Münster unweit Giesen im Hessendarmstädtischen den 12ten May – 1
Sie haben mir, bester Mann, mit Ihrem freundlichen belehrenden Briefe sehr wohlgethan. Hätte ich doch bisher die Stunde finden können – es war gerade die Zeit wo sich meine meisten Geschäfte im Jahre zusammendrängen – um Ihnen meinen Dank dafür zuzurufen, und mich in der geistigen Gemeinschaft mit Ihnen weiter zu unterhalten! Wenigstens hätte ich Ihnen sogleich meine Freude darüber sollen zu erkennen geben, daß Sie mir Beyträge liefern wollen, vielleicht hätten Sie dann schon die Arbeit übernommen. Aber ich habe ein gewisses Zutrauen überhaupt zu Ihnen gewonnen, und dieses heißt mich die Arbeiten von Ihnen erwarten, auch ohne daß ich Ihnen noch bestimmter meinen Wunsch erklärt habe. Besonders freut mich Ihr Versprechen, Campe’s Weltgeschichte für unsre Bibliothek zu recensiren; die Beurtheilung dieser sonderbaren Erscheinung könnte ich von niemandem lieber erwarten. Die bisherigen Hindernisse, welche mir fast alles Briefschreiben abschnitten waren indessen zum Theil angenehm. Die akademische Ferienzeit ist für uns Landbewohner eine glückliche Zeit, wenn wir besuchende Freunde in den Städten der Wissenschaften besitzen. Unter dieser theuren Habe kann ich auf einige gewöhnlich Rechnung machen und das sind die beyden Creuzer von Marburg. Auch ein andrer äußerst liebenswürdiger junger Mann, der jetzt in Marburg juridische Collegien lieset, als freyer Besitzer von einem großen Vermögen, von Savigny, besuchte mich – und jedesmal waren Sie auch da. Diese unbekannten Freunde von Ihnen waren überaus vergnügt, durch mich manches von Ihnen zu hören. Der eine Creuzer, Doctor der Philosophie lieset schon mehrere Jahre philosophische Collegien in | Marburg; er ist der Verfasser der Skepsis, wovon Sie schreiben, an deren Beurteilung sich aber Fichte in der Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeiitung so schwer versündigt hat, als ich es ihm jetzt nicht einmal zutraue – und der Gang des Philosophirens hat den redlichen Zweifler gerechtfertigt. Nachher hat er nur eine Brochüre De mundo optimo Leibnitii pp drucken lassen. Sein Vetter, der Prof, graecae linguae zu Marburg ist, hat aber einige philosophische Sachen, wahrhafte Produkte des Fleißes und Geschmacks drucken lassen. Der Name Creuzer kann Ihnen indessen dadurch in öffentichen Blättern mehrmals vorgekommen seyn, weil beyde ein Erziehungsinstitut, das für eine Universität durchaus zweckmäßig ist, zur Leitung der Jünglinge eingerichtet haben. Unter allen Ihren Lesern die ich kenne werden Sie von keinem tiefer gefaßt als von Savigny, dann von dem Prof. Creuzer und dann darf ich mich erst setzen und den D. Creuzer. O Freund, ich habe vieles bey Ihnen nachzuhohlen und wegen der Beurteilung Ihrer Reden gut zu machen: aber – nicht alles. Wirklich hatte mich das Polemische darin gebunden, daß ich nicht tiefer in den Geist sah. Und ich bin immer der Meynung, daß auch Männer, welche es immer bloß mit der Vernunft zu thun haben, religiös seyn können, daß ihnen nemlich gerade das Denken das Medium sey, wodurch sie zur Anschauung des Universums, wie Sie es nennen, gelangen. Dabey glaube ich, daß in dem an das Denken gewöhnten Menschen sich Begriffe und Anschauungen einigen, und ebenso bey dem Edlen Moral und Religion. Im Ganzen stimme ich Ihnen aber bey, oder