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Charles Schleiermacher, Lotte Schleiermacher to Friedrich Schleiermacher

Gnadenfrei den 6ten April 1801.
Ohne Zweifel wirst Du, lieber Bruder, in diesen Tagen Dich manchmal besonders hierher gedacht haben; so wie wir ebenfals mit unserm Geiste fleißig in Berlin gewesen sind. Ich kam Dienstag Vormittag, als am Geburtstag unsrer guten Lotte hier an, welches sie sehr überraschte, da sie mich erst Abends erwartete. Fast den ganzen Tag waren wir unser, wenige Stunden des Nachmittags ausgenommen, welche schon zu einem Geburtstagskaffe mit einigen Amtsschwestern bestimmt waren. Während dieser Zeit machte ich dem vortrefflichen Baron Cottwitz, einem der wärmsten Verehrer und Freund unsers seligen Vaters, meine Aufwartung. Er nahm mich mit solcher Freundschaft und Herzlichkeit auf, die mich deutlich fühlen ließ, wie viel werth ihm unser guter Vater gewesen sein muß. Den folgenden Tag speiste ich mit Lotte bei ihm. Wir haben uns dort sehr wohl befunden.
Was mir voriges Jahr versagt ward, Lotte unter ihren adlichen Freunden zu sehen, ist mir dieß Jahr geworden. Wir waren zusammen bei Prittwitz, Seidlitz und Peistel, und es lohnte wohl der Mühe sie in allen diesen Verhältnißen zu sehen –
den 15ten Aprill. Gestern waren es 8 Tage daß der gute Charles die letzten 4 Zeilen kurz vor unsrer Trenung schrieb – ich begleitete ihn bis zu jenem Busch hinter dem Hofe des Baron Cotwiz wenn Du Dich deßen noch zu entsinnen weist – und wanderte dann allem mehr unter dankbaren Gefühlen der genoßnen schönen Tage als unter dem Schmerz der Trenung zurük wahrscheinlich wird er selbst mit der Zeit Dir melden wie so traulich und vergnügt wir waren, selbst bei unvermeidlichen ernsthaften Gegenständen – wurde meine Stimung nie ganz trübe – wir haben recht aus dem innern heraus | geredet – nach und nach kam denn auch das innigste Geheimniß seines Herzens, mit welchem der gute Mensch mich zu betrüben fürchtete heraus – ich ahndete dis längst – hatte mich selbst dazu vorbereitet – seine Beharrlichkeit war mir Beweis der Festigkeit seines innern Wesens – und wie er mich dann durch sichre Nachrichten von dem Argwohn, daß jene Holdin ihrer Flüchtigkeit wegen vielleicht seines Strebens nicht werth sei – zu befreien wuste — und ich ihn meiner ganzen Liebe für Friderique versicherte – und meiner völligen Zufriedenheit wenn ihm der heiße Wunsch erfüllt wird – mit der Bitte vereinigt der Sache bald ein Ende zu machen – da lernte er mich denn besonders in denen lezten Tagen imer mehr in meiner wie Du sagst zulezt gewonnenen Gestalt kennen – so daß wir in den eigentlichen OsterFeiertagen die Stunden und Augenblike im Gemeinlogis durch Vernachläßigung des GottesDienstes – erst recht benuzten – – Gott gebe daß die Geschichte auf den Herbst beendigt – und er keinen so einsamen Winter in der Vorstadt verlebt. Des von Pritwiz mit dem er weiland auf einer Stube wohnte dauernde Freundschaft zufolge deren er Charles zuerst anredete – und sich alle Ceremonie verbat – war uns Beiden sehr wohlthätig – ohngeachtet ich nie hier bei alten Pritwiz bin, wurden wir dennoch dahin eingeladen – auch zu meiner alten von Seidliz und dem JustizRath wo auch Du mit mir gespeist und am 2ten Feiertag bei Peistels – der Arme hatte alle Heiterkeit zusammengeraft – und Sie vielleicht alle Feinheit und doch bemerkte Charles an Ihm einen Spleen — und daß an Madame eine Kuhmagd verdorben sei.
Metadata Concerning Header
  • Date: Anfang April bis 15. April 1801
  • Sender: Charles Schleiermacher · , Lotte Schleiermacher ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Gnadenfrei ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 5. Briefwechsel 1801‒1802 (Briefe 1005‒1245). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1999, S. 90‒93.

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