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Lotte Schleiermacher to Friedrich Schleiermacher

Gdfr d 23 Nobr 1800
Ob wohl Senfts heute in Berlin angekomen sind – und Du meinen Brief nebst Zubehör bald erhalten wirst – ja wer das so erfahren könte[;] gern hätte ich Dir vorgestern meine Theilnahme bezeugt – aber es war nicht möglich – das GedankenHeer was sich um mich gelagert hatte war so groß daß ich durchaus keine Äußerungen durch Worte heraus finden konte dazu komt noch daß Dein langes Schweigen mich eine Krankheit befürchten läst – das lieblichste was ich mir vorstelle – ist – ein ungewöhnlich langer Auffenthalt der Donas – nach welchem Du erst meinen Brief zum 21ten abwarten woltest – welches leztere mir freilich jezt sehr wünschenswerth und wohl auch so komen wird. Heute hat von Peistel seinen GeburtsTag – gern hätte ich ihn gesehen und gesprochen da sie aber selbst keine Veranstaltung dazu getroffen – konte ich mich zu einer bloßen Ceremonie nicht entschließen seit 3 Wochen war ich nicht dort – unterdeßen haben sie wegen verschiedner oeconomischer Verhältniße – vorzüglich aber wegen seiner Kränklichkeit die als Landwirth seine Thätigkeit hemt – ihre Güter verpachtet – daß sie aber deßen ungeachtet im Somer auf dem Glazhof wohnen, und sich den Garten behalten haben versteht sich von selbst – vor 14 Tage sahe ich Beide bei von Seidlizes – sie äußerst verdrüßlich – und ihn wie die helle Sonne über die glüklich beendigte Sache – die sowohl wegen seines eignen Wankelmuthes mit seiner CörperSchwäche vereinbart als wegen der Schwierigkeiten seiner Frau – lange unentschieden blieb. – Daß ich manchmahl einen Reim zuwege bringe ohne eben dran zu künsteln wird Dir wohl bekant sein – sage mir doch aufrichtig was Du von dem folgenden hälst – den ich in meinen Scripturen auf Peistel angewendet habe.
Werm endlich nach manchen Stürmen und Leiden
von Prüfung und Kumer wohl untermengt
Schnell durch die Wolcken ein Festtag sich drängt
So nent man ihn gerne den Boten der Freuden
man jauchzet entgegen dem komenden Heil
der Freund und die Freundin nehmen dran Theil |
den 28ten November 1800
Heute ist es 3 Jahr daß ich aus der Anstalt ins Schwestern Haus und zwar in diese Stube gezogen – und noch size ich auf dem nehmlichen Flecke – und habe es eben jezt mit einer Tasse The solo gefeiert – – das halte ich gar sehr in Ehren – daß mir meine Laage in welche ich zwar damals durch meine Kränklichkeit versezt wurde – noch imer sehr lieb ist darf ich Dich nicht erst versichern ich glaube Du spührst und fühlst es aus mancher Äußerung. Doch wieder zu – dem was ich eigentlich sagen wolte – bei diesem solo wühlte ich in alten Briefen von Dir – und traf grade einen der mir in vieler Rüksicht sehr lieb und traulich ist – vom August 1797 – – er ist in Capiteln abgetheilt – die Geister, die Reise, das Frühstük. Dieser Brief war der lezte den meine unvergeßliche Zimerman anhören konte – und zwar bei der ersten und lezten Spazierfarth die wir miteinander machten – ach ich habe Dir ja wohl davon geschrieben wie inig vergnügt die Trefliche damals war! – auch komt viel in diesem Brief von ihr selbst vor – als Antwort was sie Dir wegen dem UlmenBaum sagen ließ! – auch erwähntest Du von denen verschiednen Menschen – davon jeder uns etwas ist – und bei deren Verlust eine Lüke in unserm inern wird – o! das trift so herrlich damit zusammen was ich heute morgen im Ewald las (dem Du freilich nicht gewogen bist) es heißt am 21ten November – in den TagesBetrachtungen.
