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Kr. to Johann Gottlieb Fichte

Offenbach bei Frankf. den 2. März 1799.
Verzeihen Sie, theurer Herr Professor! daß Sie so spät die Antwort auf Ihren Brief erhalten. Ich wollte die Zeit [/] abwarten, wo ich mich auf einem Boden befinden würde, von wo aus ich Ihnen freier und offener schreiben dürfte. Zudem wußte ich es zum Voraus, daß die Mainzer Regierung Ihnen keine solche Vorschläge thun würde, die Sie nur im Geringsten reizen könnten, Ihre jetzige glückliche Lage mit einer minder glücklichen – ja mit einer sehr unglücklichen zu vertauschen. –
Man sorgt leider! bei uns für Erziehungs=Anstalten sehr wenig – spricht sehr vieles davon – nach französischer Art – und leistet im Grunde nichts. – Das höchste Anerbieten, das man Ihnen hätte machen können, wären vielleicht 2000–2500 Franken gewesen, und in Mainz hätten Sie sicher bis jetzt noch nicht Ihren Wirkungskreis gefunden. Sie hätten sich ihn bilden müssen, – und ob und wie Ihnen dies gelungen wäre, dies ist eine Frage, die ich eher mit Nein als Ja beantworten möchte. – Kurz, die französische Nation ist für Ihre Lehre noch nicht reif, und wie dieselbe jetzt sich beträgt – Ihrer nicht werth. – Nach meiner Erfahrung ist Geld der Oelgötze, vor dem Alles niederfällt – und ächter Patriotismus ein seltener Vogel. Unsere Lage ist nicht die glücklichste; wir sehen uns leider an allen Ecken und Enden getäuscht, und überall mit Schurken umgeben, die uns mit Spott und Hohn aussaugen und ausmergeln, und dann noch so unverschämt sind, uns unsere Lage als die glücklichste vorzuhalten, uns auffordern uns gegen andere Völker beneidenswerth zu finden, die nicht das Glück genossen, von der großen Nation befreit zu werden. – Rudler soll vor einiger Zeit im Sinn gehabt haben, ein Arrêté ergehen zu lassen, worin die Bürger befragt werden sollten, ob sie auch ihr jetziges Glück recht fühlten und zu schätzen wüßten.
Konnte der Mann sich einfallen lassen uns so zu höhnen! – Ich könnte eine ganze Litaney von Klagen anstimmen über die Schurkereien unserer Regierer, über den verfluchten Stempel, die teuflische Erfindung des Enregistrement, der [/] Fenster=Taxe ec. ec., wenn mir dies alles nicht zu ärgerlich und kränkend wäre. –
Doch bei allem Dem sey es ferne von mir, unsere alte krüppelhafte Verfassung zurück zu wünschen, und wieder in den alten Sündenpfuhl zurück zu fallen. Sind wir doch Gottlob! um so vieles weiter, und hoffen noch weiter zu kommen. Von dem Frieden hoffe ich alles, und auf unsere Wahlen, – wenn wir sie erst hätten – rechne ich sehr. In unserm Departement haben wir viele gute brave Männer, die mit den übrigen Departements vereinigt wohl Etwas wirken könnten: Bis jetzt stehen sie noch zu sehr unter den Machtstreichen Rudler’s. –
Metadata Concerning Header
  • Date: Samstag, 2. März 1799
  • Sender: Kr.
  • Recipient: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Place of Dispatch: Offenbach am Main · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 3: Briefe 1796‒1799. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1972, S. 202‒203.
Manuscript
  • Provider: Handschrift verschollen
Language
  • German

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