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Friedrich Schleiermacher to Ehrenfried von Willich

Berlin d 8t. Oct. 1.
Es hat mir wohl gethan, lieber Freund, Dich nach diesen Begebenheiten endlich auch einmal wieder unmittelbar zu hören. Dein Brief hat mich über den Ausgang derselben noch froher gemacht als ich schon war; und ich möchte Dich einen rechten Glükssohn nennen, daß das Schiksal selbst Dich mit einer Gewalt, die Du zugleich achten mußt, auf den Punkt zurükführt, auf welchem Du Deinem Innern nach gleich hättest stehn sollen und daß es nun für Dich auch eine Pflicht gegen Johanna geworden ist die Grenzen der Freundschaft genau zu bewahren. Auch hier hat wieder, wie fast immer in ähnlichen Verhältnissen die Frau allein das Schwere zu tragen, und Du hast fast nur das leichtere Geschäft zu helfen und zu unterstüzen. Dasselbe ist der Fall bei mir. Alles Schwere liegt auf meiner theuern Eleonore; ich habe nur mitzufühlen, und zwar nicht einmal Alles, sondern nur das Ganze, und von dem Einzelnen das Wenige was ich gelegentlich erfahre. Etwas früher als Eure Begebenheit hatte ich auch wieder einmal ein ernsthaftes Demele mit ihrem Ehemann. | Es fiel ihm ein es mir übel zu nehmen, daß ich sie allein besuchte, und es untersagen zu wollen. Ich erinnerte ihn mündlich und dann auch schriftlich daran, was schon vor ein Paar Jahren über diesen Punkt vorgefallen, versicherte ihn daß der Verdacht der dabei zum Grunde läge – als ob wir nemlich in den Aeußerungen unserer Liebe seiner Vorrechte nicht eingedenk wären, denn daß wir uns lieben weiß er längst und zwar officiell von uns beiden – mir unerträglich wäre, daß ich überall im Umgange mit Frauen das unumschränkte Vertrauen der Ehemänner genösse, und daß ich keine andere Wahl hätte, als entweder auf dem alten Fuß zu bleiben, oder sein Haus ganz und gar zu meiden. Von einem förmlichen Bruch fürchtete er die Folgen und so legte er sich nach einigem leeren Troz den er nicht einmal auszulassen verstand zum Ziele. Aber eine immer zunehmende Schwermuth hat mich seitdem ergriffen[.] Ich sehe daß bei dieser Alles übersteigenden Schwäche des Mannes, dieser so sehr schnell eintretenden Bereitwilligkeit sich zu demüthigen, diesem widersinnigen und doch so eifrigen Bestreben eine Frau festzuhalten von der er weiß daß sie einen andern liebt | und bei Leonorens unendlicher Milde (von der sie nur gegen sich selbst eine Ausnahme macht, aber eine desto größere) sie sich immer auch nach den unzweideutigsten und unerträglichsten Beleidigungen vom Mitleiden wird ergreifen lassen, und daß ohne ein Wunder an keine Aenderung ihres Schiksals zu denken ist. Läge darin nichts anders, als daß ich sie nicht besizen werde, so wäre es noch leichter zu ertragen; aber das ärgste ist, daß sie in diesem Verhältniß nie das werden kann, was sie werden sollte. Sie kann gar nicht sich selbst leben, sie kann ihre schönsten Neigungen nicht befriedigen, sie kann ihren Sinn für Alles Schöne und Gute nicht pflegen und nähren, sie kommt mit allem dem nicht in Berührung, was ihr das Nächste sein sollte. Für meine Liebe mache ich mir aus dem Grade der Bildung und aus der Sphäre worin ein Mensch seine Kraft äußert gar nichts, weshalb auch die Menschen sich so oft an meiner Liebe ärgern und sie nicht begreifen. Ich liebe das Gemüth selbst, seine Bildsamkeit und seine Kräfte – aber für den Menschen selbst und für die Welt liegt mir doch Alles daran daß er genieße und inne werde was er ist, daß er es heraus arbeite auf die schönste Weise und damit wirke und wuchere. Und gerade an meiner höchsten Liebe | soll ich das nicht erleben, sondern sehen wie aus einer unendlichen Fülle schöner Knospen, mit denen die Frucht sich schon zugleich zeigt, nur wenige sich entfalten und alles verschrumpfen wird ehe es sich ausgebildet hat, und das ohne innere Krankheit, nur weil dieser unselige Wurm an dem schönen Gewächs nagt. Es ist zum Vergehen und ich werde auch darüber vergehen. – Doch laß mich lieber auf Dich zurükkommen. Von dem was Dir ein Mißverstehen von meiner Seite zu sein scheint will ich Dir nicht schreiben; darüber müssen wir reden, und ich hoffe Du wirst Dein Wort halten hieher zu kommen. Nur soviel, daß ich ganz im Klaren bin, daß ich aber das vorher nicht suppliren konnte, was mir erst Dein lezter Brief gesagt hat. Ueber Dein Benehmen gegen Herz habe ich große Freude gehabt, nemlich was die Hauptsache betrift, den Charakter, der darin liegt; in der Ausführung hättest Du freilich Manches sparen können was bei ihm doch unmöglich ankommen konnte. Doch welcher gute Mensch muß nicht überall grade das Beste bloß für sich selbst thun, weil es an den Andern doch verlorn ist! und so mag ich auch das nicht tadeln. Was sein Brief unbeholfenes, unfeines und schiefes enthält, war wohl nicht anders zu erwarten. Jette hat Deinen Brief an Johanne so kalt gefunden, daß sie meint, wenn in Herz nur der geringste Argwohn sei, so hätte | er