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Friedrich Schleiermacher to Friedrich Heinrich Christian Schwarz

Berlin d 15t. Dec. 1800.
Gewiß, würdiger Mann, würde ich schon eher Ihre freundliche und zuvorkommende Zuschrift beantwortet haben, wenn ich nicht gern vorher Ihre Beurtheilung der Reden über die Religion hätte lesen, und daraus noch etwas näheres von Ihnen und Ihren Meinungen über mich vernehmen wollen. Leider bin ich aber hierin nicht glüklich gewesen; ich habe keinen JournalCirkel entdeken können, in welchem diese Zeitschrift Umlauf hätte, in den Buchläden pflegen hier Journale nie vorräthig zu sein und da Sie mir das Heft nicht mit angezeigt haben habe ich es mir auch nicht ausdrüklich verschreiben können. Es thut mir dieses in mehrerer Hinsicht leid: theils habe ich – außer einer nicht eben tief eindringenden Anzeige in den Rintelnschen Annalen – noch gar keine öffentliche Stimme über dies Buch gehört und was noch mehr ist, wir würden uns dadurch weit schneller nahe gekommen sein; auch haben Sie wol unstreitig hierauf gerechnet. So ist es aber in Berlin; das literarische Verkehr ist langsam, und besonders kommt die Literatur des westlichen Deutschlands nur spät und unvollständig zu uns, daher wir uns auch wundern wenn ein hiesiges Produkt, das nicht einen berühmten Namen trägt, den Weg dorthin findet. Wirklich war es mir unerwartet besonders die Monologen, von denen der Verleger mir sagte, daß sie so gut als gar nicht in den Buchhandel gekommen wären, irgendwo außer im Kreise meiner Freunde gelesen, und meinen Namen dabei genannt zu wißen. Ich kann sagen es hat mir eine besondere Freude gemacht, daß diese Sie vorzüglich afficirt haben, weil grade meine innersten Gesinnungen darin ausgesprochen sind, stärker und vertrauter als es sich vielleicht für den gedrukten Buchstaben ziemt, und Sie werden dies Geständniß auch für etwas beßeres nehmen als Eitelkeit. Es ist mir nicht selten sträflich vorgekommen daß ich dies Büchlein habe druken laßen; ich sagte mir es läge jenseits aller möglichen und also auch der erlaubten Mittheilung, es würde eben wegen seiner Innerlichkeit Niemanden ansprechen da es gar kein Aeußerliches dabei hat, und wenn jemals Jemand mich darüber fragte würde ich ganz die Empfindung haben als wenn ein entblößter Nerve berührt wird. Sie können also denken wie es mich überraschte einen Brief zu erhalten der ausdrüklich dem Verfasser der Monologen bestimmt war, und wie es mich freuen mußte, daß Sie hier Ihre Uebereinstimmung mit mir vollkomner gefunden haben. Nun wünschte ich nur, Sie hätten Ihren ersten Brief gleich eine ganze und nicht eine halbe Maaßregel sein lassen, und Alles gefragt, was Sie von mir zu wissen wünschen. Das hätten Sie auch getrost thun können: denn wo sollte mir ein Recht herkommen demjenigen etwas Einzelnes von mir zu verhelen, der in das Innere meines Herzens | hineingesehen hat? Das ist eben der kritische Umstand bei einem solchen Produkt: die Leser, wenn sie anders welche sind, verwandeln sich in erklärte Freunde oder Feinde des Verfassers. Herrn von Wakenroder kenne ich nur aus dem, was Sie auch von ihm wißen und aus den Erzählungen seines Freundes Tieck; ich selbst stand nie in einer nähern Verbindung mit ihm. Der Freund, dessen in den Monologen gedacht wird, war ein junger Engländer der mit mir zugleich auf den Schulen der Brüdergemeine erzogen ward. Unser Sinn und unsere Denkkraft entwikelte sich dort gemeinschaftlich, wir stritten und litten gemeinschaftlich und es kann nicht leicht eine innigere Freundschaft gegeben haben, so daß sein Geist mir in der That immer gegenwärtig ist. Auch ist mir seitdem keine so geworden, wenigstens nicht ohne daß erst meine Art die Freundschaft zu behandeln vorher unendliche Mißverständniße verursachte, und darum nährte ich besonders wenig Hofnung über diesen Punkt auch nur von Wenigen Zustimmung zu erhalten. Freude hat mir, wie Sie sehen Alles in Ihrem Briefe gemacht; ich danke Ihnen herzlich dafür, und bitte Sie meiner ferner in dem Kreise Ihrer Freunde bisweilen zu gedenken.
