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Lotte Schleiermacher to Friedrich Schleiermacher

Gestern mein Lieber erhielt ich Deine lieben Zeilen als Begleitung zu Friderikens Brief der mich zum Schluß meines zu Ende eilenden LebensJahres angenehm überrascht hat – beides ihr herzliches Wohlwollen als das ungezwungne und doch feine des Stiles, war meinem innern sehr wilkommen – ich las es im Garten und freute mich beim Anschaun der schönen Natur, der Liebe so mancher wahrhaft edler ausgezeichneter Menschen die in der Nähe und Ferne so viel zu meinem Glük beitragen – ich werde es wohl kaum über mich gewinnen könen – diesen köstlichen Brief so ganz mit Schweigen nur werth zu achten – doch will ich erst Deine Meinung darüber hören. Dein Wink über die Beßerung Deiner Gesundheit – und der gute Entschluß in Betracht des öfteren Schreibens – nebst der Anweisung des komenden Wieland in Geselschaft (eines wie ich hoffe ausführlichen Briefes) alles das war mir sehr tröstlich und erfreulich – mehr als ich mit Worten sagen kann.
In diesem Monat hatten wir schon einige vortrefliche Tage an denen ich manchen einsamen Spaziergang machte – auf welchem mich Deine Epistel die ich zu Anfang dieses Jahres erhielt begleitete – da fand ich denn bei aller Aufmerksamkeit die ich bei der Antwort angewandt – daß doch einige Stellen unberührt geblieben sind – als von Deinen Henschelins von | denen ich mich nicht das geringste zu erinnern weis – da ich doch meiner gehabten NervenSchwäche ohngeachtet alle mir einmahl genanten Nahmen sehr gut behalte – die ganzen Leute so wie ihre Verhältniße mit Dir und Wenzeln waren mir neu. |
Schon sind es 4 Wochen und mehr daß ich das vorige geschrieben, denn wir haben heute den 6ten May – und noch war es mir nicht möglich hier weiter zu schreiben denn jenes auf Charles Blatt ist für sich einzig in seiner Art – ich glaube fast daß mich die Ungewißheit in welcher ich mich jezt seines Schiksaals wegen befinde so stumm macht – auch heute habe ich vergebens auf Briefe von ihm gewartet wahrscheinlich will er nicht eher schreiben bis er entscheidende Antwort von Liegniz hat – wenn die Sache gelingt so komt sie doch gewiß auch in jenen Roman den Du dereinst schreiben willst – Charles bewilligt es gern wie er mir gesagt – wenn aber der alte Oheim es abschlägt dann fürchte ich wirklich Er geht in alle Welt! – Denn sein Begehren ist heftig wie seine Liebe – die noch der 7 Jahr unbeschadet in der ersten Flamme ist und zu einer ziemlichen Stärke gereift scheint |
den 9ten May Dieser Brief wird ziemlich alt – und doch bleibe ich diesmahl bei dem festen Vorsaz ihn nicht eher abzuschiken bis eine Antwort auf 2 Episteln von mir – von Berlin erscheint – es wäre mir sehr unangenehm wenn ich wegen des noch imer nicht erschienenen Wielands das Vergnügen was von Dir zu lesen so lange entbehren müste – aber tröstlicher als wenn Krankheit Dich hinderte. Wenn Du meine Laage und Stimung besonders in dieser heut zu Ende gehenden Woche ahnden köntest – so würde ich gewis mit der heutigen Post Briefe bekomen haben. Nichts kan mich jezt in der Wartezeit trösten als der liebliche Gedanke Du wilst mich vielleicht mit einem Besuch überraschen und dadurch für alles schadlos halten. Ich habe wie Du imer zu sagen pflegst – in meinen beiden leztern so recht vom Herzen geredet – mich Dir ganz entfaltet und so manches aufgetischt worüber ich gern etwas hörte und Du peinigest mich mit Schweigen – ach wie sehr ist es mir Bedürfniß in diesen Tagen (und so werden wohl manche Wochen vergehn) wo ich schweigen muß – etwas von meinen Lieben zu wißen – Gott weiß es der in allen Verhältnißen der näheste Freund meiner Seelen bleibt – wie mir jezt zu Muthe – und was meine Seufzer und Thränen sagen. |
den 25ten May Noch imer nichts von Dir! und auch schon lange nichts zu Dir lieber Bruder! Dismahl aber wäre es mir nicht möglich wenn ich auch den besten Willen gehabt hatte die Epistel zu endigen und abzuschiken.
Erst jezt – da dis so oft verengte verwundete gepreste Herz durch Thränen die einige Tage hintereinander reichlich strömten etwas Luft bekommen hat – bin ich im Stande Dir etwas vorzustamlen – Vielleicht besinst Du Dich auf einen herzlichen Wunsch den Du bei meinem Auszug aus der Anstalt äußertest – dieser möchte jezt wieder statt finden – und ist mir auch was das merkwürdigste jener Brief in diesen trüben Tagen in die Hände bekomen aus dem ich unverzüglich die treffende Stelle hersezen will.
