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Johann Gottlieb Fichte to J. E. Müller

H. Pastor Müller.
Aus beigeschloßenen Zeitungsblatte werden Ew. den <fernem> Verfolg der Sache, der ich das Glük Dero Bekanntschaft verdanke, ersehen. Ich sage den Erfolg – denn, so sehr ich es wünschte, kann ich doch noch nicht eigentl. sagen das Ende. – Graubner hatte schon seit einiger Zeit [durch] Verehlichung mit einer Frau, die das Publicum ein altes Trödelweib nennt (ich selbst kenne die Lage nicht) den Stand, zu dem er sich bildet, entehrt; u. seit der Bekanntmachung dieses Ave[r]tis. wird es lauter gesagt, daß er schon auf der Schule ein schlechter Mensch gewesen, u. daß er seit geraumer Zeit ein Spieler, u. zwar ein Spieler in den schändligsten Häusern unsrer PetersVorstadt geworden sei. Bei diesem Betragen hat er immerfort u. ungestört auf allen Canzeln geprediget[,] würde ohne Zweifel mit der Zeit ein geistl. Amt erschlichen u. durch seine Aussuchung alles mgl. beigetragen haben, die Gleichgültigkeit gegen die Religion zu vermehren. Gegen mich hat er bis auf den lezten Augenblik die Frechheit gehabt, eine Lüge nach der anderen zu machen, u. mir einen geschriebnen, u. also untergeschobnen Postschein vorzulegen, u. mir anzukündigen, er werde die ganze Geschichte selbst nächstsens in der L. Zeitung bekannt machen. Ich habe darauf, mit Billigung eines der ersten Männer dieser Stadt gethan, was ich für recht hielt. Die erste gute Folge die dies gehabt u. die ich besonders beabsichtigt, ist gewesen, daß ihm schon den <Sonntag> zu Mittage die Canzel bis zu Endigung seiner Sache verboten ist. Wie er sie endigen kann, ist mir unbegreiflich. Ich habe erwartet von ihm verklagt zu werden; aber noch ist mir nichts bekannt worden.
Ueber mein Benehmen sind, wie gewöhnl. die Stimmen des Publicum getheilt. Mehrere Personen, die eine <durchaus> erschlaffte <Moral> unsers Zeitalters ange<nommen> zu haben scheinen, deren Prinzip wenigstens die Gerechtigkeit nicht ist, tadeln mich, als ob ich es sei, der ihn unglükl. gemacht habe. Andere, (die es wißen, daß dieses Publicum auch Mitleiden verdiene) hingegen, die es wißen, daß es auch Pflichten gegen Publicum, gegen Religion, gegen die gesammte Menschheit, u nicht blos gegen einzelne <unmündige> Mitglieder derselben gebe, billigen mein Verfahren. Bis jezt habe ich noch die Beruhigung gehabt, daß kein Mensch, den ich Ursache habe nicht zu schäzen, es billigt, u. keiner, den ich verehren muß, es misbilligt.
Ich habe deswegen geeilt, Ihnen den Erfolg bekannt zu machen, um Ihre Empfindungen darüber, an denen mir sehr viel liegt, zu erfahren: und ich darf, doch ohne [Ihre] gütige Meinung erschleichen zu wollen, Ihnen gestehen, daß der Schluß Ihres gütigen Schreibens in welchem Sie zur Entlarvung des Betrügers mithalfen, viel dazu beitrug meinen Entschluß zu bestimmen. Ich habe vor dieser Geschichte nichts von der Existenz eines Graubner gewußt, u. ich bin nach Erhaltung Ihres ersten Schreibens, während alle, denen es bekannt wurde, ihn verurtheilten, derjenige gewesen, der noch seine Vertheidigung übernahm, u. behauptete, die Sache sei zur Entscheidung noch lange nicht reif genug.
Die gütige Meinung, die Ew. zu Ende Ihres Briefes von mir äußern, schien mir die Erlaubniß zu geben, u. fordert mich wenigstens zu der Aufrichtigkeit auf, Ihnen zu gestehen, daß der Beifall eines <Redlichen> wie ich aus Ew. Betragen, u. geäußerten Grundsäzen Sie erkannt habe, mir nicht gleichgültig ist, u. daß ich mein künftiges Leben so einzurichten suchen werde, um ihn zu verdienen.
Ich mache gerade keine Reisen[,] obgleich bis jezt Thüringen die Provinz Sachsens ist, die ich am wenigsten kenne. Sollte ich je eine machen, die mich in die Nähe von Auerstedt brächte, so werde ich mit Vergnügen die Gelegenheit ergreifen.
Metadata Concerning Header
  • Date: Anfang März 1791
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: J. E. Müller
  • Place of Dispatch: Leipzig · ·
  • Place of Destination: Auerstedt ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 1: Briefe 1775‒1793. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1968, S. 215‒216.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 326
Language
  • German

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