Berlin d 25t. Junius 1801
Hoffentlich, lieber Freund, wird Dich mein Brief, der sich einen Posttag bei Sara verspätet hat, noch gefunden haben ehe Du Prenzlau verließest. Des Zusicherns wegen sollst Du wohl eigentlich keinen brauchen aber es sollte mir doch selbst leid thun, wenn Du nicht an dem Geburtsort unserer Freundschaft noch einmal von mir gehört hättest. – Wenn Du, wie ich vermuthe jezt zum erstenmal unter diesen Umständen ich meine mit der Liebe im Herzen, reisest, so wird Dir freilich mitten unter den Deinigen und allen vaterländischen Lieblichkeiten immer etwas anders zu Muthe sein als sonst. Indeß ist Dein Loos dabei immer das beßere, nicht nur weil Du wegreisest und Johanna zurükbleibt, und weil Du einem Reichthum von geistigen Genüssen entgegen gehst, sie dagegen sich nur desto ärmer und mit der Gemeinheit desto näher umgeben finden wird: sondern auch schon als Mann überhaupt, denn wie tief uns auch die Liebe im Herzen wohnt, und wie Ernst es und damit ist, in der Sehnsucht übertreffen uns doch die Frauen gar weit. Liegt das in der natürlichen Verschiedenheit, oder in den Verhältnissen? Du siehst ich weiß, was Dich mehr als alles in Prenzlau hält, und Du willst wohl auch daß ich es | wissen soll. Dann hast Du aber doch noch Manches zu thun, obgleich Du das erste unserer Freundin überlassen hast; es fehlt mir doch noch an einer recht klaren durchschauenden Vorstellung von des ganzen Verhältnißes Anfang Mittel und Ende, die kann mir Niemand geben als Du nach und nach. Selbst mit der Anschauung allein, wenn Ihr sie mir bei einem längeren Aufenthalt auch hättet geben können wäre mir nicht geholfen gewesen.
Vortreflich ist es, daß Du mich auch schon vorläufig mit Allem was Dich erwartet bekannt gemacht hast. Mein Antheil an allem muß Dir gewiß sein und ich hoffe, Du wirst Wort halten und mir auch von dort aus, und von Allem schreiben. Wie kannst Du aber glauben, ich möchte vielleicht nicht an Deine Freundschaft mit Deiner Freundin glauben wollen? Wenn es erst gegen meine Theorie wäre, so ist doch ein Faktum immer mehr als eine Theorie, da ja das Thun der menschlichen Natur nicht nach den Theorien fragt, sondern diese nach ihm fragen müssen – so ein verstokter Philosoph bin ich nicht; aber es ist ja gar nicht, und ich kann mir das recht gut so denken, wie Du es mir sagst. Wirst Du ihr viel von mir erzählen, so sei auch nicht sparsam mich mit ihr bekannt zu machen, es mag sich wol geziemen daß wir | von einander wissen.
Nächst allen lieben Menschen, die Du auf Rügen findest, und der merkwürdigen Natur für die Du soviel Sinn hast, ist es doch auch schön und glüklich daß Du einen Ort hast wo Du Deine erste Jugend verbrachtest, und an den die ersten Erinnerungen des Lebens geknüpft sind. Dergleichen giebt es für mich gar nicht. Seit meinem achten Jahre bin ich nicht drei Jahr, außer jezt in Berlin, an einem Orte gewesen, und dieser schnelle Wechsel der Örter und Menschen hat vieles aus meinem früheren Leben ganz weggewischt. Daher liebe ich auch meine Vaterstadt gar nicht, und mein Vaterland nur wie Fremde es auch lieben, als ein schönes und heiteres Land. Besonders zugethan bin ich nur einer Gegend darin, wo ich nicht mehr als ein Paar Monate zugebracht habe, aber sehr merkwürdige, in welche die erste Regung des innern Lebens fällt. Eine Schwester die da lebt, und die ich sehr liebe macht daß ich mich oft recht innig hin sehne, und ich reiste gern noch diesen Sommer hin wenn ich es möglich machen könnte.
Von Muhrbek wirst Du mir wol auch mehr sagen, wenn Du ihn wiedergesehn hast. Unter andern möchte ich auch wohl wissen wie ihm das neueste Wesen in der Philosophie gefällt, ich meine den Schellingschen, wie es Fichte nennt, Realismus oder wie Schelling es nennen möchte Spinozismus. Ich fürchte die beiden Männer werden der Welt das Skandal eines öffentlichen Streites geben und wenn sie ihn dann nur mit Würde und Mäßigung führen. Ich hoffe allerlei gutes davon. Was Schelling vorgetragen hat (es ist im neuesten Stük seines Journals für spekulative Physik) mag wol nicht mehr im Gebiet der philosophia prima liegen; es ist aber sehr genialisch und sehr schön, und ich erwarte Gutes davon. Ich denke es wird nun einmal über die Grenze der Philosophie gesprochen werden müssen, und wenn die Natur | außerhalb derselben gesezt wird, so wird auch Raum gewonnen werden auf der andern Seite jenseits der Philosophie für die Mystik. Fichte muß sich freilich während dieser Operation mit seiner bornirten Virtuosität im Idealismus sehr übel befinden; aber was schadet das.