„Möchtest Du in Deiner neuen Laage nichts vermißen was Dir in der alten werth war! Manchmahl giebt eine kleine Entfernung eine große Trenung und es bedarf oft nur einer Mauer um ein schönes Verhältniß zwischen 2 freundtschaftlichen Seelen so gut als ganz zu zerstören.
Möge es jedem dieser schönen Gemüther wohl gehen und kein äußrer Druk die freien Bewegungen eines zarten Herzens in gewaltsame Anstrengungen – keine ungünstige Atmosphäre den lieblichen Hauch eines wohlwollenden Geistes in leise Seufzer verwandeln.“
Die mit dieser Stelle in Bezug stehende Erfahrung die ich vor 14 Tagen gemacht scheint zwar manchem von wenig Bedeutung weil sie theils zu wenig Gefühl – theils zu wenig I Kentniß von mir und meinem wahren Wesen haben.
Seit ich meine jezige Pritwiz verlaßen habe – hat man im engsten Sinn des Worts keine Stubenveränderung mit mir vorgenomen – d. h. vor meinem Einzug in die Anstalt – und jezt seit meinem Auszug aus der Anstalt – habe ich imer bei einer Vorgesezten gewohnt – manche Abwechselungen mit denen Einwohnern beigewohnt – aber doch fast immer 1 oder mehr in der Stube gehabt mit denen ich mich angenehm unterhalten konte – auch war ich seit der lezten Periode so sehr an meinen Winkel – und was noch mehr an eine Schwester die mich bediente und mir daneben auch interressant war und bleibt so verwöhnt – daß mich diese Trenung – hinauf in den Oberstok zu ganz unbekanten auch meist ungebildeten Leuten – viel Thränen und Seufzer gekostet hat – nicht zu gedenken des originellen Wesens von welcher ich Dir in meinem vorlezten Briefe sagte mit welcher ich über lectüre und über das meiste von dem was mir am Menschen und der Natur groß und heilig ist sprechen konte – und wenn es nur eben stille Augenblike gab – wo das junge brausende Wesen sich gegenwärtig – auch immer ganz verstanden wurde – Auch diese solst Du kennen lernen wenn Du komst – glaube mir Lieber alles was ich denke lese und fühle ist so inig mit dem Gedanken an Dich verwebt – daß ich Dein Schweigen mir gar nicht anders deuten kan – warum blieben denn Brief und Wieland aus |
Seit einigen Posttagen ist mir das Außenbleiben der Berliner Briefe die ich Gott weis es seit Februar so sehnlich wünsche nicht nur gar nicht peinlich – sondern tröstend und erfreulich – indem es mich in der gefaßten süßen Vorstellung eines baldigen Besuchs bestärkt[;] mit ganz eignem Gefühl sehe ich jenen Tagen entgegen da es 6 Jahr wird daß Du mich in Stein überraschtest – und vielleicht eben jezt auf der Reise zu mir bist – Täuschung ist freilich bitter – indes ich bin mir selbst dran Schuld – in denen jezt verlebten trüben 4 Wochen trat er auf einmahl mir vor die Seele der Gedanke unsers Wiedersehns – er war der einzige der mich erheitern konte – und ich hielt ihn vest – wohl mir wenn es endlich der tiefe Schmerz erlaubt einen schönen Gedanken, heißt, Hofnung, zu faßen – der mich jezt da ich wieder kränklich bin so zu sagen aufrecht hält – o! wie ich sie mir ausmahle die Tage Deines Hierseins – die freilich auch wieder ihre Unvolkomenheiten haben – da manches sich nicht so zusamentrift als Du es bei einem Besuch wohl wünschen würdest – doch jezt nichts davon! aber das Vergnügen – die herrlichen Gegenden in Fürstenstein zu sehn soll mir alsdann nicht entgehn. Dieses Frühjahr sind schon wieder viele Geselschaften von hier hingewandert. O! so allein in einem leichten Wagen mit Dir hinfahren und im Anschaun der schönen Natur uns von allem zu unterhalten was unsrem Herzen und Geist etwas ist welch eine trefliche Aussicht! O! wie viel Erquikung hat mir meine Fantasie in diesen Tagen schon gewährt! – |
den 7ten Juny Noch ist kein Brief erschienen – und ganz kann ich ihn auch nicht aufgeben den Gedanken an Deinen Besuch – er ist gar so lieblich auch in meiner jezigen kränklichen Laage – denn seit 14 Tagen muß ich mich wieder einmahl ernstlich des Arztes bedienen – der mir 4 verschiedne medicamente hintereinander gegeben hat – nun ist sie zu Ende die lezte Mixtur und ich bin auch in der Beßerung war aber sehr angegriffen und matt – es waren der Dinge zu viele die mich seit einer geraumen Zeit bestürmten Charles sonderbare Laage trägt auch das ihre dazu bei er wird Dir auch wohl von der abschlägigen Antwort des Alten geschrieben haben – was soll nun werden! er hat seitdem nichts von sich hören laßen – die Geschichte beunruhigt mich nicht wenig[;] ich habe nichts gegen die Verbindung – nur wünsche ich daß sie auch um des lieben äußern wegen in aller Güte beendigt werde. Charles hat mir ernstlich von seiner Kunst allerley angeboten – und da mir jezt der Doctor das SelterWaßer angerathen – habe ich ihn ganz treuherzig um etwas ersucht aber bis jezt noch nichts erhalten.