„Wiedersehn – Wiederfinden – das ist das Bedürfniß des liebenden Herzens wenn es seelig – das ist volkomen glüklich sein soll – Ja es giebt Bande die sich auflösen laßen – die wirklich aufgelöst werden – und am Ende vermißt mann sie nicht mehr – Aber es giebt auch Andre die mann nicht zerreißen kann – Manches Wesen ist nur an unser Herz geknüpft manches ist zusamengewachsen mit unserm Herzen; die Natur machte sie zu einem Wesen und die Wunde die es beim Losreißen giebt heilt nie ganz bis der fehlende Theil wieder an unser | Herz gewachsen ist.* – – ,Glaube Hofnung und Liebe bleiben dort und Liebe ist die gröste unter ihnen!‘ – ich werde also die Meinen sehen wollen – denn wann will das die Liebe nicht! Und ich müste ja weit eingeschränkter sein als hier wenn ich das nicht könte Sie nicht sehen! Alles was wir von unserm künftgen Zustand wißen zeigt uns daß wir dort leichter freier sein daß wir mehr könen was wir wollen – daß wir ungehindert durch diese schwere Hülle – mit einem feinen Cörper umgeben – uns leichter dahin bewegen könen wohin unser Sin strebt – Natürlich dan – daß sie dahin streben wo ich bin – und ich – wo sie sind daß ihr Herz – und mein Herz sich aufsuchen in dem weiten Gebiete der Schöpfung.“ – Erlaube mir hier noch etwas herzusezen – welches von einer andern Seite hiermit übereinstimt
Der Du lechztest in des Stoffes Enge
In der Waffen lastenden Gedränge
Nach den Räumen der Unendlichkeit
Schwärme fröhlich nun durch Ewigkeiten
in des WeltAll’s ungemeßnen Weiten
Schrankenloos sind Edens Raum und Zeit.
Trachtete Dein Geist mit regen Trachten
Schmachtete Dein Herz mit heißen Schmachten
nach der Warhcit ungetrübten Quell
Ihre Pforte sei Dir hier entriegelt!
Ihr geweihter Urborn Dir entsiegelt
Schöpfe, Lechzer, schöpfe tief und hell!
Liebe lechzten Deine FlamenTriebe?
Sei geliebt von uns mit jener Liebe
90 Welche zehnfach der Empfangnen wieder giebt. |
Oder sind die Trauten Dir entwichen?
Freunde die im warmen Arm verblichen
Sei getrost die Flüchtlinge sind hier
Halme die des Schiksaals Finger knikte
Blumen die der Hauch des Todes pflükte
Samlen – hegen und bewahren wir!
Alle Thränen die die Erde weinte
Alle Wünsche die der Staub verneinte
Troknet und erhört Elisium
Wilkomen wilkommen Wilkomen in Elisium
Alles vorüber Alles verwallt
jeder Kumer verschwunden!
jede Klage verhallt!
jedes Wetter verwittert
jede Schranke zersplittert
jede Feßel zersprengt.