Sie fragen ob ich gern als Verfasser der Reden und Monologen bekannt wäre. Meinen Sie damit, ob es mir irgend eine angenehme Empfindung machen würde als solcher im Publikum mehr als bisher herumgetragen zu werden, so muß ich Nein antworten; ich bin gegen alle diese Dinge vielleicht gleichgültiger als Recht ist. Meinen Sie, ob ich die Zusammenstellung des Buchs und meines Namens scheue, so darf ich auch Nein antworten. Es wird sich keine Verkezerung deshalb erheben; mein nächster Vorgesezter war Censor der Reden, er errieth mich gleich, und ich stand in so freundlichen Verhältnißen mit ihm daß ich mich ihm, auf die Gefahr es könnte doch früher oder später bekannt werden nicht verheimlichen mochte. Er war Anfangs sehr begeistert und hatte sogar den so schmeichelhaften Ausdruk Rafaelisch mit Ihnen gemein zulezt aber wußte er nicht, ob er es mehr atheistisch oder spinozistisch finden sollte, und es ist mir nicht gelungen ihn darüber zurecht zu weisen; sonach würde mir von dieser Seite die Anonymität nichts helfen. Ich habe aber nie die geringste Besorgniß dieser Art gehabt; die Ursach warum ich meinen Namen nicht auf den Titel sezte war nächst jener Gleichgültigkeit nur der Wunsch mich einigen mir sehr werthen Menschen zu verbergen, von denen ich im Voraus wußte daß ich ihnen Manches darin nicht so verständlich würde machen können, daß es aufhörte ihnen schmerzlich zu sein. Seitdem Herr Falk in seinem Almanach die Güte gehabt hat mich öffentlich zu nennen ist auch das dem bloßen Zufall anheimgestellt, und so ist mir das Incognito, deßen Kürze mir oft lächerlich gewesen ist, völlig unnüz. Auch habe ich mir fest vorgenommen es gar nicht mehr zu suchen. – Haben Sie Institute wo Sie Predigten von mir brauchen können so machen Sie mich nur näher mit der Beschaffenheit derselben und mit Ihren Wünschen bekannt es soll mir Freude machen auf irgend eine Art meine Thätigkeit mit der Ihrigen zu vereinigen. Nur wünsche ich daß Sie Sich von meinen Arbeiten in dieser Gattung nicht unrichtige | Vorstellungen gemacht haben mögen. Ich gebe jezt eben eine kleine Sammlung dergleichen heraus, und wenn Sie mir eine bequeme Gelegenheit anzeigen können werde ich Ihnen zu diesem Ende und um Ihre Meinung darüber einzuholen ein Exemplar davon zuschiken sobald der Druk beendigt ist. Ich weiß nicht ob das Gerücht Sie auch mit der Beschaffenheit meines Amtes bekannt gemacht hat, ich bin nemlich Prediger an dem großen hiesigen Krankenhause, und die Vorträge auf den Krankensälen sind der wichtigstes Theil meiner Amtsführung. Grade diesen treibe ich sehr con amore, aber eben deshalb beschränke ich mich auch in Absicht auf die Wahl der Gegenstände und die Behandlung so sehr als irgend möglich auf das Bedürfniß dieser Unglüklichen und diese Vorträge würden nur für Prediger, welche sich in ähnlichem Falle befinden einiges Interesse haben können indeß predige ich oft genug in andern Kirchen, daß ich Ihnen wol dann und wann etwas anbieten kann, wenn Sie nach den Beispielen welche Sie finden werden einigen Nuzen davon erwarten können.
Es wäre überflüßig, Sie noch ausdrüklich zu versichern, wie sehr ich mich der Ahndung freue, wiederum wenn gleich in solcher Entfernung, eine mir näher verwandte Seele gefunden zu haben, und wie ich mich freuen werde recht bald wieder von Ihnen zu hören. Wäre ich Herrn von Goecking durch deßen Besorgung ich Ihren Brief erhielt näher bekannt, so hätte ich vielleicht unterdeß schon Manches Nähere von Ihnen erfahren können; ich habe aber nur sehr selten das Vergnügen den würdigen Mann an drittem Orte zu sehn. Eben diese Unbekanntschaft ist zum Theil auch die Ursache warum ich Ihnen meine Antwort gradezu übersende, ohnerachtet er mir gütig genug hat anbieten lassen sie einzuschließen. Ueberdies aber ist er aber jezt leider krank, welches eine noch längere Verzögerung verursachen würde, und so kann ich mit desto beßerem Gewißen meiner Vorliebe für eine unmittelbare Gemeinschaft freien Lauf laßen. Wollen Sie es eben so halten, so würden Sie mich desto mehr verbinden. Meinem Namen brauchen Sie auf der Adresse nichts hinzuzufügen; ich bin eben durch diese Maxime auf der Post bekannt genug, und die Briefträgerstube ist der wahre Siz meiner Celebrität. Vergeßen Sie ja nicht mir den Jahrgang oder Band der Bibliothek. p worin Ihre Recension der Reden enthalten ist nahmhaft zu machen, damit ich das belehrende Vergnügen Sie zu lesen und mit Ihnen darüber zu reden nicht immer entbehren muß. Den zweiten Band Ihres Religionslehrers – den ich übrigens bis jetzt auch nur aus Anzeigen kenne – habe ich nur eben bei Empfang Ihres Briefes als erschienen angekündigt gefunden.
Nehmen Sie nochmals meinen Dank für Ihr zuvorkommendes Vertrauen, und laßen Sie mich es auch in vollerem Maaße genießen nachdem Sie mir eine Hofnung desselben erwekt haben. Der herzlichsten Erwiederung sind Sie denke ich ohne Worte versichert. Ich meine wir werden Freunde werden und Sie werden es nicht bereuen die erste Ursach davon gewesen zu sein.
Schleiermacher
Metadata Concerning Header
  • Date: Montag, 15. Dezember 1800
  • Sender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Recipient: Friedrich Heinrich Christian Schwarz ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Münster (Butzbach) ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 4. Briefwechsel 1800 (Briefe 850‒1004). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1994, S. 361‒364.

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