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Lotte Schleiermacher to Friedrich Schleiermacher

Gdfr d 9t Augst
Diese stille Stunde (denn Sontags geht man oft schon um 9 uhr zu Bett) sei Dir mein Lieber gewidmet, kaum ist mein voriger Brief in Deinen Händen und mit Mühe durchgelesen so fange ich schon wieder einen an!
Ach was sind alle diese Episteln gegen eine Stunde mündlicher Unterhaltung die ich in diesen Tagen mehr gewünscht als jemals – in meiner jezigen Laage stoße ich so äußerst selten auf Menschen die mich ganz verstehen, daß es aus diesem Grund schon ganz natürlich – Dich mein iniggeliebter mitfühlender Bruder und Freund wenn es möglich herzuseufzen – eine kleine Anzeige meiner Verhältniße mit denen Menschen um mich her würde auch meine heutigen Gefühle Dir so lebhaft darstellen – ja Du würdest sie ganz in Dich aufnehmen – Trenung und Wiedersehn, diese 2 Poole unserer höchsten inigsten Empfindungen – und dann ungeheuchelte Theilnahme an Menschen die vermöge ihrer Verschiedenheit nie meine Freunde werden – im Gegentheil gar nichts für mich haben, aber weil sie gedrükt und mehrentheils unschuldig leiden, mein Mitgefühl und Aufmerksamkeit erregen – –
Ach wir weinen 1000 Thränen
doch sie mehren unser Sehnen
ruhig weinen wir uns nicht
Wir bedenken was uns fehlet
Wir berechnen was uns quälet
Wir verstehn was uns gebricht
ruhig weinen wir uns nicht |
den 19ten Augst. Viel sehr viel habe ich Dir zu sagen mein Lieber! zuerst das was mir erst ganz neuerlich begegnet ist – ich war gestern (nehmlich an einem Tage wo wir Alle keine Schule halten) nach 3 Jahren wieder einmahl in Pangel vor 14 Tagen war meine trefliche Aulock von einer Menge andrer Menschen umgeben hier – und bat mich so herzlich sie doch noch vor ihrer Niederkunft zu besuchen und mir alles das schöne was man zu ihrem Geburtstag den 1ten dieses veranstaltet anzusehn – welches denn auch geschehen ist – allein meine Freundin fand ich krank an entsezlichen Reißen in Kopf und Zähnen – so, daß sie das Bett gar nicht verlies – daß uns dieser Zufall ihr eignes Leiden zu geschweigen Beiden sehr unangenehm war ist leicht zu erachten – doch ich ertrug es mit mehrerer Gelaßenheit als sonst – und war ins ganze genommen doch 4 Stunden bei ihrem Bett – die übrige Zeit verbrachte ich theils mit den Kindern Vormittag im Garten – bei Tische wobei auch natürlich Herr von Aulock und der Hofmeister waren – lezterer führte mich nachher in Begleitung der Kleinen in das Wäldchen welches erst seit Johany aus einem verwornen Gesträuch geschaffen worden – sehr viele Gänge mit Terrassen und KnüppelBrüken hat – worinn Säulen mit Inschriften die auf wahre Freuden Bezug haben angebracht sind verschiedne Pläze zum ausruhen – Altäre Tempel und eine schöne große MooßHütte – O! es ist ganz allerliebst! – |
Doch was laße ich mich mit einer Beschreibung ein die ich nicht ausführen kan? Das für sie rührendste am 1ten Augwst war daß nach alle dem Schönen, und denen Gesprächen des Hofmeisters und den Kindern ihr das Gesinde unter Anleitung einer schönen Music ein Gedicht überreichten und einstimmig sangen auf die Arie Am Reihn am Reihn da wachsen unsre Reben – auch dem Aulock kam es unverhoft der bei dergleichen imer sehr gerührt ist – eine außerordentliche VolksMenge soll außer den dazu erbetnen Herschaften da gewesen sein – –
Gegen 6 uhr fuhr ich wieder weg nachdem ich auch von den Kleinen die sich gar inig an mich anklammerten einen zärtlichen Abschied genomen – und fuhr über Dirsdorf wo ich eine arme Schwester abgesezt hatte ihre 80jährige Mutter zu besuchen – diese gute Alte kam mit FreudenThränen an den dürren Wangen mir zu danken – wuste nicht wo sie Worte finden solte. Gott! wie mich der Anblik rührte – und wie mich das Gefühl 2 Menschen Anlaß zur Freude, gegeben, noch über die AbschiedsScene weit weg hob und recht heiter in die sinkende Sonne bliken lies – beim CotwizHof kam mir die Riker mit meiner Dienerin entgegen – und sagte mir daß der Pastor Wunster schon seit 6 uhr da, und bald nach mir gefragt hätte – natürlich stieg ich beim Gemeinlogis ab – | und brachte da noch bis halb 10 die Zeit – freilich wie in einer andern Welt zu – Wunster hohlt seine Frau aus Reinerz ab – hatte seinen jüngsten Sohn August ein allerliebstes Kind mit, und einen jungen HandelsMann jezt in Schmiedeberg ehemals sein Zögling den ihm der Zufall in die Hände geführt hatte – dieses unbekante Geschöpf aber hemte unsere Unterhaltung keinesweges – Gott was hat der liebe Mann noch für Geist und Feuer – und welche Phantasie! so, daß ich heute noch davon angeflammt bin – Er hat mich wegen eines Besuchs nach Breslau entsezlich gequält – aber nichts ausgerichtet – nach seiner Rükkunft sage ich Dir mehr! –