Allen Engeln entschwungen
Jede Kleine durchdrungen
Jedem Gedrang entdrängt
Jeder Seufzer verstöhnt
Alle Kämpfe gekämpft
Aller Aufruhr gedämpft
Triumph Triumpf Triumpf
Alles bestanden Alles besiegt
Geschlagen jegliche Schlacht
Jegliches Opfer gebracht
Seelige Tugend Dir nun ewig treu
Himlische Warheit ewig froh und frey |
den 10ten December 1800
Mein inres ist so voll und von so verschiednen Seiten berührt – daß es auch seit einiger Zeit auf mein äußres – auf mein NervenSistem – übergetragen ist und doch waltet die Sorge über Dein langes Schweigen fast allem andern vor wenn Du wüstest wie Du mich damit peinigest Du hättest gewiß wenn Du nicht krank bist längst geschrieben – eine einzige Hofnung nähre ich – an die ich mich sonst nicht halte – das sind die von Berlin zu erwartenden Geschwister die mir vielleicht einen Brief mitbringen – denn sonst kan ich mir das Räthsel nicht erklären – – – Gott wie qualvoll sind doch dergleichen Ungewißheiten – besonders wenn die Seele ohnehin so bestürmt – von eignem Weh – und Mitgefühl für Andre welches wie es scheint bey Uns Beiden berschender, als eignes Leiden, drükender – brenender als die Wunden die ein Mißgeschik uns schlägt! – o mein Lieber! diese imer wiederholte Mittheilungen – von Leidenden mancher Art denen man bei aller Theilnahme nicht abhelfen – nicht mindern – nur schwach trösten kann – das erregt freilich oft den Wunsch – bald dort zu sein, wo meine Kraft meiner Liebe gleich ist – wo Menschen erfreuen und beglüken veredlen und beleben – unser Hauptgeschäft – unser höchster Genuß ist – wo die Schäze der Weisheit – die Fülle der Liebe – uns ganz aufgethan – und der WirkungsCreis in unendlichen Räumen – sich ausdehnt – dort wo sich Alle Guten wiederfinden.
den 11ten December Heute hat meine liebe Arndt ihren GeburtsTag – die mir ohngeachtet unsres jezt seltnen Schreibens immer dieselbe bleibt meinem inern nahe – freilich daß ich öfters mich sehne – durch einge Mittheilung – den BerührungsPunct aufs neue vestzuhalten noch imer ist sie bei der Generalin als Erzieherin ihrer Niecen hatte schon manche Partie in und außer der Gemeine machen könen aber bei manchen auch zugestandnen Reizen – imer keine völlige Ueberzeugung |
Von meiner treflichen Aulock die wieder sehr gelitten – erhielt ich kürzlich auf 2 Briefe worin ich ihr meine Ahndung wegen eines neuen Sie bestürmenden Uebels zu erkenen gab – einge liebevolle mir unaussprechlich werthe Zeilen nebst einem Buch welches Dir gewiß bekant – Charlotte Sampson oder Geschichte eines jüdischen HausVaters der mit seiner Familie dem Glauben seiner Väter entsagte. – Dem jüdischen Sendschreiben voll Hochachtung geweihet von dem Verfaßer der sich aber nicht nent – Recht leid thut es mir nun daß ich mir als Charles hier durchreiste das Schreiben des Tellers nicht ansah – worauf die Geschichte sich eigentlich bezieht – wenn er mich dis Jahr wie ich stark hoffe [besucht] – muß Er es mitbringen – die gute Aulock kent doch meinen Geschmak beßer als alle Andre – sie pries mir es als ein SeitenStük zu Esther Raphael – und es gefält mir sehr gut ich habe schon einge mahl bei meinen Frühstük oder The – es bis zur Hälfte d h bis zum Gespräche mit Marcus gelesen – ach wenn Du doch wieder eimahl einem FuhrMann etwas für mich aufladen woltest von Ifland – oder von Goethe – vor einigen Wochen sähe ich bei Petri alle Schriften von Goethe, besonders den Tasso – ich wurde recht lüstern – konte es aber nicht bekommen – – oder auch von Schillern – was Du eben für mich gut hälst – ich hoffe daß Du nächst der Aulock mich darin am besten kenst – nur ist meine trefliche Aulock sehr sorgsam. |
