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Johann Gottlieb Fichte to Frau Dewitz

An Mademoiselle Dewitz, d. 12. Jun.
Schon der warme Antheil, den Sie bisher an meiner Lage genommen haben; noch mehr aber die innige Güte, die aus den Zügen Ihres Gesichts und Ihrer Handlungen hervorleuchtet, haben mich bewogen Ihnen meine Sache zu übergeben, u. Sie zur Vermittlerinn zwischen der Fr. Gräfinn, u. mir zu machen. Ich bekomme dadurch den Vortheil, mich zu Führung meiner Sache meiner Sprache bedienen zu können, u. die Fr. Gräfinn denjenigen, keine andere als die ihrige in ihrer ganzen Reinigkeit zu hören. [/] Verzeihen Sie mir die Länge, welche dieser Brief bekommen könnte. Ich möchte nicht gern noch einmal zu Vorstellungen zurük kommen, mit denen es kein Vergnügen ist, sich zu beschäftigen; u. brenne das Ende einer Sache zu sehen, deren Anfang ich nicht gesehn zu haben wünschte.
Ich seze als angenommen voraus, was die Fr. Gräfinn mit der edelsten GrosMuth zugestanden hat: daß ich nach allem vorgefallnen in derselben Haus meiner ersten Bestimmung schwerlich entsprechen werde; daß es nicht meine Schuld ist, wenn man Erwartungen von mir gehegt hat, die ich nichts gethan habe, zu erregen; u. daß ich von der Gerechtigkeit, u. der Grosmuth der Fr. Gräfinn – aber lieber von Ihrer Grosmuth, als Ihrer Gerechtigkeit – eine angemeßne Entschädigung erwarten darf. Nur das also noch ist diese Frage, welches diese Entschädigung sein kann, und wofür ich sie zu erwarten habe?
Ich size ruhig in meinem Vaterlande, in Verbindung mit dem grösten Theile der Männer, die durch Kenntniße, u. Character die Achtung des Publicum verdient haben; geschäzt, u. geehrt von den meisten, die mich kennen; (ein kleiner Beleg davon sei beigeschloßner Brief von einem Cavalier in Sachsen, der als einer der ersten Kenner, u. Beschüzer der Wißenschaften anerkannt ist) meines Unterhalts durch Benuzung meiner Talente gesichert, im Begriffe Schriftsteller in einer der ersten Wißenschaften zu werden. Ueber alles das kann mir Herr Cori, den ich mit meiner vorherigen Lage in Leipzig glaubwürdig bekannt gemacht habe, Zeugniß geben. – Ich erhalte durch meinen Correspondenten in Dreßden, der seinem Freunde Kori in Warschau dienen (nicht sich von ihm dienen laßen) will, den Antrag nach Warschau. Ich erblike in demselben eine Gelegenheit, theils mich selbst vielseitiger auszubilden, theils ausgebreiteteres Gute zu wirken. Ich werde, dachte ich, einen Herrn, deßen Character für sein Vaterland wichtig sein wird, zum edlen Bürger, u. zum guten glüklichen Manne ausbilden. Ich werde mein Tagewerk gethan haben, u. man wird mich in den Stand sezen, [/] den Rest meiner Tage dem frohen Genuße sie nicht vergebens verlebt zu haben, u. der sorgenfreien Beschäftigung mit den Wißenschaften zu widmen. So dachte ich, u. riß mich wider die Warnung meiner Freunde – es waren Leute die die Welt kannten – aus meinen Verbindungen los. – Ich lange an. Ich werde vorgestellt. Aber – laßen Sie mich über diesen Punct meiner Geschichte hinwegeilen. Mir selbst ist die herablaßende Duldung, deren man mich noch würdigt, unter allen Auftritten, bei denen ich Zuschauer, oder handelnde Person war, eine der komischsten. – – Was wird jezt zu thun sein? Man thut mir das Anerbieten einen andern Plaz für mich zu suchen. Der erste Versuch dieser Art ist verunglükt, u. so werden sie es alle, oder ich kenne nichts von der Welt. Noch so sicher vorausgesezt, daß mein Gefühl abgestumpft genug sei, um aus dem Gedanken, ausgeboten zu werden, nichts Arges zu haben; wo finden wir die zweite Stumpfheit, die – anzunehmen, was ein anderer nicht wollte?