den 9ten September Wenn morgen kein Geld von Dir komt so weis ich in der That nicht was ich machen soll – gar zu gern hätte ich meine Gläubiger befriedigt noch vor Michaely – auch reicht jenes Geld, welches 10 Thaler sind nur zu meiner Kost und denen Hausabgaben – und dann bleiben 3 übrig – auch habe ich nichts mehr zur gewöhnlichen Ausgabe – laut klagen will ich nicht sonst wird das Uebel nur ärger – O! Gott weis es am besten – und er wird mich aus dieser großen Verlegenheit auf irgend eine Art herausziehen mein ganzes Wesen ist auf eigne Schrauben gesezt! – ich fühle mich Mangel an Geld ausgenomen – weiter nicht unglüklich – mit einem eignen Gefühl sehe ich dem morgenden Tag entgegen. |
den 10ten October 1801 Noch bin ich in eben der Laage in welcher ich das vorige Blatt endete das Michaely Geld ist seit einigen Tagen angekomen – ausgezahlt und noch weit mehr bin ich schuldig – wenn mir diese angefangne Woche nichts bringt so sehe ich mich wieder meinen Willen genötigt Deine Hülfe dringend anzuflehn – ach mein Lieber wenn Du ins ganze genomen meine übrige Laage wüstest – Du würdest mein Dich liebendes besorgtes Herz nicht noch mit einem solchen Schweigen peinigen – viel viel habe ich Dir zu erzählen und gewiß Du hast nicht weniger Stoff zur Mittheilung bei Deinen Verhältnißen – ach ich bin viel zu voll und weiß nicht wo ich anfangen soll. Gestern war es 4 Wochen daß Wunster auf dem Rükwege von Reinerz mit seiner Frau und Kindern hier war – das schlechte Wetter verkürzte seinen Auffenthalt – demohngeachtet brachte er doch seine zwar gutgemeinten aber für mich unausführbaren Gedanken vor – mir eine Stelle an einem Mädgenlnstitut in Breslau vorzuschlagen wo ich einen sehr guten Gehalt lebenslang hätte – der gute Mann konte sich durchaus nicht drein finden wie ich so etwas abschlagen – und so vergnügt – auf die Zukunft unbesorgt sein könte – zugleich machte er mich durch seine Zudringlichkeit so treuherzig daß ich ihn mit meinem GeldMangel bekant machte – er versprach mir zu Michaely gleich auszuhelfen – heute ist der I9te October und noch weis ich | seit seinem Besuch nichts von Ihm – werde auch sicher mich nicht melden – aber äußerst unangenehm und peinigend ist mir der Vorwurf mich Ihm entdekt zu haben. Ueber Charles Schiksaale ist auch alles dunkel – um mich her imer noch das alte – doch bin ich heiter – denn die Geschäfte besonders mit denen ganz Kleinen (wir haben jezt viele von 5. bis 8. Jahren – in der Anstalt) sind mir sehr angenehm.
Aus großer Verlegenheit würdest Du mich ziehen wenn Du mir gleich nach Empfang dieses – 10 Thaler schiktest – denn nur 8 groschen habe ich – und weis nicht woher die übrigen reste zu bezahlen – denn von meinem Strikwerk welches sehr langsam geht muß ich die gewöhnlichen Ausgaben bestreiten. Verzeihe Lieber daß ich Dich so quäle nie will ich es wieder thun – aber die Täuschung im Februar – und mein kränklich sein im May – hat mich in ein großes brouillement versezt – nochmals bitte ich Dich mir zu helfen – nur eine mündliche Mittheilung würde Dich au fait von meiner Noth sezen – überhaupt peiniget mich Dein Schweigen in jeder Absicht – ach könten Wir uns bald wieder sehen! welch süßer Gedanke für Deine
Lotte
Metadata Concerning Header
  • Date: 9. August bis 19. Oktober 1801
  • Sender: Lotte Schleiermacher ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Gnadenfrei ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 5. Briefwechsel 1801‒1802 (Briefe 1005‒1245). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1999, S. 174‒177.

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