den 18tenDecember 1800
Gestern abermahls getäuscht – ! keine Briefe von Berlin – – mein Bedürfniß ist so groß daß ich den ganzen Abend und heute zum Desert manche alte von 97 – 98 – – 99 durchlas – wie sie alle vor mir vorübergiengen die Scenen – und die Menschengestalten – die ich nach Deiner Schilderung mir von Zeit zu Zeit ausmahlte – von manchen höre ich gar nichts mehr! Deine Bekantschaft mit Lotte Schaede und den Ihrigen – Deine Ausflucht mit den Eichmans und Spaldings – Dein The bei Madame Bamberger – und das Soupé bei Lombard – Deine erste Erzählung von Schlegel – bald darauf die verschiednen Lüken die in seiner Größe sich fanden – sein soupcon wegen der Herz und Dir – einge kleine SeitenBerührungen von ihrer Mutter und Schwestern von denen Du jezt ganz schweigst – eine Menge andrer lieben Leute die auch viel bei mir gewonnen – alle durch Deine Anzeige deren Nahmen mir erst beim lesen wieder erinerlich werden kurz – wir haben seit manchen Jahren jedes in seinem Grad und Möglichkeit interressante Menschen und Laagen kennen gelernt um die sich unser inres phantasie- und Denkwerk – durch entgegengesezte Pole herumdreht – und Nun so lange nichts von Allen – recht weh thut mirs – und wenn Du das ganz so wüstest und fühltest – gewiß hättest Du mir schon geschrieben – denn wenn Du ernstlich krank wärest hätte doch wohl eine Deiner Bekanten oder Freunde die Cristliche Pflicht übernomen, es mir zu melden – um welches ich hierdurch recht herzlich bitte – damit ich nicht eimahl – durch eine traurige öffentliche Nachricht – schreklich betrübt werde – verzeih – daß ich diesen möglichen Fall berühre – was ich dabei leiden würde ist unaussprechlich – drum müßen wir die nötgen Maaßreglen treffen. |
Von der Veränderung die seit einem halben Jahre in meiner Stube sich zugetragen – habe ich noch nichts berührt – zwar etwas in meinen lezten – von der Schwester die Dir die kleine Zeichnung gemacht – ein seltnes Original – die viel Feuer und Talent hat – und Kenntniße von Schul-Wißenschaften – und andern die – mit der Mahlerey in Bezug stehn – auch spielt und singt sie recht gut – zu ihrem Vergnügen obschon ihre linke Hand öfters unbrauchbar – da sie seit ihrem 5ten Jahr den Beinfraß darin hat – und jezt schon 21 Jahr alt – da wir noch mehr musicalische junge Schwestern in unsrer Stube haben – ist auch ein Clavecin zum wenigsten über den Winter hereingeschaft – dis Glük genieße ich die ganze 17 Jahre die ich hier bin, das erstemahl – daß ich lieber höre – und nur selten klimpre – versteht sich! sonderbar war mirs als in diesen Tagen, alle die Lieder – von Goethe – die Reichard componirt hat – und die ich mehrentheils durch Deine Güte und Anfrage kenne – gesungen wurden – das was ich nicht von Andern gehört – sondern mir selb geklimpert – sind die Ideale – die Du mir gütevoll in meine GedichteSamlung hier eingetragen – o! ein ganz eignes Gefühl bemächtigte sich meiner als ich es unter Noten sah – denn niergends anders sah ich es seitdem – ach wohl wahr daß einem nicht nur Menschen – sondern Dinge – Kleinigkeiten ein unnenbares Etwas – sehr liebliche – oder wehmütige Rükerinrungen machen könen! – Wohl und Weh machen wie meine Arndt sagt. |
den 21ten December 1800