bin vielmehr durch Sie belehrt, daß man die Religion durchaus von der Moral unterscheiden müsse, nicht bloß ihren Lehren nach, sondern dem inneren Wesen nach, da die Religion eigentlich das Göttliche in uns in seiner Lebendigkeit aufstellt, und die unendliche Tiefe des Gemüths aufschließt, die Moral dagegen mehr etwas künstlich gemachtes angiebt. – Es ist wahr: in der Sprache würde es keine Verwirrungen geben, wenn es keine in den Gesinnungen gäbe: aber es ist auch umgekehrt wahr, denn Sprache und Gesinnung stehen in Wechselwirkung. Darum meyne ich, es gäbe keinen sichreren Weg auf den Andern zu wirken, als sich seinem Gemüte in Liebe zu nahen, weil sich | darin die Gesinnungen berühren, wenn sie sich je berühren können, und man sich am ersten verständlich wird. Kurz ich betrachte alles geistige Verkehr mit dem Andern zugleich als Seelsorge. Es kann indessen seyn, daß dadurch auf der andern Seite wieder viel verlohren geht, indem man sich da einem andern als dem Freunde nie ganz selbst ausspricht. Da alles, was auf Erforschung der Gemüther hinausgeht, das wichtigste Interesse für mich hat, so ist mir Ihr Wink über das Sichselbstbilden und Außersichbilden überaus angenehm. Jetzt fühle ich noch mehr das Wahre darin. Auch ich habe mehrere Erfahrungen gemacht, welche den Unterschied darlegen. Es ist etwas in der Sache, und etwas, das uns zu tieferer Kenntniß des Inneren der Menschheit führt. Sollte hier vielleicht eine den Geschlechtern analoge Verschiedenheit (der edlen Gemüther) stattfinden – das Männliche, das Poetische – das Weibliche, die innere Bildung? Der Künstler hat eine gewisse Freyheit, welche in Frechheit überfließt[;] er kennt keine zurückhaltenden Bande mehr indem er bloß in der Form der Darstellung lebt, und das Heiligste, das in ihm ist, ohne Scheu ausspricht. Dieses Aussprechen ist aber immer eine gewisse Entweihung (Profanation), es widerspricht dem pudor, folglich der gemeinen Sittlichkeit. Daher hat das edle Weib mehr Heiliges in sich, weil es ein Zartgefühl hat, das sich scheut viel darüber zu sprechen. Darum halte ich Schlegels Lucinde für ganz mislungen; es sieht mir aus als eine erzwungne Profanation. – Können Sie mir zu weiterer Ausbildung dieser Ideen verhelfen, so geben Sie mir ein Geschenk gleich den Monologen, eigentlich mir noch mehr. Schon Jahr und Tag sammle ich nemlich für eine Erziehungslehre, die ich gerne bald möchte erscheinen lassen, wenigstens in ihrem Anfange, in der Lehre von der Bestimmung (dem Werden) des Menschen, und immer bleibe ich zurück, weil ich nicht tiefer in das Gemüth einzudringen vermochte. Urtheilen Sie also, wie begierig ich auf Ihre Beurtheilung über Fichtes Lehre von der Bestimmung des Menschen bin (dieses Stück vom Athenäum habe ich noch nicht gehabt), wie begierig ich darauf bin, weil ich weiß, daß es von Ihnen ist, und wie ich mich nach Ihren Gedanken über Erziehung sehne – wären es auch nur Winke. Ich gebe seit einiger | Zeit weit mehr auf Erziehung, seitdem ich der Theorien a priori müde bin, von denen ich mich im Praktischen nie bezwingen ließ, und mir das Ganze des Menschen als eine höhere Organisation vorschwebt. Rousseau ist mir in diesem Stücke ein Linnée; er hat nur angefangen den rechten Weg zu suchen, und schön angefangen. Sie werden ohnehin denken, daß mein Erziehen kein Schulmeistern ist