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Friedrich Schleiermacher to Ehrenfried von Willich

Endlich kann ich auch dazu kommen Ihnen ordentlich zu schreiben meine ersten Zeilen waren, wie Sie gesehen haben, nur eine Begleitung für die Briefe. Es ist eigentlich lange daß ich geschwiegen habe; aber ich habe indeß das schöne Geschik was uns zusammenführte unser Finden und Erkennen und mein ganzes neues Glük recht im Innern erwogen und genossen. Im Allgemeinen waren wir wohl sehr bald darüber verstanden, und wußten es gewissermaßen vorher, daß wir zusammengehörten und in Einer Sphäre lebten, und so weiß ich nicht, wie unserer Jette meine Offenheit gegen Sie und mein ruhiges Hingeben als etwas Neues erscheinen konnte. Aber über dieses Zusammengehören hinaus dachte ich mir bald noch etwas Höheres, daß Sie mein Freund werden könnten wie es lang Keiner war; ich hoffte es und schrieb es an Jette und Brenna, und erwartete nach meiner Art, wie sich auch das allmählich entwikeln würde. Und Sie wollen es, Freund und Bruder wollen Sie mir sein! Aber warum soll ich nicht auch gleich nach brüderlicher Weise reden als hätte ich mit angestoßen auf die schöne Vereinigung?
Erinnere Dich wie wenig ich Dir zu sagen wußte als Du mich in Klinkow nach meinen Freunden fragtest – ich hatte eigentlich keinen im ganzen Sinne des Wortes. In den ersten Zeiten der Entwiklung meines Selbst hatte ich zwei Freunde; eine Denkart die uns von allen unsern Umgebungen schied, ein gemeinschaftliches Streben ging uns zugleich auf, und das giebt eine schöne Vereinigung. Der eine, der wohl Kraft genug gehabt hätte, immer mein Freund zu bleiben, starb bald[;] den andern fesselten Pietät und Furchtsamkeit in Verhältnißen wo die Freundschaft sich bald gelähmt fühlen mußte aus Mangel an Mittheilung, und so hat er aufgehört es der That nach zu sein, ob ich gleich noch immer mit alter Liebe seiner gedenke und er gewiß meiner auch. Dann fand ich in Preußen wo ich drei Jahre lebte erst am Ende dieses Aufenthalts einen Landgeistlichen, einen herrlichen Mann von einfachen edlen Gemüth, ächter Sittlichkeit, reinem | Wahrheitssinn und einem patriarchalischen Stil des Lebens. Wir gewannen uns herzlich lieb aber außerdem daß die Ungleichheit der Jahre gewiße Unebenheiten doch hervorbringt ohnerachtet er wohl die ewige Jugend gefunden hat gab es auch immer Manches was ich ihm nicht unverholen mittheilen zu dürfen glaubte; und da ein großer Brief den er mir über die Lucinde schrieb mich bewog ihm die Briefe mitzutheilen weiß ich seitdem nicht wie ich mit ihm stehe und ahnde daß ihm das Mißverständniße gegeben haben mag, die vielleicht um so schwerer zu heben sein werden, je zarter sie bei ihm gewiß sind. Ich denke jetzt mit Schmerzen an ihn. Außer einem wunderbaren Menschen, der mir jezt zu weitläuftig werden würde, habe ich Dir nur noch von Friedrich Schlegel zu reden. Vor der Welt kann und muß ich ihn wol meinen Freund nennen: denn wir sind einander reichlich was man unter diesem Namen zu begreifen pflegt. Große Gleichheit in den Resultaten unseres Denkens, in wissenschaftlichen und historischen Ansichten, Beide nach dem Höchsten strebend, dabei eine brüderliche Vereinigung, lebendige Theilnahme eines Jeden an des Andern Thun, kein Geheimniß im Leben, in den Handlungen und Verhältnißen: aber die gänzliche Verschiedenheit unserer Empfindungsweise sein rasches heftiges Wesen, seine unendliche Reizbarkeit und seine tiefe unvertilgbare Anlage zum Argwohn, dies macht daß ich ihn nicht mit der vollen Wahrheit behandeln kann nach der ich mich sehne, daß ich Alles gegen ihn anders aussprechen muß, als ich es für mich selbst ausspreche, damit er es nur nicht anders versteht, und daß es immer noch Geheimniße für ihn in meinem Innern giebt oder er sich welche macht. Zwar behauptet er, daß die Monologen ihm zu allen scheinbaren Disharmonien in meinem Wesen den Schlüßel gegeben haben, aber probehaltig ist mir das auch noch nicht.
Du hast das Wollen der Freundschaft zuerst ausgesprochen, und so laß uns ein für allemal ahndend wissen und fühlen was wir einander sein und werden können, aber dann unbefangen mit einander weiter gehn ohne darüber zu reflectiren ob und wie wir es nach und nach sind und werden.
Eure Briefe mit der lebendigen Darstellung eures Lebens | und Eures Andenkens an mich haben mich, ich kann nicht sagen wie sehr ergriffen. Ich fühle mich höher und glüklicher als je. Der Glaube daß auch mein Dasein und mein Leben, nicht bloß die absichtliche Darstellung, in die Gemüther lebendig eingreift bedarf bei mir einer solchen Bestätigung gar sehr.
An die Monologen, wiewol ich wußte daß ich Dir durch sie zuerst werth geworden war, habe ich soviel ich weiß in Prenzlau auch nicht ein einziges Mal gedacht; ich war in der Gegenwart, und im Beschauen Deines Wesens. Aber ich lobe mich drum daß ich sie geschrieben habe; es war eine unbezwingliche Sehnsucht mich auszusprechen so ganz ins Blaue hinein, ohne Absicht, ohne den mindesten Gedanken einer Wirkung, und ich habe mir oft gesagt es wäre eine Thorheit gewesen – aber da ich mich für einen Thoren hielt bin ich weise geworden. Lebe wohl, und sei mir gegrüßt und gesegnet.
Metadata Concerning Header
  • Date: vor dem 11. Juni 1801
  • Sender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Recipient: Ehrenfried von Willich ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Prenzlau ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 5. Briefwechsel 1801‒1802 (Briefe 1005‒1245). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1999, S. 135‒137.

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