Single collated printed full text without registry labelling not including a registry
TEI-Logo

Friedrich Samuel Gottfried Sack to Friedrich Schleiermacher

Sie wissen, mein theuerster Herr Schleiermacher, wie hoch ich Sie von Anfang unserer Bekanntschaft an geschätzt habe, und ich darf nicht daran zweifeln, daß Sie mich unter Ihre aufrichtigsten Freunde gezählt haben. Die Talente, die Ihnen Gott verliehen, die schönen Kenntnisse, die Sie sich erworben, und der rechtschaffene Sinn, den ich an Ihnen wahrnahm, erwarben Ihnen meine Hochachtung und mein Herz; und ließen mich wünschen, daß Sie sich als ei | ner der vertrauteren Freunde meines Hauses ansehen möchten. Es gab nur Eine Seite in Ihrer Denkungsweise und in Ihrer Lebensart, die meinen Begriffen und meinem Gefühl von Schicklichkeit entgegen war. Den Geschmack, den Sie an vertrauteren Verbindungen mit Personen von verdächtigen Grundsätzen und Sitten zu finden schienen, konnte ich mit meinen Vorstellungen von dem, was ein Prediger sich und seinen Verhältnissen schuldig ist, nicht vereinen. Sie wissen, daß ich Ihnen einen Zweifel darüber nicht verschwieg, und wenn Sie auch meine Meinung nicht gebilligt haben, haben Sie gewiß meine Offenherzigkeit nicht getadelt. Ihr Werk über die Religion erschien. Als ich einen Theil der ersten Rede in Manuscript gelesen hatte, machte ich mir die angenehme Vorstellung, daß die Schrift eines Mannes von Geist der Religion Verehrer und Freunde unter denen, die sie bloß verkennen, gewinnen würde; und daß sie in keiner andern Absicht als in dieser geschrieben sei. Sie erinnern sich ohne Zweifel, mit welcher Lebhaftigkeit ich Ihnen meine Freude und meine Hoffnung zu erkennen gegeben habe; die Folge hat mich inzwischen zu bald gelehrt, wie gröblich ich mich getäuscht hatte. Ich kann das Buch, nachdem ich es bedachtsam durchgelesen habe, leider für nichts weiter erkennen, als für eine geistvolle Apologie des Pantheismus, für eine rednerische Darstellung des Spinosistischen Systems. Da gestehe ich Ihnen nun ganz freimüthig, daß dieses System mit allem dem, was mir bisher Religion geheißen hat, und gewesen ist, ein Ende zu machen scheint, und ich die dabei zum Grunde liegende Theorie für die trostloseste sowohl als verderblichste halte, und sie auf keine Art und Weise weder mit dem gesunden Verstande noch mit den Bedürfnissen der moralischen Natur des Menschen in irgend eine Art von Vereinigung zu bringen weiß. Eben so wenig begreife ich, wie ein Mann, der einem solchen Systeme anhängt, ein redlicher Lehrer des Christenthums sein könne; denn keine Kunst der Sophistik und der Bered | samkeit wird irgend einen vernünftigen Menschen jemals überzeugen können, daß der Spinosismus und christliche Religion mit einander bestehen könnten. Ich bin zwar überzeugt, daß Sie als Prediger die Grundsätze und Meinungen nicht vortragen werden, die Sie als die wahren und richtigen mit so wegwerfender Verachtung der ihnen entgegenstehenden in Ihrem Werke darzustellen gesucht haben. Sie werden fernerhin bei den gemeinen Begriffen von der Abhängigkeit des Menschen von Gott, von der Verbindung, in der wir mit dem höchsten Wesen stehen, und von den Gesinnungen der Anbetung, der Dankbarkeit, des Gehorsams und des Vertrauens, die daraus fließen, in einer verständlichen und vielleicht auch biblischen Sprache reden; aber Sie werden es als ein Mann thun, der von diesem allen in seinem Herzen nichts glaubt, der sich nur zu den Irrthümern und dem Aberglauben des undenkenden Pöbels herabläßt, und um nicht anstößig zu werden noch Redensarten gebraucht, die bei ihm selbst gar keinen oder einen durchaus verschiedenen