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Friedrich Schleiermacher to Ehrenfried von Willich

Wenn es Dir nicht so zuwider wäre, möchte ich jezt eben mit der ernstlichen Versicherung anfangen, daß ich ein geplagtes Individuum bin: denn ich fühle es eben wieder recht bestimmt, und wenn Du die Bedeutung nur am rechten Orte suchen wolltest, würdest Du mir schon recht geben. Es liegt das lediglich in meinem etwas drükenden Verhältniß zur Wissenschaft und Kunst. Freilich treibe ich nichts wozu mein Genius mich nicht hinführt, sonst wäre das Ganze ja ein unnatürliches Wesen, auch wird es mir nicht schwer nach meiner Art Werke zu bilden, den Gedanken zu einem geschloßenen Ganzen der Mittheilung aufzufassen und es dann auch so hinzustellen daß ich auf der Stufe wo ich stehe zufrieden damit sein kann. Nur diese Leichtigkeit versichert mich immer wieder aufs neue, daß es jezt schon mein Beruf ist und zu meinem Leben gehört. Dürfte ich lauter solche Werke bilden, wie die bisherigen wo ich mich bloß in meiner eignen Sphäre bewege, so würde auch vom Geplagtsein gar nicht die Rede sein. Allein die Kenntniß fremder Werke und das Wissen fremder Gedanken auf dem Gebiet wo man die Wechselwirkung mit diesen nicht vermeiden kann, kurz das leidige Lesen und Studieren, das macht mir unsägliche Mühe theils aus Ungeschiklichkeit in der Behandlung, theils weil mir die Natur dabei, besonders mit dem Gedächtniß, nur sehr schlecht zu Hülfe kommt. Wären nur die Alten, so wäre ich noch geborgen, die werden mir sehr leicht aufzufassen; ich habe auch eine natürliche Neigung zum philologischen Studium, nehme es genau damit, wie sichs gehört, und werde nach einigen Jahren Uebung gewiß etwas ordentliches darin leisten. Aber die Neuen und besonders die Philosophen sind wohl wie zu meiner Quaal von Gott geschaffen. Du glaubst nicht welche unsägliche Mühe | es mir kostet ein solches Buch so weit inne zu haben daß ich mir einige Rechenschaft davon zu geben weiß was der Mann eigentlich gewollt hat, und wo er steht. Und doch ist es mir unmöglich, wie Fichte thut, es so vor dem Daumen abzubrechen, und vorauszusezen, daß wol nichts drin stehen wird. Grade Fichtes Bücher gehören eben als die besten auch zu denen die mir am leichtesten werden; aber je weniger sie vortreflich sind um desto mehr quälen sie mich auch. Ich erinnere mich noch mit Schmerzen daß ich vier Wochen um und um zugebracht habe ehe ich mir die Bestimmung des Menschen so zu eigen gemacht hatte, daß ich den wunderlichen Senf darüber schreiben konnte der im Athenäum steht, und vor dem sonnenklaren Bericht von dem ich glaube, daß er eben auch nicht zu seinen besten Sachen gehören wird habe ich schon eine heilige Furcht. Dazu kommt nun daß ich gerade deshalb mit Recht einen Beruf zur Verwaltung der Kritik zu haben glaube, denn wem es solche Mühe macht, und wer es so gründlich damit nimmt, der hat wol ein Recht über den Werth der Bücher mitzusprechen. Siehst Du mein Freund das sind meine Qualen und ich rechne nicht darauf eher als in zehn Jahren davon los zu kommen. Jezt ist mir bis auf einige kleine kritische Arbeiten für die ich leider mein Wort gegeben habe ganz wohl in meiner Haut weil ich mich fast nur mit dem Platon beschäftige. Aber künftiges Jahr will ich eine Kritik aller bisherigen Moral schreiben, um auf meine eigne systematische Darstellung der Moral vorzubereiten – nun denke Dir die ungeheuren Lektüren die ich dazu noch machen muß denn ich muß Alles von Vorne an wieder durcharbeiten. Außerhalb dieses Gebietes quält mich nicht leicht etwas. Es liegen Sorgen auf mir von der drükendsten Art, das Schiksal einer geliebten Seele in deren Besiz sich mein Leben erst vollenden würde und das ihrige in dem meinigen, die Sorgen für einen Freund – denn ich kann doch Friedrich Schlegel nicht anders nennen, wenngleich er es nicht im höchsten Grade ist – dessen Wiederwärtigkeiten eine unversiegbare Quelle | in seinem Innern haben, und noch manches andere von ähnlicher Art, ungerechnet das weltbürgerliche Interesse, das mein Gemüth oft mit großer Heftigkeit ergreift – aber das Alles vermag mich nicht zu plagen, auch nicht im mindesten mich aus meiner heitern Stimmung herauszusezen, noch weniger persönliche Tracasserien an denen es mir ja Gott sei Dank auch nicht fehlt. Du weißt nun wie Du meine Geplagtheit zu nehmen hast, und daß Du immer etwas Mitleiden damit haben kannst, ohne daß sie Dich eben beunruhigen dürfte.