Es scheint fast so als wenn Weinachten und wohl auch der JahresWechsel so ohne Briefe von Berlin verfliegen werden – bekomme ich diese Woche keinen – da geht diese Epistel über 8 Tage weg – um Dir wo möglich ein frohes Neujahr zu wünschen – wenn Du mein Lieber nur eingermaßen geantwortet – dan werde ich Dir noch viel – viel sagen – aber in dieser Ungewißheit und Entfernung von dem jezigen Streben und Weben Deines Geistes – muß ich ja ohnedis es drauf ankomen laßen ob es Dir interressant was ich Dir von hier und von mir, seitdem, mitgetheilt habe –
den 25ten Da sind sie nun da alle die Lieben groß und klein – Seidliz und Pritwiz – gestern gegen Abend gieng ich zu der Alten um die WeinachtsBescheerung und die Freude der Kinder und Kindeskinder mit anzusehn – Gott was war das vor ein Anblick wie alles durcheinander wimmelte und jauchzete – und wie das die Alte die fast schon ein wenig stumpf werden will – so froh – so glüklich machte – ich wolte fort – wie alles beendigt und die Pritwizes Abschied genommen – aber, ich muste mit zu Abend eßen – der kleine Junge der noch nicht 3 Jahr alt – war bald mit mir so traulich eingewohnt – daß uns Beiden die Trenung schwer fiel – heute Mittag aß ich wieder dort – da war Eduard gleich wieder so zärtlich bei aller Lebhaftigkeit daß es mich ordentlich rührte – – Auch gestern früh – da ich mir in der Anstalt die Bescheerung mit ansahe machte mich die inige – und dabei manichfaltige Art der FreudensEmpfindung der Kinder – sehr glüklich – Sieh! dergleichen schuldloose Scenen müßen mich jezt erhellen! – |
Den 31ten December 1800.
Der heutige Nachmittag wird es entscheiden – ob ich in diesem mit starken Schritten scheidenden Seculo – seit September – noch was von Dir lese – nicht nur das – sondern durch einen Brief – es noch recht lebhaft fühle – wie sehr Du mich liebst und Deine besten Freuden – und schönsten Augenbiike durch Mittheilung auf mich hinüber trägst – ich kann nicht läugnen daß mich Dein Schweigen äußerst traurig macht – und daß es mir sehr wehe thut – so verlaßen ins neue Jahr hinüber zu wallen –
den 2ten Januar 1801 Siehe da! es ist wirklich geschehen! wir sind im neuen Seculo – im neuen Jahre – und ich bin imer noch ohne Briefe – doch! ich will sie Dir nicht alle hersezen – die sonderbaren trüben Eindrücke und Vorstellungen die Dein peinigendes Schweigen in mir veranlaßt – noch weniger die Augenblike schildern da meine Beklemungen sich in Thränen auflösten – Genug wenn Morgen kein Brief komt – geht dieser Dienstag ab! Gestern wird wahrscheinlich ein doppeltes Fest – in der Residenz gewesen sein! Hier sagte mann es würden 365 Canonen abgefeuert und alle Gloken geläutet werden – was aber übrigens geschehen möchte ich gerne wißen – Wir haben hier – ohngeachtet der Mond in seiner vollen Pracht da stand – unser Gnadenfrey – illuminirt – und mit verschiednen Inschriften geziert – auch ließ sich mitten auf dem Plaz eine kleine InstrumentalMusic hören auch ich beliebte mir alles anzuschauen – es war in der That recht hübsch – und die manichfaltigen Begegnungen | machten nicht wenig Spaß! fast 3 Stunden – dauerte das Wesen während der GemeinStunde um 7 wurde angeleuchtet und erst gegen 10 uhr wurden die lezten Lichter ausgelöscht
den 3ten Januar 1801 Mein freundtschaftliches Mitgefühl ist heute auf eine seltne aber sehr traurige Art rege geworden – und das durch die Auflösung – oder Veredlung des kleinen Hermans zum Engel – erst vorigen Dienstag brachte ich einge angenehme Stunden bei der guten Lisette zu – und wurde durch die liebenswürdige unschuldige Fröhlichkeit des Kleinen recht anhänglich an ihn – schäzte die Mutter in seinem Besiz sehr glüklich – auch hatte ich die Freude das liebe Geschöpf auf meiner Stube zu sehn – gestern früh wurde er wegen der Zähne Arbeit krank – und heute