und daß ich alles Hofmeistern und Institutlern für das unheiligste Zerdrücken der Himmelspflanzen halte; ich habe viel gewonnen, wenn ich nur das Edle in meines Kindes Individualität aufgefunden habe, denn ich will gerne eine edle Natur unter meiner Hand, der ich nur stets zurufen muß, daß sie das Heilige schone, aufwachsen sehen. Die Familie ist mir das einzige Erziehen – hierin bildet sich Sinn und Liebe des werdenden Menschen, hier in dem vereinigten heitren Sinn des Hauses und dem Geist der Liebe, der es durchwaltet. So wird es im Hause, wenn wir Ihre herrliche Idee der Ehe in die Wirklichkeit führen. Daraus geht dann auch erst der Staat hervor, welcher um etwas Gutes mehr als der leidige Nothstaat ist. Daß doch unsre Philosophen so die negativen – Berge möchte ich sagen wie Lichtenberg die ausgebrannten Mondeskrater nannte – die so zu Nichtigkeiten gewordenen Durchsichtigkeiten lieben! Ich glaube Ihre Winke zum Positiven, wodurch auch der Staat schön individualisirt seyn soll, einigermaßen zu verstehen. Ich denke mir mehrere Gruppen von fröhlich spielenden Kindern, welche in den verschiedenen Gegenden des Gartens sich frey und schön nach ihren Gesetzen bewegen, und wo nicht mehr daran gedacht wird, gegen den Andern in dieser Gruppe und gegen die andern Gruppen eine Faust zu machen. Dieses Bild scheint mir die positive Tendenz der Staaten zu bezeichnen; das Spielen der heiteren Kinder ist das Feyern, welches jeder Mensch seinem Genius schuldig ist, und die meisten bis zur Verantwortung am jüngsten Tage schuldig bleiben. Ihre wenigen Worte, – warum sprachen Sie die schönen Ideen nicht deutlicher aus? – haben mir diese Gedanken aufregen helfen. Man muß durchaus das positive Ziel in allen Angelegenheiten der Menschheit vor Augen haben, wenn man sich nicht ewig in dem armseligen Zirkel der Artolatrie herumwenden will. Indessen ist für die Menge der Nothstaat wie die Nothehe eine Nothsache; nur müßte immer der Tempel der Geweihten offen stehen, damit jeder in das höhere Leben eintreten könne, dessen höhere Sittlichkeit ihn geweiht hat. Die Art wie es Schlegel I in Absicht der Ehe hält, scheint mir aber eben so unglücklich, als die Beförderung der Religion durch Aufklärung. Ich meyne das laute Rufen unter die Menge: „Löset eure Ehen auf, sie taugen nichts!“ Die Liebschaften in der Menge werden rege – sie lösen auf, und lösen auf, bis nichts mehr aufzulösen ist, und die Zerrüttungen sind unabsehbar. So lange z. B. der größte Teil unsers Volks, der Landmann, der rohe Mensch ist, der er ist, muß die Ehe bey ihm bestehen als ein heiliggehaltner – Contract, oder wie er es in manchen Gegenden naiv nennt, als ein langer Dienst, und es fragt sich, ob es nicht Welterhaltend ist und die bessere Welt heranführt, daß hier es gerade so ist, wie es Schlegel nicht haben will. – Doch ich muß mit Gewalt davon abbrechen, wie man sich mit Gewalt von einer vertrauten Unterhaltung losreißt, und von den schönen Idealen selbst sich losreißen muß, wenn unsre Begeisterung darüber uns zum Unwillen über die Menschen hinreißen will, die uns die Heiligung des Nahmens Gottes hindern und sein Reich nicht kommen lassen wollen. Lächeln Sie freundlich, lieber Freund, über den Seelsorger. – Unter 100 Dingen, die mir auf dem Herzen liegen, muß ich nur geschwind noch einige losmachen, nemlich daß Sie