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Friedrich Schleiermacher to Friedrich Samuel Gottfried Sack

Ja wohl, mein verehrungswürdiger Herr Hofprediger, ist eine offene Erklärung besser als ein verschlossenes Urtheil, und ich kann sagen, daß ich mir lange die erstere gewünscht habe; mehr konnte ich nicht, denn ein Tadel muß erst ausgesprochen werden, ehe eine Vertheidigung erfolgen kann. Zwar haben Sie mir über die Gegenstände Ihres Schreibens, wie Sie mich denn auch darauf verweisen, schon mündlich Ihre Meinung eröffnet: allein so sehr auch diese Offenherzigkeit, wie jede, mir werth gewesen ist, so verhinderte doch leider immer irgend etwas ihre rechte Wirkung; bald schienen Sie sich auf Einwendungen nicht einlassen zu wollen, bald fehlte die Zeit zu einer ordentlichen Erörterung, bald waren die Umstände dagegen. Schriftlich geht das Alles besser, und ich sage Ihnen daher herzlichen Dank dafür, daß Sie der alten Zuneigung so viel eingeräumt haben, mir das schon so lange für mich bestimmt gewesene Schreiben doch endlich zukommen zu lassen. Haben die übersandten Predigten Ihnen einen neuen Antrieb dazu gegeben, so ist schon das mir eine sehr werthe Frucht ihrer Bekanntmachung. Erlauben Sie mir nun ohne weitere Vorrede bei demjenigen anzufangen, womit Ihr Schreiben anfängt und was auch ohnstreitig das Aeltere in Ihnen ist, bei Ihrem Mißfallen an meinen freundschaftlichen Verbindungen. Ihr Schreiben redet von Menschen von verdächtigen Grundsätzen und Sitten, mit denen ich in vertrauteren Verhältnissen stehen soll, und wohin ich auch sehe auf den eingeschränkten Kreis meines Umgangs oder auf Ihre ehemaligen Winke, so finde ich nur Friedrich Schlegel, auf den sich dieses beziehen kann. | [...]
Ein einziges Mal – und es war das letzte Mal, als ich das Glück hatte, Sie in Ihrem Hause zu sehen – einmal, nachdem seit zwei Jahren eine enge Freundschaft zwischen ihm und mir bestanden hatte, haben Sie sich hierüber geäußert. Nicht die Freimüthigkeit dieser Aeußerung, theuerster Herr Hofprediger, hat mich aus Ihrem Hause entfernt, sondern die besondere Art derselben, die Ausdrücke, welche in dem Munde eines so feinen und besonnenen Mannes ganz darauf berechnet zu sein schienen, daß ich mich der Gefahr, sie wiederholt zu hören, nicht würde aussetzen wollen. Unser Gespräch ward damals unterbrochen, erlauben Sie mir es wieder aufzunehmen. Schlegel hat die Lucinde geschrieben, ein Buch, welches man nicht ohne wieder ein Buch zu schreiben, gründlich vertheidigen könnte, und welches ich auch nicht ganz vertheidigen möchte, weil es neben vielem Lobenswürdigen und Schönen manches enthält, was ich nicht billigen kann, aber zeigt es verderbte Grundsätze und Sitten an? Wenn Jemand eine Theorie, die er sich über den Umfang der poetischen Darstellung gemacht hat, in einem Beispiel ausdrücken will, so hat das mit seinem Character nichts zu schaffen. Und unsittliche Nebenabsichten oder unwillkührliche Ausbrüche innerer Unsittlichkeit habe ich für mein Theil in der Lucinde nicht gefunden, wohl aber in vielen deutschen und französischen Dichtern, die Niemand verketzert und beschimpft. Gegen diese kommt mir mein Freund vor wie ein Künstler, der eine unbekleidete Venus malt, gegen morgenländische Sultane, die üppige Tänze in Gegenwart der Jugend von lebendigen Personen aufführen lassen. [...]