Mit dem Nicolai hast Du sehr recht. Es ist Manches darin verunglükt und der Hund ist eben ein Hund. Fichte und Friedrich und zum Theil auch der ältere Schlegel können es nicht lassen bei solchen Gelegenheiten immer etwas zu thun oder zu sagen wobei die Leute sie fassen können, und wodurch die Sache gar nichts gewinnt. Sie sind in solche Stellen gewöhnlich ordentlich verliebt, und sehn nicht welchen Schaden sie ihren eignen Endzweken dadurch thun.
Lebe wohl lieber Freund und laß Dirs recht gut gehn. An Johanna gedenk ich nächstens zu schreiben; die Arme mag sich übel genug befinden. – Wie es mir hier geht weißt Du. Den Sommer genieße ich mit Spaziergehn und dergleichen weniger als je. Es ist hier doch nicht viel daran verloren und der Plato hält mich zu ernsthaft fest. Dabei geht mir aus Gelegenheit dieser Perturbationen in der Bahn der Philosophie tausenderlei durch den Kopf, und ich fühle wohl daß ich auf diese und jene Art darin eingreifen sollte; aber dann denke ich wieder, ich will mir Zeit lassen, ich habe noch viel zu Gute bei der Welt und bei den Philosophen namentlich, was ich ihnen gegeben habe ohne daß sie es genommen haben. Von der Lucinde ein andermal. Adieu!
[H. Herz:] Auch ich wollte Ihnen heute schreiben mein guter Ehrenfried konnte aber des schönen Wetters und der mancherlei Abhaltungen halber nicht dazu kommen, ich schließe mich heute bloß an meinen Freund an der eben hier im Thiergarten ganz faul auf dem Sopha liegt. Bald mehr und eigentlich von
Ihrer Jette.
Von unserer Hanne habe ich Heute einen Brief gehabt
Hoffentlich, lieber Freund, wird Dich mein Brief, der sich einen Posttag bei Sara verspätet hat, noch gefunden haben ehe Du Prenzlau verließest. Des Zusicherns wegen sollst Du wohl eigentlich keinen brauchen aber es sollte mir doch selbst leid thun, wenn Du nicht an dem Geburtsort unserer Freundschaft noch einmal von mir gehört hättest. – Wenn Du, wie ich vermuthe jezt zum erstenmal unter diesen Umständen ich meine mit der Liebe im Herzen, reisest, so wird Dir freilich mitten unter den Deinigen und allen vaterländischen Lieblichkeiten immer etwas anders zu Muthe sein als sonst. Indeß ist Dein Loos dabei immer das beßere, nicht nur weil Du wegreisest und Johanna zurükbleibt, und weil Du einem Reichthum von geistigen Genüssen entgegen gehst, sie dagegen sich nur desto ärmer und mit der Gemeinheit desto näher umgeben finden wird: sondern auch schon als Mann überhaupt, denn wie tief uns auch die Liebe im Herzen wohnt, und wie Ernst es und damit ist, in der Sehnsucht übertreffen uns doch die Frauen gar weit. Liegt das in der natürlichen Verschiedenheit, oder in den Verhältnissen? Du siehst ich weiß, was Dich mehr als alles in Prenzlau hält, und Du willst wohl auch daß ich es | wissen soll. Dann hast Du aber doch noch Manches zu thun, obgleich Du das erste unserer Freundin überlassen hast; es fehlt mir doch noch an einer recht klaren durchschauenden Vorstellung von des ganzen Verhältnißes Anfang Mittel und Ende, die kann mir Niemand geben als Du nach und nach. Selbst mit der Anschauung allein, wenn Ihr sie mir bei einem längeren Aufenthalt auch hättet geben können wäre mir nicht geholfen gewesen.