mich ja bald (mich nicht nur) etwas über Fichte’s Moral hören lassen. Sie sehen auf welchem Punkt in der Moral ich jetzt stehe. Auch das: mein Erziehen zur Menschheit fand ich zu meiner höchsten Freude in den Reden über Religion ausgesprochen – es wird Sie freuen, daß dasselbe eine nicht unbedeutende Erfahrung bey mir ausspricht. Ferner: in der Religion komme ich immer mehr auf das Mystische zurück, und so auch auf Mysterien. Mein Ausdruck: „Vereinigung der Religion mit der Philosophie“ wird mit Recht von Ihnen getadelt; ich wollte ich hätte gesagt: „Eintracht pp“ denn ich meyne es eben so wie Sie. Wenn Sie mir nur in meiner öffentlichen Gedankenmitteilung über diesen Gegenstand helfen! – Auch das noch: Sie haben den Genius Göthe doch etwas zu hart in Absicht des Sichselbstbildens gefaßt. Er scheint nach dem, was ich von ihm gehört habe, nur überall bey seiner Idealität stark in die Fugen der Natur einzugreifen. | Seine Afterehe billige ich keineswegs: aber er soll einst ein treuliches Weib, seiner würdig, geliebt haben, welches gestorben ist und vermuthlich in ihm eine ewige Idee zurückließ, die ihm nun keine der wirklichen Frauen in den über das Irdische erhöheten Kreis seiner Liebe treten läßt. Wenigstens ließe sich es so erklären. Überhaupt scheint mir sein Charakter zu seyn, das Gemeine immer natürlich zu behandeln, nirgends zu verkünsteln und doch immer mit lächelnder Freyheit darüber zu stehen. – In Absicht der Kunst wünschte ich doch gelegentlich eine nähere Erklärung von Ihnen – warum sie bey den Alten etwas anders sein sollte? – und wie das Künstlerische an sich bloß als Form mit dem Sittlichen zusammenhänge? – ich kann noch gar nicht damit in’s Reine kommen. – Tieks Genoveva hat mir neuerlich wohl gethan; er ist ein herrlicher Dichter. Die Melusina hätte ich ihm aber erlassen wollen. – Mit Freund Savigny, den ich nicht besser bezeichnen kann, als indem ich sage, seine ganze Seele ist lichte Ruhe, gefühlvolle religiöse Besonnenheit, und enthusiastischer Geschmack, habe ich viel über Kunst gesprochen – er weiß mehr zu sagen als ich, aber wir wandeln in den Propyläen und lesen das Athenäum. Aber der genialischeste Jüngling (ein 22jähriger junger Mann), den ich je sah, ein Freund von Friedrich Schlegel, der schon herrliche Sachen aufstellt unter dem Namen Maria (er heißt Brentano und ist von Frankfurt am M.), den der Genius in dem glühenden Gefühle des Höchsten unruhig treibt, und dessen Äußerungen oft der Sittlichkeit zu widersprechen scheinen, unerachtet eine hohe sittliche Würde durch sein Inneres waltet, und welcher einige Tage bey mir sichs gefallen ließ, hat mir den ganzen Tag poetisirt, und das auf eine wahrhaft Geisterregende und bildende Weise. Er ist natürlich auch ein Verehrer von Tiek und von Ihnen – aber das erstere mehr Er, das letztere mehr sein Freund Savigny, der sonderbar mit ihm contrastiret. – Freuen Sie Sich in einem einsamen Stündchen dieser und mehrerer ungesehenen Freunde, verstärken Sie uns wo möglich Ihre geistige Gegenwart, seyen Sie auch in den öden Gemeinheiten Berlins durch Freundesgruß entschädigt, und helfen Sie dort bilden, wie einst der entferntere Lessing bildete – nur daß man in das leidige Stehnbleiben gerieth. Ich habe liebe Freundesworte und schöne Verheißungen von Ihnen, und ich vergesse keinen Tag was zur Feyer der Freundschaft gehört.