Nie werde ich der vertraute Freund eines Menschen von verwerflichen Gesinnungen sein: aber nie werde ich aus Menschenfurcht einem unschuldig Geächteten den Trost der Freundschaft entziehen, nie werde ich meines Standes wegen, anstatt nach der wahren Beschaffenheit der Sache zu handeln, mich von einem Schein, der Andern vorschwebt, leiten lassen. Einer solchen Maxime zufolge würden ja wir Pre | diger die Vogelfreien sein im Reiche der Geselligkeit, jede Verläumdung gegen einen Freund, wenn sie gut genug ersonnen war, um Glauben zu finden, könnte uns von ihm verbannen. Vielmehr ist das Ziel, welches ich mir vorgesetzt habe, dieses, durch ein untadelhaftes gleichförmiges Leben, es mit der Zeit dahin zu bringen, daß nicht von einem unverschuldeten übeln Ruf meiner Freunde ein nachtheiliges Licht auf mich zurückfallen kann, sondern vielmehr von meiner Freundschaft für sie ein vortheilhaftes auf ihren Ruf.
Der zweite Hauptpunkt Ihres Schreibens betrifft meine Reden über die Religion. Hier muß ich zuerst aufs Ernstlichste gegen Ihre Ansicht von diesem Buche protestiren. Es sollte eine Apologie des Pantheismus, eine Darstellung der spinozistischen Philosophie sein? Etwas, wovon nur beiläufig auf wenigen Seiten die Rede war, sollte die Hauptsache sein? und die ganze erste Rede, worin Sie Selbst nichts dergleichen finden, und ein großer Theil der zweiten und die dritte und vierte und fünfte, in welchen allen von ganz andern Dingen die Rede ist, kurz fast das ganze Buch sollte nur eine müßige Zugabe zu diesen wenigen Seiten sein? Sie sagen, ich sei ein Pantheist, diesem Systeme sei die Religion ganz entgegengesetzt, und zugleich sagen Sie, ich rede von den entgegengesetzten Vorstellungsarten mit wegwerfender Verachtung! Habe ich denn von der Religion, in welchem Sinne Sie das Wort auch nehmen, habe ich von dem Glauben an einen persönlichen Gott mit Verachtung geredet? Gewiß nirgends. Ich habe nur gesagt, daß die Religion davon nicht abhange, ob man im abstracten Denken der unendlichen übersinnlichen Ursach der Welt das Prädicat der Persönlichkeit beilege oder nicht. Hiervon habe ich, obgleich so wenig als irgend Jemand ein Spinozist, den Spinoza als Beispiel angeführt, weil in seiner Ethik durchaus eine Gesinnung herrscht, die man nicht anders als Frömmigkeit nennen kann. Von dem Factum, daß einige Menschen Gott die Persönlichkeit beilegen, Andere nicht, habe | ich den Grund in einer verschiedenen Richtung des Gemüths aufgezeigt und zugleich, daß keine von beiden die Religion hindere. Hievon muß man nun unterscheiden, daß ohne einen gewissen Anthropomorphismus nichts in der Religion in Worte gefaßt werden kann, und dieser ist es wohl eigentlich, den Sie, verehrungswürdiger Mann, so festhalten, und ich thue es mit Ihnen, wie Sie in den Reden überall finden können. Allein dieser bleibt nicht in den Schranken des metaphysischen Begriffs der Persönlichkeit Gottes, hängt also auch von diesem nicht ab, und muß also auch in der Religion auch dem erlaubt sein, dem seine Metaphysik dieses Prädicat für die Gottheit nicht gestattet. Wiederum ist aus dem Begriff der Persönlichkeit Gottes keine Religion zu entwickeln, er ist nicht die Quelle der Andacht; Niemand ist sich in derselben seiner bewußt, er zerstört sie vielmehr.