Sinn haben. Was ist ein Prediger, der das Universum für die Gottheit hält, dem Religion nichts weiter ist, als Anschauung des Universums; der zwischen Religiosität und Moralität durchaus keine Verknüpfung erkennt; der alle Motive zum Gutsein, die aus Religionsbegriffen hergenommen sind, verachtet und verhöhnet, der von keiner Dankbarkeit gegen einen unsichtbaren ewig lebenden Wohlthäter etwas wissen will – – – was ist ein solcher Prediger für ein bedauernswürdiger Mensch! Wie muß ihm bei jedem Worte, das er auf der Kanzel sagt, sein Herz des Doppelsinnes, der Heuchelei und des Verfälschens der Wahrheit aus lohnsüchtigem Eigennutz oder aus niedriger Menschenfurcht oder Menschengefälligkeit bezüchtigen! – Lösen Sie mir das Räthsel, wie Ihnen ein Geschäft noch gefallen kann, das Ihnen doch nothwendig als Frucht und als Beförderung der Albernheit und des Aberglaubens erscheinen muß – wie Sie das Beharren bei diesem Geschäft aus | Convenienz mit Ihrem eigenen Gefühl von Recht in Harmonie bringen können? Ich kann mir denken, daß ein Spinosa in sich selbst ruhig und vielleicht auch glücklich gewesen sei; aber daß er es als ein bestellter Lehrer der christlichen Religion, und wenn er öffentlich gerade das Gegentheil in seiner Philosophie hätte lehren müssen, gewesen sein würde, daran zweifle ich. Ehre macht es ihm daher, daß er, seiner Armuth ungeachtet, den ihm angebotenen Lehrstuhl in Heidelberg ausschlug. – Doch vielleicht haben Sie sich darüber einen mir unbekannten Grundsatz gemacht und halten es nicht für unrecht, die, religiöse Gegenstände bezeichnenden Worte zu gebrauchen, obgleich Sie den Sinn, der nach dem allgemeinen Sprachgebrauch damit verbunden wird, für Unsinn halten. Nach der Klugheit einiger neuer Philosophen ist es erlaubt und rathsam den Wörtern Gott, Religion, Vorsehung, künftiges Leben noch eine Zeitlang ihren Platz zu gönnen und ihnen nach und nach andre Begriffe unterzulegen, bis man sie nicht mehr nöthig haben wird, und sie ohne alle Gefahr weglassen kann.
Meiner Ansicht der Sache nach hat Sie, mein theuerster Herr Prediger, das Verlangen, sich einen neuen Weg zu bahnen, und die Scheu vor dem, was gemein ist, verbunden mit spekulativem Scharfsinn und blühender Einbildungskraft, auf einen Abweg, und, meiner innigsten Ueberzeugung nach, auf einen unglücklichen Abweg verleitet. Es von Ihnen zu denken, ohne es Ihnen zu sagen, scheint mir der Pflicht der Freundschaft, und dem, was ich sonst Ihnen und mir schuldig bin, entgegen. Ich weiß sehr wohl, daß diese Erklärung meiner Unübereinstimmung mit Ihnen in dem, was ich für das Heiligste und Angelegentlichste des Menschen erkenne, gar nichts dazu beitragen kann, Ihre Meinungen und Gedanken irgend etwas zu verändern. Ich weiß auch, daß in dem Zirkel, in welchem Sie leben, Männer wie ich für Schwachsinnige gehalten werden, deren Urtheil gegen die Kraft- und Machtsprüche solcher, die selbst | auf einen Leibnitz, Garve, Engel u.s.w. als auf armselige Halbköpfe herabschauen, gar kein Gewicht hat. Aber der Himmel weiß, daß ich auch dieses nicht schreibe, um Sie zu einer andern Meinung zu bringen, sondern nur, um Sie nicht in Ungewißheit zu lassen, welches die meinige sei. Ich will durchaus Niemanden verachten, verketzern oder verdammen, aber ich verachte, verketzere und verdamme unverhohlen die, nach meinen Einsichten, verabscheuungswerthe (so genannte) Philosophie, die an der Spitze des Universums kein sich selbst bewußtes, weises und gütiges Wesen anerkennt, die mich zu dem Geschöpf einer Allmacht und Weisheit macht, die nirgends ist und überall; die mir die edle Freude, das unvertilgbare süße