morgen gegen 4 uhr ward er durch den besten Gärtner in das schönste Beet verpflanzt. Gott! so sehr vorbereitet ich mich selbst durch die gestrige Nachricht hatte – so inig und einzig schmerzte mich heute früh sein Verlust[,] lange schon – habe ich nicht so herzlich so aus der Tiefe heraus geweint als heute einge Stunden hintereinander – Nachmittag hatte ich mir einge meiner PrivatSchülerinnen zum Caffé gebeten um mich etwas zu erheitern – und den Postbothen nicht mit so gespanten Wesen zu erwarten – als mich Deine Epistel überraschte – überrascht nach so langem Warten! aber heute kein Wort mehr, als, daß: die guten Pritwizes Beide! fühlen ihren Verlust tief – Gott wie leidend fand ich heute früh Lisette – die ich selten in ihrem Logis besuche – | aber bei solchen Gelegenheiten überwältigt der Drang meines Herzens die kalte Predigt der Vernunft! O! ein unvergleichliches liebenswürdiges Kind! deß EngelsMiene mich noch lange begleiten wird! gute Nacht! ach wie schlafloos sind seit geraumer Zeit meine Nächte – auch die Deinen wohl!!!! –
Den 4ten! Leider sind alle meine Besorgniße – die ich Dir zu verstehen gab, oder für mich behielte nur zu gegründet gewesen – Gott möchte doch Herz die besten wirksamsten Mittel gegen Dein Uebel ausfinden! welches mir sehr ängstlich – und den Anschein einer einzutretenden Waßersucht hat! – ach ich bitte Dich recht herzlich – laß mich doch ja bald wißen wie es Dir geht Lieber guter Mensch – an dem mein inres mit so zarten Fäden hängt! Du kanst ja die mir zugedachte Suma mit denen mir so wichtigen unentbehrlichen Nachrichten von Deinem Wohlergehn begleiten – – diese Suma betreffend kann ich Dir wohl zugestehen – daß ich nicht das Herz habe mir von Charles viel geben zu laßen – weil ich weder Spielers Verhältniß für sich allein, noch zusammen genau weiß – doch werde ich ihn diese Woche um 5 Thaler ersuchen müßen um mir einiger maaßen aus der Noth zu helfen – wenn wir uns sprechen könten – wolte ich Dir manches darüber sagen – was Dir einige Aufschlüße über mancherley in mir geben könte! aber leider sind nur die Dohnas – Grunows so glüklich über allerley mißliche Laagen sich Dir zu öfnen – denn wie Du selbst sagst – manche Dinge muß mann schlechterdings sehn so geht es mir mit der Herz – da auch ich die Grunosche Verhältniße mir ohne Sehen ausmahlen aber – diese nicht – so viel ich auch durch Dich davon weis! in meinem nächsten Briefe – werde ich das und andres mehr berühren – ohnmöglich kann ich noch einen andern Bogen anfangen ich benuze daher diese Leere! verzeihe mir das. Deine Behutsamkeit wegen meinem Briefe an die Einzige – ist mir eben so werth – als diese Zeilen von dem liebenswürdigen Louis – die ich mir also behalten darf – anstatt daß sie seinem Wunsch gemäß verbrant werden solten – sie sind mir in jedem Betracht sehr schäzbar – also hier nichts mehr als die Bitte – laß bald bald etwas von Dir hören zur Beruhigung Deiner
Lotte
Herman ist ein Jahr und 9 Wochen alt geworden.
* merkwürdig daß ich eben heute jenen Brief über Mahlers Hinscheiden fand – da eine Schwester die auch schon seit einigen Monaten hinüber ist – ihren Geburtstag hat – die sein Wunsch war –
Metadata Concerning Header
  • Date: 23. November 1800 bis 4. Januar 1801
  • Sender: Lotte Schleiermacher ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Gnadenfrei ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 4. Briefwechsel 1800 (Briefe 850‒1004). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1994, S. 327‒337.

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