Jener Anthropomorphismus herrscht auch in der Schrift, in den Reden Jesu, im Christenthum durchaus, ob aber auch jener metaphysische Begriff von Persönlichkeit mit demselben von jeher verbunden gewesen, das möchte eine ganz andere Frage sein. Der jetzt gewöhnliche Begriff von Gott ist zusammengesetzt aus dem Merkmale der Außerweltlichkeit, der Persönlichkeit und der Unendlichkeit, und er wird zerstört, sobald eins von diesen fehlt. Ob nun diese wohl schon damals gebildet sein mögen? Und wenn man manche Christen genannt hat, welche die Unendlichkeit Gottes aufhoben, ob man nicht auch ein Christ sein könnte, wenn man in seiner Philosophie eins von den andern beiden aufhebt?
Mein Endzweck ist gewesen, in dem gegenwärtigen Sturm philosophischer Meinungen die Unabhängigkeit der Religion von jeder Metaphysik recht darzustellen und zu begründen. In mir ist also um irgend einer philosophischen Vorstellung willen der Gedanke eines Streites meiner Religion mit dem Christenthum niemals entstanden und nie ist es mir eingefallen, mich als den Diener einer mir verächtlichen Superstizion anzusehen, vielmehr bin ich sehr über | zeugt die Religion wirklich zu haben, die ich verkündigen soll, wenn ich auch eine ganz andere Philosophie hätte, als die Meisten von denen, welche mir zuhören. Eben so wenig ist in mir eine irgend unwürdige Klugheit oder reservatio mentalis, sondern ich lege den Worten gerade die Bedeutung bei, die ihnen der Mensch, indem er in der religiösen Betrachtung begriffen ist, beilegt – nur nicht außerdem noch irgend eine andre. Eben der Endzweck schwebte mir auch vor, indem ich meine Meinung von dem Verhältniß der Religion zur Moral mittheilte. Deutlich genug habe ich gesagt, um es nicht wiederholen zu dürfen, daß ich die Religion nicht deswegen für etwas Leeres halte, weil ich erkläre, daß sie zum Dienst der Moral nicht nothwendig ist. Deutlich genug, daß ich unsere kirchliche Anstalt, wie sie jetzt ist, für ein doppeltes, theils der Religion, theils der Moral gewidmetes Institut halte, und so glaube ich also weder etwas meiner Ueberzeugung Zuwiderlaufendes, noch etwas Geringes zu thun, wenn ich von der Religion zu den Menschen rede, als zu solchen, die zugleich moralisch sein sollen, und von der Moral, als zu solchen, die zugleich religiös zu sein behaupten, von beiden nach dem Verhältniß, welches ich jedesmal schicklich finde. Vielmehr halte ich den Stand des Predigers für den edelsten, den nur ein wahrhaft religiöses, tugendhaftes und ernstes Ge- müth würdig ausfüllen kann, und nie werde ich ihn mit meinem Willen gegen einen andern vertauschen. Wenn Sie Sich aber auch dies nicht erklären konnten, verehrungswürdiger Mann, wie konnten Sie doch auf die Voraussetzung fallen, welche Ihr Schreiben andeutet: aus eigennützigen Absichten sollte ich Prediger bleiben? In der That werden Sie gestehen müssen, daß ich in jeder andern Laufbahn bald das mäßige Auskommen finden würde, was mein Amt mir gewährt – und auf viel mehr rechne ich nicht. Oder aus Menschengefälligkeit? Gegen den Kreis meiner Freunde? Den denken Sie sich doch so, als werde er sich ungemein freuen, wenn | ich aufhörte Prediger zu sein. Gegen die Welt? – Mein ganzes Leben beweist, daß ich auf den Beifall derer, die mich nicht kennen, keinen Werth lege. Gegen einzelne Gönner? – ich habe keine. Und nun gar aus Menschenfurcht! Es giebt kein lebendiges Wesen, von dem ich abhinge, und ich rühme mich so frei zu sein, als irgend Jemand auf Erden. Haben Sie mich denn auch sonst schon in meinem Leben etwas aus diesem Grunde thun sehn? Dann wundre ich mich, wie Sie mir jemals Ihre Hochachtung haben schenken können. Haben Sie es nicht: wie kommen Sie dazu, mir grade in diesem Punkte Maximen beizulegen, denen ich sonst nicht folge? So etwas pflegt doch durch den ganzen Menschen hindurch zu gehen. Eben diese Probe wird auch die andre Erklärung nicht bestehen, daß meine Denkungsart in der Sucht nach dem Auffallenden und Ungemeinen ihren Grund habe. Sie hat in der That keinen andern, als meinen eigenthümlichen Character, meine angeborene Mystik, meine von innen ausgegangene Bildung.
