒1004). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1994, S. 24‒31.

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