Schwarz.
Sie haben mir, bester Mann, mit Ihrem freundlichen belehrenden Briefe sehr wohlgethan. Hätte ich doch bisher die Stunde finden können – es war gerade die Zeit wo sich meine meisten Geschäfte im Jahre zusammendrängen – um Ihnen meinen Dank dafür zuzurufen, und mich in der geistigen Gemeinschaft mit Ihnen weiter zu unterhalten! Wenigstens hätte ich Ihnen sogleich meine Freude darüber sollen zu erkennen geben, daß Sie mir Beyträge liefern wollen, vielleicht hätten Sie dann schon die Arbeit übernommen. Aber ich habe ein gewisses Zutrauen überhaupt zu Ihnen gewonnen, und dieses heißt mich die Arbeiten von Ihnen erwarten, auch ohne daß ich Ihnen noch bestimmter meinen Wunsch erklärt habe. Besonders freut mich Ihr Versprechen, Campe’s Weltgeschichte für unsre Bibliothek zu recensiren; die Beurtheilung dieser sonderbaren Erscheinung könnte ich von niemandem lieber erwarten. Die bisherigen Hindernisse, welche mir fast alles Briefschreiben abschnitten waren indessen zum Theil angenehm. Die akademische Ferienzeit ist für uns Landbewohner eine glückliche Zeit, wenn wir besuchende Freunde in den Städten der Wissenschaften besitzen. Unter dieser theuren Habe kann ich auf einige gewöhnlich Rechnung machen und das sind die beyden Creuzer von Marburg. Auch ein andrer äußerst liebenswürdiger junger Mann, der jetzt in Marburg juridische Collegien lieset, als freyer Besitzer von einem großen Vermögen, von Savigny, besuchte mich – und jedesmal waren Sie auch da. Diese unbekannten Freunde von Ihnen waren überaus vergnügt, durch mich manches von Ihnen zu hören. Der eine Creuzer, Doctor der Philosophie lieset schon mehrere Jahre philosophische Collegien in | Marburg; er ist der Verfasser der Skepsis, wovon Sie schreiben, an deren Beurteilung sich aber Fichte in der Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeiitung so schwer versündigt hat, als ich es ihm jetzt nicht einmal zutraue – und der Gang des Philosophirens hat den redlichen Zweifler gerechtfertigt. Nachher hat er nur eine Brochüre De mundo optimo Leibnitii pp drucken lassen. Sein Vetter, der Prof, graecae linguae zu Marburg ist, hat aber einige philosophische Sachen, wahrhafte Produkte des Fleißes und Geschmacks drucken lassen. Der Name Creuzer kann Ihnen indessen dadurch in öffentichen Blättern mehrmals vorgekommen seyn, weil beyde ein Erziehungsinstitut, das für eine Universität durchaus zweckmäßig ist, zur Leitung der Jünglinge eingerichtet haben. Unter allen Ihren Lesern die ich kenne werden Sie von keinem tiefer gefaßt als von Savigny, dann von dem Prof. Creuzer und dann darf ich mich erst setzen und den D. Creuzer. O Freund, ich habe vieles bey Ihnen nachzuhohlen und wegen der Beurteilung Ihrer Reden gut zu machen: aber – nicht alles. Wirklich hatte mich das Polemische darin gebunden, daß ich nicht tiefer in den Geist sah. Und ich bin immer der Meynung, daß auch Männer, welche es immer bloß mit der Vernunft zu thun haben, religiös seyn können, daß ihnen nemlich gerade das Denken das Medium sey, wodurch sie zur Anschauung des Universums, wie Sie es nennen, gelangen. Dabey glaube ich, daß in dem an das Denken gewöhnten Menschen sich Begriffe und Anschauungen einigen, und ebenso bey dem Edlen Moral und Religion. Im Ganzen stimme ich Ihnen aber bey, oder bin vielmehr durch Sie