Mit Jette bin ich gewöhnlich einen Tag um den andern von Eins bis Fünf Uhr; wir essen dann zusammen, lesen plaudern, schlafen auch wohl und gehn spazieren. Die beste Freude ist wenn ich einmal einen ganzen Vormittag mit ihr sein und leben kann aber das hat sich jezt noch nicht machen wollen. Sie grüßt Euch Beide gar herzlich. Gestern haben wir uns an einer schmählichen Recension der Monologen in der Deutschen Bibliothek ergözt. Es ist ordentlich das Verhängniß dieser Welt oder wenigstens dieser Zeit daß das Heiligste und der Scherz dicht neben einander liegen sollen denn ich habe mich des herzlichsten Lachens dabei nicht enthalten können, und es schien mir bei näherer Betrachtung eine ganz natürliche Wirkung daß die Monologen Spaß dieser Art erzeugen müßen. Aber wie gern kehrte ich zu dem Ernst zurük und wie schön und heilig war mir dann gleich wieder zu Muth. Du warst dabei, das kannst Du denken, Du bist ja das Schönste was sie mir eingetragen haben, und von Dir weiß ich am gewißesten und sehe es aus Deinem Briefe aufs Neue, daß Du das Innerste darin klar wie es ist aufgefaßt hast. – Aber wie hat Dir mein langsames Auffassen eine Furcht vor einem einseitigen Auffassen geben können? Vielmehr bin ich eben durch diese Langsamkeit am besten davor gesichert, denn sie ist ja nichts anders als die Maxime daß alles Einzelne nur ein Theil ist und daß man erst mehrere Theile haben muß um es recht zu ver | stehen, das ruhige Abwarten einer vollendeten Anschauung, und ein aufrichtiger Abscheu gegen das einseitige Urtheilen und die superkluge voreilige Menschenkenntniß aus einzelnen Zügen. So sei auch nur nicht bange vor meinem innern Bewegen und Fertigmachen, wenn ich Disharmonien in Dir zu finden glaube. Das werde ich nicht lassen aber glaube mir, es ist gut so. Es giebt keine lebendige Erkentniß als die selbsterworbene, so auch von Menschen, und es wäre eine unverzeihliche Trägheit bei dem ersten flüchtigen Gedanken, der mir etwa durch den Kopf ginge gleich zu fragen, sondern ich werde allerdings erst hinsehn nach allen Seiten und so den Gedanken entweder zerstören oder fertig machen, aber wenn er mir fertig zu sein scheint dann werde ich Dich fragen ob auch dem also ist. Du wirst schon sehen wie ich das treibe, und es wird Dir gewiß recht sein. Aber warum sorgest Du denn voraus, daß ich Disharmonien in Dir zu sehn glauben werde? Das geschieht mir gar nicht so leicht. Ich gehe bei wirklichen und wahren Menschen immer von der Voraussezung aus daß was in ihnen ist auch zu ihrer Natur gehört, und überzeuge mich schwer vom Gegentheil, so daß auch von mir geglaubt wird, ich sei gegen ihre sogenannten Fehler viel zu indifferent, ja zärtlich.
Grüße unsere Johanna, ich schreibe ihr nächstens; denn ich habe ihr mancherlei zu sagen. Wie steht es mit Deiner Reise? Sorge nur dafür, daß sie unsere Gemeinschaft nicht unterbricht, und theile mir dann auch, was sich thun läßt, mit von Menschen die Dich interessiren. Dergleichen ist mir sehr heilsam. – An Wedeke, so heißt mein Prediger in Preußen schreibe ich nächstens. – Wenn Du die Lucinde wieder lesen willst, so sage mirs doch bei Zeiten ich habe Dir noch allerlei über sie und die Briefe zu sagen aber heute hatte ich weder Zeit noch Lust.
Schl.
D 11t. Junius
Wenn Du kannst, so gewöhne Dir doch an bei Deinen Briefen das Datum nicht zu vergessen
Metadata Concerning Header
  • Date: Donnerstag, 11. Juni 1801
  • Sender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Recipient: Ehrenfried von Willich ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Prenzlau ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 5. Briefwechsel 1801‒1802 (Briefe 1005‒1245). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1999, S. 138‒141.

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