Bedürfniß rauben möchte, meine Augen dankbar zu einem Wohlthäter aufzuheben, die unter meinen Leiden mir den Trost grausam entzieht, daß ein Zeuge meiner schmerzhaften Gefühle da sey, und ich unter der Regierung einer auch auf mein Wohl bedachten Güte leide. Ich verachte und verdamme die gleißende Toleranz, die der Abgötterei, der Schwärmerei, der Lasterhaftigkeit das Thor zum Tempel der Religion nicht minder freundlich aufmacht, als den Weisen und Guten, die nach Wahrheit und Tugend streben. Aeußerst empörend und verderblich erscheint mir die revolutionäre neue Schule, die mit frevelhafter Hand alles umstürzt und niederreißt, die aus dem schönsten fruchstbarsten Felde des menschlichen Denkens und Glaubens eine traurige öde Wüste macht, in der auch nicht Ein Baum mehr Schatten giebt, nicht Ein Halm mehr wächst, nicht Eine Quelle mehr rieselt. Eben so empörend ist mir die revolutionäre neue Sprache, die, der ersten Regel alles vernünftigen Redens und Belehrens (der Verständlichkeit) zum Trotz, immer mit falscher Münze zahlt, sich in räthselhaftes Dunkel hüllt und aus Furcht, sich gemein auszudrücken, schwülstig wird, grade wie ein Mensch, der um nur größer, als andre, zu scheinen, auf Stelzen einhergeht. Ein mit der edlen Einfalt der Griechen so bekann | ter Mann, wie Sie, sollte wenigstens diese pomphafte und geschmacklose Schreibart verschmähen, und sie den Schwärmern und poetisirenden Witzlingen überlassen, die sich mit dem Anstaunen und dem Lobe der empfindelnden, gelehrt sein wollenden Weiblein begnügen. Auch ist das schneidende Absprechen in Sachen dieser Art gewiß so wenig ein nothwendiges Erforderniß, als eine Empfehlung eines ächten Philosophen. Wer Paradoxien vorträgt, hat, meiner Meinung nach, doppelt nöthig sich in den Grenzen der Bescheidenheit zu erhalten.
Mein theuerster Herr Schleiermacher! hätte mein Herz weniger an Ihnen gehangen, wäre mir die Hoffnung nicht so viel werth gewesen, daß Sie die Kraft und den Willen haben würden, dem Strome der Afterweisheit, die unser Zeitalter characterisirt, einen festen Damm mehr entgegenzusetzen: so würde es mir nicht so wehe thun, daß gerade Sie sich von diesem Strome haben fortreißen lassen. Ihre Kanzelvorträge, das bin ich gewiß, schaffen Nutzen; der Verstand und das Herz ihrer Zuhörer werden dabei gewinnen – aber gewiß nur derjenigen Zuhörer, die von Ihrem eigentlichen System keine Kenntniß und Ahndung haben. Wollen Sie denn künftig nur von diesen mit Nutzen gehört werden? Von allen denen aber, und unter diesen sind doch gewiß der Achtungswerthen sehr viele, deren Religiosität noch an dem Glauben an einen seienden und gebietenden Gott hängt, und denen Sterben etwas anders ist als ein Verschwinden ins Universum – von denen könnten Sie wünschen vermieden zu werden? – Auch aus Eigennutz thut es mir wehe, daß für mich in allem, was Sie über religiöse Gegenstände sagen oder schreiben könnten, so wahr es auch sei und so trefflich es auch gesagt sein möchte, doch keine Nahrung mehr zu finden ist, denn ich bin nicht Herr des Eindrucks, den die unvermeidliche Assoziation der Ideen auf mich machen würde. Mit herzlicher Wehmuth nehme ich daher Abschied von Ihnen. Ihr Weg ist nicht der meinige. | Ich hoffe, wir werden einmal uns wiederfinden; ob Sie zu mir sich wenden werden, oder ich zu Ihnen herumkomme, wird die Zeit lehren.
Metadata Concerning Header
  • Date: Ende 1800/Anfang 1801
  • Sender: Friedrich Samuel Gottfried Sack ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 5. Briefwechsel 1801‒1802 (Briefe 1005‒1245). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1999, S. 3‒7.

Basics · Zitieren