Es bleibt also nichts übrig, als abzureisen, entweder in mein Vaterland, oder in ein anderes, wo man Gründlichkeit, u. Deutsche noch schäzt. Welches von beiden ich aber auch wähle (u. das muß von mir abhangen) so sind in meinem Vaterlande meine Verbindungen abgerißen, alle Stellen besezt, und eine Menge von Leuten, die dergl. erwarten; in einem andern Lande sind erst Bekanntschaften zu suchen, Verbindungen einzugehen, mein Inneres geltend zu machen, das vortheilhafter ist, als mein Aeußeres; in keinem Lande aber ist es, in Rüksicht meiner vorhergehabten Stellen anständig für mich, gierig, u. unbesehen das erste zu ergreifen, was ich erhaschen kann. Da ich also in beiden Fällen Gefahr laufe ein halbes, ein ganzes Jahr, wohl noch länger auf einen Plaz zu warten, in beiden Fällen eine weite Reise zu thun habe, kein anderes Vermögen weder besize noch erwarte, als meine Talente, und nicht vorauszusezen ist, daß mir nach einer so langen Reise, u. nach den mancherlei Vorbereitungen, die dazu nöthig sind, ohnerachtet der Güte womit das Gräfl. Haus für die Kosten meiner Her=Reise gesorgt hat, noch baares Geld übrig sei: so ist die einzig paßende Entschädigung, um welche ich bitten kann, die: mir ein halbes Jahr meines accordirten Salarium, u. die Kosten der Rükreise auszahlen zu laßen. Sodann werde ich weder die Fr. Gräfinn, noch irgend jemand, der das Glük hat, ihr anzugehören weiter mit der Sorge für mein anderwärtiges Unterkommen behelligen.
Dies ist es, Mademoiselle, was ich Sie bitte, der Frau Gräfinn zu sagen. Ich habe hier blos die Vernunft reden laßen, u. habe, um die Stimme derselben nicht zu schwächen, mehr die stär[/]kern Ausdrüke gesucht, als die feinen. Ich bitte Sie, Mlle. diesen Gründen die Reize Ihres Ausdruks zu leihen. Ich bitte Sie, dieselben nicht alsbald zu gebrauchen; sondern diejenigen, die mehr auf die Empfindung wirken – daß ich ein Fremder bin, der keinen Schuz hat, daß ich ein Mann ohne Vermögen bin, daß die Fr. Gräfinn eine der edelsten Pohlinnen ist, daß ich vielleicht jezt oder in Zukunft auf die Meinung, die man in Deutschland von dem Polnischen National=Character haben soll, einigen Einfluß haben könnte – vorher zu versuchen. Ich bitte Sie endlich der Fr. Gräfinn zu sagen, daß ich es fühle bestimmt gewesen zu sein, Sie zu verehren, da Sie ein edles Herz, Verstand, u. Lectüre besizt; daß ich es innig bedaure, daß das neidische Schiksal mir nicht erlaubt hat, diese Vorzüge mehr in der Nähe zu bewundern, und daß ich Sie demüthig bitte zu glauben, daß ich Sie mit einem Herzen voll Dankbarkeit, u. Ehrfurcht verlaßen werde, wenn sich die Sache so endigt, wie ich es nunmehr wünschen muß.
Endlich bitte ich, diese Unterhandlung zu beschleunigen, weil es mir drükend ist, in Ungewißheit, u. unthätig zu sein; doch wünschte ich nicht mündlich darüber zu unterhandeln. Da es aber leider eine Möglichkeit wäre, daß nach diesem Briefe mein Anblik der Fr. Gräfinn unangenehmer werden könnte, als vorher, so muß ich zugleich um neue Verhaltungsbefehle bitten, ob ich im Hause der Fr. Gräfinn Eintritt habe, wie zuvor, oder ob ich es meiden soll. Inzwischen werde ich heute nicht zu Abend speisen, weil ich noch viel zu schreiben habe, u. morgen zu Mittage bin ich, wie Ihnen bekannt ist, eingeladen. Ich hätte also nicht eher zu erscheinen, als morgen Abend, u. vielleicht wird indeßen ein entscheidender Beschluß genommen.
Ich habe von diesem Briefe eine Abschrift genommen, so wie ich alles, was über diese Sache geschrieben wird, in Original oder Copie aufbewahren werde.
Ich bin Mdlle. mit derjenigen Hochachtung, zu welcher die Eigenschaften Ihres Geistes u. Herzens mich auffordern
Deroselben etc.
Metadata Concerning Header
  • Date: Sonntag, 12. Juni 1791
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Frau Dewitz
  • Place of Dispatch: Warschau · ·
  • Place of Destination: Warschau · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 1: Briefe 1775‒1793. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1968, S. 230‒233.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 41
Language
  • German

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