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Friedrich Schleiermacher to Ehrenfried von Willich

Beinahe möchte ich mich darüber wundern, daß ich Ihnen die Briefe über die Lucinde so ohne alle üble Ahndung geschikt habe, da ich doch Ursach habe zu glauben daß sie zwei von meinen Freunden von mir entfernt haben. Es ist der zarteste Gegenstand über den geschrieben werden kann, und wo die Mißverständnisse so sehr leicht sind, und grade von den besten Menschen oft am schwerfälligsten genommen und zu einem Grunde von falschen Folgerungen gemacht werden. Sie können denken daß ich auf Ihre Meinung begierig sein muß, nemlich über meine Ansicht des Gegenstandes, die jedoch nicht die meinige allein ist, denn ich habe bei allen eingeführten Personen wirkliche im Sinn gehabt, und besonders ist die auffallendste, die Eleonore ganz genau eine wirkliche Frau; was unter diesem Namen gesagt wird ist ganz ihr Gedachtes, und großentheils auch ihre Worte. Hätte ich gewußt, daß unsere Freundin Ihnen von diesem kleinen Produkt gesagt, so würde das Gespräch gewiß darauf gekommen sein; wir waren einmal so nahe an der Sache daß es nur einer solchen Veranlaßung bedurft hätte.
Aber worüber hätte ich nicht gern mit Ihnen geredet? So mancherlei wir auch berührt haben, kommt es mir doch vor, als hätte ich meine Zeit ziemlich | schlecht angewendet. So geht es in ähnlichen Fällen gewöhnlich; das beste ist, daß doch jeder mehr vom andern weiß als unmittelbar ausgesprochen worden. Und schreiben Sie nun nur hübsch ohne auf mich zu warten denn ich bin jezt gerade in einem häßlichen Gedränge von Geschäften, und Sie leben in der goldenen Freiheit, in einer solchen, wie ich sie lange nicht gesehen, und deren Widerschein aus Ihrem ganzen Wesen mir recht innig wohlgethan hat.
In dem Kreise in welchem ich Sie gefunden, habe ich jezt ein recht lebendiges Bild von Ihnen, hätte ich Sie nur auch mit Ihrer Gräfin und in jenem Kreise gesehen, der die Ergänzung zu diesem ist. Doch ich müßte ungerecht gegen Ihre Mittheilungen sein, wenn ich läugnen wollte, daß ich mir Ihre ganze Existenz recht gut denken kann. Ich, was mich betrift, bin ein schlechter Erzähler so aus heiler Haut; aber was Sie wissen wollen von mir ohne abzuwarten bis es Gott weiß wie spät von selbst kommt, das sagen Sie nur. Oder wenn Sie es lebendiger haben wollen, so halten Sie hübsch Wort und kommen Sie und sehen Sie mich auch leben.
Grüßen Sie Alles von mir wie sichs gebührt, eins herzlicher als das andere, aber niemand so sehr als Sich Selbst.
Schleiermacher
Metadata Concerning Header
  • Date: zweite Maihälfte 1801
  • Sender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Recipient: Ehrenfried von Willich ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Prenzlau ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 5. Briefwechsel 1801‒1802 (Briefe 1005‒1245). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1999, S. 125‒127.

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