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Friedrich Schleiermacher to Ehrenfried von Willich

Dein Brief mein theurer Freund hat mir eine doppelte unangenehme Empfindung gemacht, die daß Du mich gänzlich mißverstanden hast, und die, daß dies auf eine solche Weise geschehen ist, welche Dir weh thun mußte. Von Vorwürfen war in mir gar nicht die Rede; wenn ich gesagt habe daß Du Dein Verhältniß mit Johannen als ein Vorübergehendes behandeltest, so habe ich nicht gemeint, daß Du das absichtlich mit Wissen und Willen thätest – davon weiß ich Dich sehr entfernt – sondern nur daß Dein Hinsehn auf eine andere noch unbekannte Liebe und Ehe im Grunde und ohne Dein Wissen nichts andres ist; ich habe Dir nur Dein Schiksal zeigen, und Dir den Widerspruch hinter welchem Du Dich vor jenem schüzen zu können glaubst in seiner Blöße aufdeken wollen. Wäre Alles noch wie es war: so würde ich Dich bitten aus diesem Gesichtspunkte meinen Brief noch einmal zu lesen, ob ich Dir vielleicht deutlich würde. Denn ich weiß dem Gesagten nichts hinzuzusezen, und auch Dein Brief hat mich nichts Neues gelehrt. | Allein leider mein armer armer Freund ist nicht mehr Alles wie es war, wie Dir Jette ausführlicher erzählen wird, und diese Schmerzen haben jene über Dein Mißverständniß fast ganz verdrängt. Klar ist es uns Beiden, Jette und mir, daß unsere gute Johanne sich übereilt hat. Anstatt bloß ihre unbegrenzte Liebe zu gestehen hätte sie lieber die Grenzen Eures Verhältnisses Ihrem Gatten vor Augen legen sollen, so hätte sie vielleicht dieses harte entscheidende Versprechen Dir zu entsagen nicht erst nöthig gehabt. Aber geschehene Dinge sind nicht zu ändern. Wie Du es empfinden wirst darüber ist nichts zu sagen. Ich fühle es mit Dir; also schweigen wir davon. Aber was zu thun ist? Ich sehe nur dreierlei. Entweder man sucht Herz durch eine richtige Darstellung der Sache und durch Mittheilung aller eurer Briefe dahin zu bringen daß er Deiner Freundin ihr Versprechen zurük giebt, und sich euer Verhältniß in den Grenzen die es jezt hält gefallen läßt. O wie herrlich wäre das wenn es anginge, und wie viel freier und schöner würdet Ihr dann leben! Aber ist dies von Herzens beschränktem Gemüthe zu erwarten? Jette ist der Meinung Du sollst ihm schreiben; vielleicht sieht sie es als ein Mittel zu diesem Endzwek an, wiewohl | ich glaube, daß er in Absicht auf den Punkt, der ihm vielleicht am meisten am Herzen liegt ihren Versicherungen mehr trauen wird als Deinen. Ich möchte hierin nichts rathen da ich keine deutliche Anschauung davon habe wie Du mit ihm stehst. Kannst Du mit Grunde erwarten daß er wenn Du ihm auf die rechte Art schreibst es weder als Beleidigung noch als Demüthigung aufnimmt, so thue es – wo nicht, so wollte ich nicht daß Du Dir auch nur das Geringste gegen ihn vergebest.
Oder Johanna erklärt, daß sie ihr Versprechen in keinem Sinne erfüllen kann, und wenn Herz es nicht erläßt, trennt sie sich von ihm, und Du sorgst für sie bis die Zeit kommt da Du Dich ganz mit ihr verbinden kannst. Dies wäre, wenn das erste unmöglich ist bei weitem das Sittlichste und Schönste. Aber tausend kaum zu überwindende Schwierigkeiten thürmen sich dagegen, tausend Leiden und Bitterkeiten würden die unmittelbare Folge davon sein.
Oder Du theilst Johannens Versprechen und entsagst ihr, allem Umgang mit ihr, allem unmittelbaren Einfluß auf sie. Ich habe es gefühlt was es Dir sein muß dies Wort, die starre kalte, eiserne Nothwendigkeit. Ich finde es sehr natürlich daß Du, ehe Du Dich ihr unterwirfst, alles versuchst, was Du für möglich hältst. Nur bedenke wohl, was Du mit Zustimmung auch der ruhigen Besonnenheit für möglich halten kannst. | Bleibt Dir nichts übrig als dies, dann wäre es freilich klug und nöthig daß Du auch Prenzlau nicht wiedersähst und daß Ihr einsam und entfernt euren Schmerz trüget.
Mein guter geliebter Freund, was ist Dir aufgelegt! Mißverstehe mich nicht, wenn ich Dir kalt zu reden scheine mitten in der Besonnenheit ist mein Herz zerrissen genug. Möge sie auch Dich im Schmerz nicht verlassen, und auch hier, wo das Schiksal Dich am härtesten fest hält, die Freiheit Deines Geistes nicht untergehn. Von solchen Dingen gilt das Wort: was jezt geschieht weißt Du nicht, Du wirst es aber hernach erfahren. Wenn sie nicht eine solche Wendung nehmen, wodurch sie wieder vernichtet werden, so kann man erst nach Jahren, nach ganzen Perioden des Lebens übersehen was sie eigentlich gewesen sind.
Schütte mir recht bald Dein Herz aus, und sage, wie Dir ist, und was Du beschlossen hast. Sei stark und weise. Denn für die Rechte der Liebe und des Schmerzens braucht man nicht zu reden. Ich denke Dein unaufhörlich Du hast zwei treue Herzen an mir und Jette.
Könntest Du jezt empfänglich dafür sein, so würde ich Dir erzählen daß ich zwei Tage in einem ähnlichen Zustande gewesen bin, nur hat sich bei uns Alles so gewendet, daß es beim Alten geblieben ist. Vielleicht ein andermal davon.
Schl.
Metadata Concerning Header
  • Date: September 1801
  • Sender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Recipient: Ehrenfried von Willich ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Prenzlau ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 5. Briefwechsel 1801‒1802 (Briefe 1005‒1245). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1999, S. 218‒220.

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