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Samuel Ernst Stubenrauch to Friedrich Schleiermacher

d. 23ten Octob.
Lange, sehr lange schon hatten wir nach Briefen von Ihnen ausgesehen und wußten uns Ihr ungewöhnliches Stillschweigen kaum zu erklären, – besonders die gute Benike die ja sonst immer wöchentlich Nachricht von Ihnen erhält. Schon glaubte sie, daß Sie sie durch einen unvermutheten Besuch überraschen wollten, und rechnete am Dienstag vor 8 Tagen ziemlich sicher auf Ihre Ankunft mit der Post. Ich hatte sie nun zwar einigermaaßen mit dem Inhalt ihres Briefes vom 14ten September mit den Unannehmlichkeiten ihrer neuen Wohnung bekannt gemacht, und wie Sie sich gedrungen sähen mit Beschwerden gegen das ArmenDirectorium einzukommen, und suchte dadurch Ihr so langes Stillschweigen zu erklären – indeß wußte ich doch selbst kaum was ich denken sollte – war überaus froh, als ich hörte, daß Herr Meyer Sie gesund gefunden, denn mir war in der That bange, daß jene Verdrießlichkeiten über die Wohnung Ihnen eine Krankheit zugezogen. Sehr vergnügt war ich daher, als ich endlich am Montag einen Brief von Ihnen lieber Neveu, erblickte; nur Schade, daß der größere Theil seines Inhalts so wenig erfreulich war. Sehr gern glaube ich Ihnen, daß die Ruhe Ihres Geistes gar sehr dadurch unterbrochen, indeß hoffe und wünsche von Herzen daß ihre Gesundheit darunter nur nicht leide Sie haben ja doch noch | immer Gegenstände und Gelegenheiten genug, ihren Frohsinn zu üben. Wie bey der Rückkehr der Gräflich Dohnaschen Familie
Hier fällt mir eben Mademoiselle Kersten ein, die am vorigen Dienstag auch gesund und wohlbehalten wieder hier eingetroffen; sie war auch gleich am Mittwoch bey uns, erzählte uns, wie sie Ihre liebe Schwester so gesund und munter in Gnadenfrey kennen gelernt – wir fragten ihr gleich: Warum sie sie uns nicht mitgebracht, da sie doch mit einer Gelegenheit von dort hieher zurückgekehrt? Es hat sich aber nicht wollen thun laßen, indem dieser Kaufmann Wolle vom hiesigen Jahrmarkt mitnimmt; da würde sie denn freylich sehr unbequem gesessen haben. Die gute Kerstin hat zum Glück bey der Rükreise ziemlich gut Wetter gehabt, wenigst unvergleichlich schöneres als bey der Hinreise. Sie läßt sich Ihnen beßtens empfehlen[.] Die MichaelisQuittungen werde ich diesem Brief beylegen – wenn ichs nicht vergesse
Also weiß man in Berlin auch noch nicht, wer an des braven Meierotto Stelle – freylich glaube ichs gern, daß es schwer halten wird, jemand zu finden, der ihn ganz ersetzt[.] An Gelehrsamkeit mögen mehrere ihm gleich körnen – manche auch wohl übertreffen – aber alle die Eigenschaften beysamen, die an einem würdigen Vorsteher dieser Anstalt erforderlich sind, dürften sich doch wohl | nicht so leicht beysammen finden, wenigstens bey den Subjecten nicht, an die man, wie ich höre, denken soll[.] Sie werden mir wohl am ersten – und vielleicht bald Nachricht geben können, wie und durch wen diese Stelle besetzt – Sonderbar wäre es doch, wenn wirklich Herr Gedicke den König zu dem Entschluß gebracht, hierbey keine Rücksicht darauf zu nehmen, ob der Rector reformirt oder lutherisch – das habe ich aus seinen Annalen des preußischen Schulwesens gesehen, daß er in Ansehung des Friedrich-Werderschen Gymnasiums welches bis dahin simultan war schon eine königliche Erklärung ausgewirkt hat, daß künftighin bey Besetzung der Stellen nicht mehr darauf gesehen werden solle, von welcher Confession – sondern nur wer der geschickteste sey. Wenn indeß vom Magistrat als Patron hierüber geurtheilt werden soll, so dürften denn wohl die Reformirten künftig größtentheils durchfallen – dünkt Ihnen das nicht auch
Nun auch noch meinen großen Dank für die genaue Beantwortung meines letzten Briefes und der darin vorgelegten Fragen[.] In Ansehung der Gedichte des Novalis oder Herrn von Hardenberg bin ich denn doch nicht Ihrer Meynung. Wenn unsere aufgekärteren und Gebildeteren Leser an solchen Stellen
Der herbste Kummer fleucht – – wenn Erd’ und Leben weicht,
im letzten AbendMahle Zur Hochzeit ruft der Tod. pp
Geschmack finden: So möchte ich wohl sagen, wenn sie sich wirklich | dabey etwas denken, so wird es auf einen Mysticismus führen; ob aber dieser, sey er auch noch so verfeinert, zu wahrer Religiosität führe, daran zweifle ich sehr
den 4ten November An meinem guten Willen Ihren Brief früher zu beantworten hat es, wie Sie aus dem Anfange ersehen, wohl nicht gelegen, aber wer kann immer über zufällige Umstände Herr seyn? Ich werde mich also jetzt, um diesen Brief nicht noch länger liegen zu laßen, ganz kurz fassen müssen und das noch zu beantwortende auf künftig versparen. Daß es vermuthlich zu einer Ehescheidung mit Abernethy wegen ihres sehr unbesonnenen Umgangs mit dem hiesigen Stallmeister, kommen werde, wissen Sie vielleicht schon, und gewiß werden Sie mich bedauern, wenn ich zu Rathhause gefordert werden sollte, um zur Sühne zu rathen, welches doch in diesem Falle gewiß – ein bloßes und wie die Sachen jetzt liegen, in der That lächerliches Ceremoniel seyn würde. Indeß sind unsere armen Juristen – besonders bey den Untergerichten übel dran, daß sie auch in solchen Fällen schlechterdings an dem Buchstaben der Gesetze sich halten müßen
Ich schicke Ihnen diesmal unsere Besoldungsquittungen etwas früh, so können Sie um desto mehr nach ihrer Bequemlichkeit das Abholen besorgen laßen.
Mama grüßet vielmals, auch unser Sohn, der sich in jedem seiner Briefe erkundigt, ob ich Nachricht von Ihnen habe, und ob Sie denn dies Jahr gar nicht zu uns kommen würden
Ich bin wie Sie wissen
Ihr treuergebenster Oheim
Stubenrauch
Landsb. a. d W. d. 4ten Novb. 1800
Die SeptemberQuittung für Mademoiselle Kersten erfolgt auch hierbey.
Metadata Concerning Header
  • Date: 23. Oktober bis 4. November 1800
  • Sender: Samuel Ernst Stubenrauch ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Landsberg (Warthe) · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 4. Briefwechsel 1800 (Briefe 850‒1004). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1994, S. 303‒306.

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