belehrt, daß man die Religion durchaus von der Moral unterscheiden müsse, nicht bloß ihren Lehren nach, sondern dem inneren Wesen nach, da die Religion eigentlich das Göttliche in uns in seiner Lebendigkeit aufstellt, und die unendliche Tiefe des Gemüths aufschließt, die Moral dagegen mehr etwas künstlich gemachtes angiebt. – Es ist wahr: in der Sprache würde es keine Verwirrungen geben, wenn es keine in den Gesinnungen gäbe: aber es ist auch umgekehrt wahr, denn Sprache und Gesinnung stehen in Wechselwirkung. Darum meyne ich, es gäbe keinen sichreren Weg auf den Andern zu wirken, als sich seinem Gemüte in Liebe zu nahen, weil sich | darin die Gesinnungen berühren, wenn sie sich je berühren können, und man sich am ersten verständlich wird. Kurz ich betrachte alles geistige Verkehr mit dem Andern zugleich als Seelsorge. Es kann indessen seyn, daß dadurch auf der andern Seite wieder viel verlohren geht, indem man sich da einem andern als dem Freunde nie ganz selbst ausspricht. Da alles, was auf Erforschung der Gemüther hinausgeht, das wichtigste Interesse für mich hat, so ist mir Ihr Wink über das Sichselbstbilden und Außersichbilden überaus angenehm. Jetzt fühle ich noch mehr das Wahre darin. Auch ich habe mehrere Erfahrungen gemacht, welche den Unterschied darlegen. Es ist etwas in der Sache, und etwas, das uns zu tieferer Kenntniß des Inneren der Menschheit führt. Sollte hier vielleicht eine den Geschlechtern analoge Verschiedenheit (der edlen Gemüther) stattfinden – das Männliche, das Poetische – das Weibliche, die innere Bildung? Der Künstler hat eine gewisse Freyheit, welche in Frechheit überfließt[;] er kennt keine zurückhaltenden Bande mehr indem er bloß in der Form der Darstellung lebt, und das Heiligste, das in ihm ist, ohne Scheu ausspricht. Dieses Aussprechen ist aber immer eine gewisse Entweihung (Profanation), es widerspricht dem pudor, folglich der gemeinen Sittlichkeit. Daher hat das edle Weib mehr Heiliges in sich, weil es ein Zartgefühl hat, das sich scheut viel darüber zu sprechen. Darum halte ich Schlegels Lucinde für ganz mislungen; es sieht mir aus als eine erzwungne Profanation. – Können Sie mir zu weiterer Ausbildung dieser Ideen verhelfen, so geben Sie mir ein Geschenk gleich den Monologen, eigentlich mir noch mehr. Schon Jahr und Tag sammle ich nemlich für eine Erziehungslehre, die ich gerne bald möchte erscheinen lassen, wenigstens in ihrem Anfange, in der Lehre von der Bestimmung (dem Werden) des Menschen, und immer bleibe ich zurück, weil ich nicht tiefer in das Gemüth einzudringen vermochte. Urtheilen Sie also, wie begierig ich auf Ihre Beurtheilung über Fichtes Lehre von der Bestimmung des Menschen bin (dieses Stück vom Athenäum habe ich noch nicht gehabt), wie begierig ich darauf bin, weil ich weiß, daß es von Ihnen ist, und wie ich mich nach Ihren Gedanken über Erziehung sehne – wären es auch nur Winke. Ich gebe seit einiger | Zeit weit mehr auf Erziehung, seitdem ich der Theorien a priori müde bin, von denen ich mich im Praktischen nie bezwingen ließ, und mir das Ganze des Menschen als eine höhere Organisation vorschwebt. Rousseau ist mir in diesem Stücke ein Linnée; er hat nur angefangen den rechten Weg zu suchen, und schön angefangen. Sie werden ohnehin denken, daß mein Erziehen kein Schulmeistern ist und daß ich alles Hofmeistern