Vortreflich ist es, daß Du mich auch schon vorläufig mit Allem was Dich erwartet bekannt gemacht hast. Mein Antheil an allem muß Dir gewiß sein und ich hoffe, Du wirst Wort halten und mir auch von dort aus, und von Allem schreiben. Wie kannst Du aber glauben, ich möchte vielleicht nicht an Deine Freundschaft mit Deiner Freundin glauben wollen? Wenn es erst gegen meine Theorie wäre, so ist doch ein Faktum immer mehr als eine Theorie, da ja das Thun der menschlichen Natur nicht nach den Theorien fragt, sondern diese nach ihm fragen müssen – so ein verstokter Philosoph bin ich nicht; aber es ist ja gar nicht, und ich kann mir das recht gut so denken, wie Du es mir sagst. Wirst Du ihr viel von mir erzählen, so sei auch nicht sparsam mich mit ihr bekannt zu machen, es mag sich wol geziemen daß wir | von einander wissen.
Nächst allen lieben Menschen, die Du auf Rügen findest, und der merkwürdigen Natur für die Du soviel Sinn hast, ist es doch auch schön und glüklich daß Du einen Ort hast wo Du Deine erste Jugend verbrachtest, und an den die ersten Erinnerungen des Lebens geknüpft sind. Dergleichen giebt es für mich gar nicht. Seit meinem achten Jahre bin ich nicht drei Jahr, außer jezt in Berlin, an einem Orte gewesen, und dieser schnelle Wechsel der Örter und Menschen hat vieles aus meinem früheren Leben ganz weggewischt. Daher liebe ich auch meine Vaterstadt gar nicht, und mein Vaterland nur wie Fremde es auch lieben, als ein schönes und heiteres Land. Besonders zugethan bin ich nur einer Gegend darin, wo ich nicht mehr als ein Paar Monate zugebracht habe, aber sehr merkwürdige, in welche die erste Regung des innern Lebens fällt. Eine Schwester die da lebt, und die ich sehr liebe macht daß ich mich oft recht innig hin sehne, und ich reiste gern noch diesen Sommer hin wenn ich es möglich machen könnte.
Von Muhrbek wirst Du mir wol auch mehr sagen, wenn Du ihn wiedergesehn hast. Unter andern möchte ich auch wohl wissen wie ihm das neueste Wesen in der Philosophie gefällt, ich meine den Schellingschen, wie es Fichte nennt, Realismus oder wie Schelling es nennen möchte Spinozismus. Ich fürchte die beiden Männer werden der Welt das Skandal eines öffentlichen Streites geben und wenn sie ihn dann nur mit Würde und Mäßigung führen. Ich hoffe allerlei gutes davon. Was Schelling vorgetragen hat (es ist im neuesten Stük seines Journals für spekulative Physik) mag wol nicht mehr im Gebiet der philosophia prima liegen; es ist aber sehr genialisch und sehr schön, und ich erwarte Gutes davon. Ich denke es wird nun einmal über die Grenze der Philosophie gesprochen werden müssen, und wenn die Natur | außerhalb derselben gesezt wird, so wird auch Raum gewonnen werden auf der andern Seite jenseits der Philosophie für die Mystik. Fichte muß sich freilich während dieser Operation mit seiner bornirten Virtuosität im Idealismus sehr übel befinden; aber was schadet das.
Mit dem Nicolai hast Du sehr recht. Es ist Manches darin verunglükt und der Hund ist eben ein Hund. Fichte und Friedrich und zum Theil auch der ältere Schlegel können es nicht lassen bei solchen Gelegenheiten immer etwas zu thun oder zu sagen wobei die Leute sie fassen können, und wodurch die Sache gar nichts gewinnt. Sie sind in solche Stellen gewöhnlich ordentlich verliebt, und sehn nicht welchen Schaden sie ihren eignen Endzweken dadurch thun.
Lebe wohl lieber Freund und laß Dirs recht gut gehn. An Johanna gedenk ich nächstens zu schreiben; die Arme mag sich übel genug befinden. – Wie es mir hier geht weißt Du. Den Sommer genieße ich mit Spaziergehn und dergleichen weniger als je. Es ist hier doch nicht viel daran verloren und der Plato hält mich zu ernsthaft fest. Dabei geht mir aus Gelegenheit dieser Perturbationen in der Bahn der Philosophie tausenderlei durch den Kopf, und ich fühle wohl daß ich auf diese und jene Art darin eingreifen sollte; aber dann denke ich wieder, ich will mir Zeit lassen, ich habe noch viel zu Gute bei der Welt und bei den Philosophen namentlich, was ich ihnen gegeben habe ohne daß sie es genommen haben. Von der Lucinde ein andermal. Adieu!
[H. Herz:] Auch ich wollte Ihnen heute schreiben mein guter Ehrenfried konnte aber des schönen Wetters und der mancherlei Abhaltungen halber nicht dazu kommen, ich schließe mich heute bloß an meinen Freund an der eben hier im Thiergarten ganz faul auf dem Sopha liegt. Bald mehr und eigentlich von
Ihrer Jette.
Von unserer Hanne habe ich Heute einen Brief gehabt