Möchte es mir durch diese Erörterungen gelungen sein, wenn auch nicht meine Theorie Ihnen annehmlich zu machen, doch mich über meine Handlungsweise zu rechtfertigen, und von der guten Meinung, die Sie nur noch von meinen Talenten zu haben scheinen, etwas mehr auf meinen Character hinüberzuleiten. Sollte es auch nach dieser Erklärung in sofern beim Alten bleiben daß nichts, was ich über religiöse Gegenstände sagen oder schreiben möchte, Ihnen Freude machen kann – es würde mich sehr schmerzen, aber ich wüßte nichts weiter zu thun. Habe ich wirklich durch die Herausgabe jener Reden meine Nutzbarkeit als Prediger geschwächt: es ist nicht meine Schuld. Das wußte ich wohl, daß viele nicht im Stande sein würden ihre Metaphysik und ihre Religion zu trennen, und daß diese dem, der eine andre Metaphysik für gleichgültig hält, auch keinen herzlichen Eifer für die Religion zutrauen würden, und daß ich mich nicht gegen Alle würde näher erklären können, | Deshalb und nur deshalb setzte ich dem Buche meinen Namen nicht vor, und that ernstlich das Meinige ihn unbekannt bleiben zu lassen. Daß ich diesen Endzweck nicht erreicht, liegt nicht an mir, sondern an der in Berlin einheimischen litterarischen Neugierde und Plauderei. Was Ihr Schreiben bloß litterarisches enthält, übergehe ich gern, um nicht zu lang zu werden, nur Eins kann ich nicht unberührt lassen, weil es mich bitter gekränkt hat. Weil ich – denn Sie wissen, daß ich es bin – über Engel, Garve und Leibnitz als Schriftsteller ein aufrichtiges aber strenges Urtheil gefällt habe, deshalb soll ich über ihren persönlichen Werth ein Urtheil fällen, wofür ich den Ausdruck nicht nachsprechen will? Wie folgt das? Ich berühre es nur und sage nichts weiter darüber. Ich schließe vielmehr mit der Versicherung, daß meine Gesinnungen gegen Sie noch immer dieselben sind. Unsere Verschiedenheiten waren mir längst bekannt, ich wußte, was Ihnen an mir mißfiel, und was Sie an meiner Gesinnung unrichtig beurtheilten. Ich konnte mir denken, daß, wenn Sie einmal die zarte Schonung dieser Punkte aus den Augen setzten, wenn Sie einmal den väterlichen Freund und den mit Autorität versehenen Vorgesetzten verwechselten, ein Verhältniß, das mir sehr werth war, plötzlich zerstört werden würde, um so weniger also durfte, als dies leider wirklich erfolgte, meine Gesinnung gegen Sie sich ändern, und sie wird sich auch nicht ändern, selbst wenn Ihre andre Ueberzeugung Sie wider Ihre Neigung nöthigen sollte, mein persönlicher Gegner zu werden.
Metadata Concerning Header
  • Date: wohl zwischen Mitte Mai und Anfang Juni 1801
  • Sender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Recipient: Friedrich Samuel Gottfried Sack ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 5. Briefwechsel 1801‒1802 (Briefe 1005‒1245). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1999, S. 129‒134.

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