und Institutlern für das unheiligste Zerdrücken der Himmelspflanzen halte; ich habe viel gewonnen, wenn ich nur das Edle in meines Kindes Individualität aufgefunden habe, denn ich will gerne eine edle Natur unter meiner Hand, der ich nur stets zurufen muß, daß sie das Heilige schone, aufwachsen sehen. Die Familie ist mir das einzige Erziehen – hierin bildet sich Sinn und Liebe des werdenden Menschen, hier in dem vereinigten heitren Sinn des Hauses und dem Geist der Liebe, der es durchwaltet. So wird es im Hause, wenn wir Ihre herrliche Idee der Ehe in die Wirklichkeit führen. Daraus geht dann auch erst der Staat hervor, welcher um etwas Gutes mehr als der leidige Nothstaat ist. Daß doch unsre Philosophen so die negativen – Berge möchte ich sagen wie Lichtenberg die ausgebrannten Mondeskrater nannte – die so zu Nichtigkeiten gewordenen Durchsichtigkeiten lieben! Ich glaube Ihre Winke zum Positiven, wodurch auch der Staat schön individualisirt seyn soll, einigermaßen zu verstehen. Ich denke mir mehrere Gruppen von fröhlich spielenden Kindern, welche in den verschiedenen Gegenden des Gartens sich frey und schön nach ihren Gesetzen bewegen, und wo nicht mehr daran gedacht wird, gegen den Andern in dieser Gruppe und gegen die andern Gruppen eine Faust zu machen. Dieses Bild scheint mir die positive Tendenz der Staaten zu bezeichnen; das Spielen der heiteren Kinder ist das Feyern, welches jeder Mensch seinem Genius schuldig ist, und die meisten bis zur Verantwortung am jüngsten Tage schuldig bleiben. Ihre wenigen Worte, – warum sprachen Sie die schönen Ideen nicht deutlicher aus? – haben mir diese Gedanken aufregen helfen. Man muß durchaus das positive Ziel in allen Angelegenheiten der Menschheit vor Augen haben, wenn man sich nicht ewig in dem armseligen Zirkel der Artolatrie herumwenden will. Indessen ist für die Menge der Nothstaat wie die Nothehe eine Nothsache; nur müßte immer der Tempel der Geweihten offen stehen, damit jeder in das höhere Leben eintreten könne, dessen höhere Sittlichkeit ihn geweiht hat. Die Art wie es Schlegel I in Absicht der Ehe hält, scheint mir aber eben so unglücklich, als die Beförderung der Religion durch Aufklärung. Ich meyne das laute Rufen unter die Menge: „Löset eure Ehen auf, sie taugen nichts!“ Die Liebschaften in der Menge werden rege – sie lösen auf, und lösen auf, bis nichts mehr aufzulösen ist, und die Zerrüttungen sind unabsehbar. So lange z. B. der größte Teil unsers Volks, der Landmann, der rohe Mensch ist, der er ist, muß die Ehe bey ihm bestehen als ein heiliggehaltner – Contract, oder wie er es in manchen Gegenden naiv nennt, als ein langer Dienst, und es fragt sich, ob es nicht Welterhaltend ist und die bessere Welt heranführt, daß hier es gerade so ist, wie es Schlegel nicht haben will. – Doch ich muß mit Gewalt davon abbrechen, wie man sich mit Gewalt von einer vertrauten Unterhaltung losreißt, und von den schönen Idealen selbst sich losreißen muß, wenn unsre Begeisterung darüber uns zum Unwillen über die Menschen hinreißen will, die uns die Heiligung des Nahmens Gottes hindern und sein Reich nicht kommen lassen wollen. Lächeln Sie freundlich, lieber Freund, über den Seelsorger. – Unter 100 Dingen, die mir auf dem Herzen liegen, muß ich nur geschwind noch einige losmachen, nemlich daß Sie mich ja bald (mich nicht