glauben müssen Du schriebst ihr hinter ihm her einen andern. Ich bin nicht dieser Meinung gewesen, sondern habe es ganz natürlich gefunden, daß Du so und nicht anders geschrieben hast. Das sind so die Unterschiede der männlichen und der weiblichen Ansicht die man bei solchen Gelegenheiten studieren kann wie sonst gar nicht. Dein Entschluß Anfangs nicht anders als mit Wolff hinzugehn gefiel mir nicht. Er schien mir mit Deiner Wahrheit – die sich hier so sehr bewährt und um derentwillen ich Dich so sehr liebe – nicht bestehen zu können. Diese muß Alles gleich auf den Fuß sezen, auf dem es bleiben soll, weil sonst das Andere nur Subreptionen sind. Es freut mich daß ich mich nicht geirrt habe, indem aus einem Briefe von Wolff erhellt daß Du es schon anders gemacht hast. – Da hast Du so in Kürze die Urtheile. Freilich sind diese immer das wenigste aber dafür auch das, was sich am besten aussprechen läßt. Gefühlt habe ich auch mit Dir, mein Freund, gewiß Alles was ich wissen und ahnden konnte; aber das läßt sich eben so nicht sagen. Ihr wart mit unter meinen Schmerzen, deren ich gewiß nicht wenige gehabt habe und noch habe. Johannen hätte ich in der traurigen Zeit der Krisis gar zu gern geschrieben aber es ließ sich der Umstände wegen nicht machen. Grüße sie, und gieb ihr meine Liebe und meine Theilnahme | recht zu fühlen. Möchte nur das Bild was sie sich von Herz gemacht hat recht lebendig bleiben. Daß sie noch Widriges genug wieder an ihm sehn wird, daran können wir nicht zweifeln; arbeitet nur dahin im Voraus, daß sie darüber das Gute was er wirklich gezeigt hat nie vergessen möge. Wolff meint es könne nicht wieder so werden zwischen ihnen, wie es gewesen ist; ach, es kann wohl, und die Elemente dazu werden nie fehlen: aber es soll nicht, und es darf nicht. Das sage Johannen auch von meinetwegen. Und nun lieber Freund noch ein Paar wichtige Punkte die mir sehr am Herzen liegen. Suche doch dahinter zu kommen was die Kinder, namentlich Benny von der Sache erfahren und gedacht haben, und suche da Alles ins Gleise zu bringen. Ferner sage mir doch wie Du Braun behandelt hast, wie es Johanna vor Deiner Ankunft gemacht, und was Du dabei für nöthig geachtet hast. Sara glaubt aus seinem Briefe zu schließen, daß er Alles genau wisse; ich finde das nicht wahrscheinlich aber höchst wichtig scheint es mir daß er nicht etwa Mancherlei irrig vermuthet, und daß er Manches entweder gar nicht oder recht wisse. Ferner grüße mir unsern Wolff recht herzlich. Mich hat lange nichts so gefreut als die Nachricht von seinem bevorstehenden Glük. Ich sehe schon sein Leben einen neuen und andern Schwung nehmen, und auch für Lea hätte sich nichts schöneres ersinnen lassen. In der Freude meines Herzens wollte ich ihm gleich schreiben, aber eben da ich es wollte kamen | Nachrichten welche gegen die Festigkeit von Leas Entschluß Zweifel erregen konnten. Ich bin troz Wolffs lezter Aeußerungen noch nicht ganz beruhigt. Lea hat eine gewiße Unentschlossenheit, welche recht ihr böser Dämon ist, es ist eine Art von Schwindel der ihren Geist befällt, wenn sie lange auf Einen Punkt gesehn hat. Man muß daraus keinen Schluß machen gegen die Aechtheit und Güte des Entschlußes den sie wieder wankend machen will; aber man muß sie bald ins Handeln heranziehn um die Gelegenheit abzuschneiden. Beschwöre ihn doch, daß er auch auf Beschleunigung unabläßig dringen, und fördersamst alle möglichen Untersuchungen anstellen [möge], wo sie sich am leichtesten kann taufen lassen. Es muß ihr Alles ganz fertig vorgelassen [werden], und dann keine Ruhe gelassen bis sie dran geht.
Lebe wohl mein theurer Freund und besser als ich. Mir überzieht das tragische Element meines Daseins jezt die ganze Oberfläche. Dies ist freilich in dieser Art nur eine Stimmung, eine veränderliche Combination; da ist aber doch dieses tragische Element immer, wenn es sich auch in der Folge wieder im Innern concentrirt und vertieft. Krank fühle ich mich auch. Nimm aber das lezte nicht etwa für die Ursach des ersteren; denn es ist später auch nicht für die Wirkung, denn es ist rein körperlich. Laß bald von Dir hören, und sinne darauf wie Du Deinen Entschluß einige Zeit hier zuzu | bringen ausführen willst. Es würde mir sehr wohlthätig sein. Von meinem theuern Wedeke habe ich einen sehr lieben Brief, und ich höre manches Gute von dem Eindruk, den meine Predigten hie und da machen. Das sind ein Paar recht helle Punkte. Meine brüderlichen Grüße an unsere Johanna.
Schleiermacher
Metadata Concerning Header
  • Date: Donnerstag, 8. Oktober 1801
  • Sender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Recipient: Ehrenfried von Willich ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Prenzlau ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 5. Briefwechsel 1801‒1802 (Briefe 1005‒1245). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1999, S. 222‒226.

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