Ich kan mich gar nicht entschließen etwas geschriebnes an Dich abzuschiken – es ist doch wirklich lange schon daß ich nichts von Dir habe – wohl habe ich schon oft alte Episteln durchlesen und manche liebliche Rükerinrung gehabt – aber es ist doch imer nichts über die Gegenwart – Ach wenn Du nur selber kämest – |
den 10ten Juny Seit langer sehr langer Zeit hatte ich gestern die Freude meine gute trefliche Aulock hier zu sehen – beinahe waren es 3 ViertelJahr – Seit 5 Wochen wuste ich auch gar nichts von ihr und hatte vor Schwäche auch allen Muth zum schreiben verlohren. Gestern vormittag gegen 11 uhr da ich aber aller Schwäche ohngeachtet meine SchulStunde nicht eher schließen konte als bis es geschlagen ließ sie mir ihre Ankunft melden und mich zu einer MittagsSuppe einladen – nicht so lebhaft als sonst nach so langem Warten fühlte ich die Wonne dieses Wiedersehens – und nur schwach konte ich es ihr bezeugen – nach und nach aber stiegen sie aus dem tiefsten meines sensoriums hervor alle die lieblichen frohen Gefühle – je mehr ich sie und ihre lieben 3 Töchter ansah – freute ich mich daß nach alle dem was ich gelitten ich doch noch für die Freuden empfänglich – die mir die Freundin meines Herzens durch diesen Besuch geben wolte – – Schon seit eingen Jahren habe ich ihren Auffenthalt der für mich nur 2 Stunden dauerte – nicht so ungestört genoßen – wir haben recht aus dem inersten gesprochen – auch sie die Trefliche meinte Du würdest mich gewis diesen Sommer besuchen weil Du seit so langer Zeit nicht geschrieben – ach Gott wenn es Täuschung ist – würde ich denn doch bald durch einen recht langen Brief in etwas entschädigt – Dein Schweigen ist mir unbegreiflich ich bin mir selbst nicht klug genug ob ich auch diese Epistel noch abschiken soll wenn auf den Sonnabend kein Brief erscheint |
den 15ten Juny Vorgestern erhielt ich endlich Briefe von Charles die mich freilich aus meinem süßen Traum herausgehoben – indem ich daraus ersehen daß Du wegen vieler Geschäfte mir so lange nicht geschrieben hast und nun soll auch diese Epistel nicht länger hier weilen – es ist die 3te die um Antwort bittet – um baldige und ausführliche – etwas wirst Du doch das ganze ViertelJahr im voraus geschrieben haben – Aus so manchem was Du hier angezeichnet findest ist leicht zu erachten wie lieb und wilkommen Du mir gewesen wärest – und Dein Herzgefühl wird Dir sagen wie nötig und heilsam mir eine solche Aufheiterung aus Berlin in meiner jezigen Laage, und bei meinem noch fortdauernden schwächlichen Zustande – ist –. Medicin habe ich genug verschlukt – und warte jezt auf das mir versprochne SelterWaßer – hoffentlich wird sich das Wetter wieder denn die kalte regnigte Zeit ist zur Genesung eben nicht beförderlich – – wenn es in Boehmen eben so ist wird die BrunenCur für Freiherrn Peistel eben nicht wohltätig sein – Seit 5 Wochen ist er fort – hat sich aber erst einige Zeit bei seiner Mutter und Kindern aufgehalten – leztere hat er nach Ostern wieder hingeschikt. Bitte laß mich nach Empfang dieses nicht lang warten. Den Wallenstein habe gelesen und mich recht dran ergözt
Lotte
Verzeihe die Unordnung dieser Blätter – und wenn Du kanst so schike mir etwas zur Bezahlung meines ApotekerZettels der seit Weinachten viel beträgt
Metadata Concerning Header
  • Date: Ende März bis 15. Juni 1801
  • Sender: Lotte Schleiermacher ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Gnadenfrei ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 5. Briefwechsel 1801‒1802 (Briefe 1005‒1245). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1999, S. 83‒89.

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