nur) etwas über Fichte’s Moral hören lassen. Sie sehen auf welchem Punkt in der Moral ich jetzt stehe. Auch das: mein Erziehen zur Menschheit fand ich zu meiner höchsten Freude in den Reden über Religion ausgesprochen – es wird Sie freuen, daß dasselbe eine nicht unbedeutende Erfahrung bey mir ausspricht. Ferner: in der Religion komme ich immer mehr auf das Mystische zurück, und so auch auf Mysterien. Mein Ausdruck: „Vereinigung der Religion mit der Philosophie“ wird mit Recht von Ihnen getadelt; ich wollte ich hätte gesagt: „Eintracht pp“ denn ich meyne es eben so wie Sie. Wenn Sie mir nur in meiner öffentlichen Gedankenmitteilung über diesen Gegenstand helfen! – Auch das noch: Sie haben den Genius Göthe doch etwas zu hart in Absicht des Sichselbstbildens gefaßt. Er scheint nach dem, was ich von ihm gehört habe, nur überall bey seiner Idealität stark in die Fugen der Natur einzugreifen. | Seine Afterehe billige ich keineswegs: aber er soll einst ein treuliches Weib, seiner würdig, geliebt haben, welches gestorben ist und vermuthlich in ihm eine ewige Idee zurückließ, die ihm nun keine der wirklichen Frauen in den über das Irdische erhöheten Kreis seiner Liebe treten läßt. Wenigstens ließe sich es so erklären. Überhaupt scheint mir sein Charakter zu seyn, das Gemeine immer natürlich zu behandeln, nirgends zu verkünsteln und doch immer mit lächelnder Freyheit darüber zu stehen. – In Absicht der Kunst wünschte ich doch gelegentlich eine nähere Erklärung von Ihnen – warum sie bey den Alten etwas anders sein sollte? – und wie das Künstlerische an sich bloß als Form mit dem Sittlichen zusammenhänge? – ich kann noch gar nicht damit in’s Reine kommen. – Tieks Genoveva hat mir neuerlich wohl gethan; er ist ein herrlicher Dichter. Die Melusina hätte ich ihm aber erlassen wollen. – Mit Freund Savigny, den ich nicht besser bezeichnen kann, als indem ich sage, seine ganze Seele ist lichte Ruhe, gefühlvolle religiöse Besonnenheit, und enthusiastischer Geschmack, habe ich viel über Kunst gesprochen – er weiß mehr zu sagen als ich, aber wir wandeln in den Propyläen und lesen das Athenäum. Aber der genialischeste Jüngling (ein 22jähriger junger Mann), den ich je sah, ein Freund von Friedrich Schlegel, der schon herrliche Sachen aufstellt unter dem Namen Maria (er heißt Brentano und ist von Frankfurt am M.), den der Genius in dem glühenden Gefühle des Höchsten unruhig treibt, und dessen Äußerungen oft der Sittlichkeit zu widersprechen scheinen, unerachtet eine hohe sittliche Würde durch sein Inneres waltet, und welcher einige Tage bey mir sichs gefallen ließ, hat mir den ganzen Tag poetisirt, und das auf eine wahrhaft Geisterregende und bildende Weise. Er ist natürlich auch ein Verehrer von Tiek und von Ihnen – aber das erstere mehr Er, das letztere mehr sein Freund Savigny, der sonderbar mit ihm contrastiret. – Freuen Sie Sich in einem einsamen Stündchen dieser und mehrerer ungesehenen Freunde, verstärken Sie uns wo möglich Ihre geistige Gegenwart, seyen Sie auch in den öden Gemeinheiten Berlins durch Freundesgruß entschädigt, und helfen Sie dort bilden, wie einst der entferntere Lessing bildete – nur daß man in das leidige Stehnbleiben gerieth. Ich habe liebe Freundesworte und schöne Verheißungen von Ihnen, und ich vergesse keinen Tag was zur Feyer der Freundschaft gehört.
Schwarz.