Berlin d. 13t. Dec. 1
Du weißt lieber Freund von Jetten was mich bis jezt abgehalten hat Dir zu schreiben und was überhaupt mir jezt wenig Zeit übrig läßt für die Abwesenden und anwesenden Freunde nemlich die längst gewünschte Anwesenheit dessen der mir in so vielen Hinsichten unendlich werth ist. Was ihn selbst betrift so habe ich ihn ganz unverändert wieder gefunden in dem, was mir zusagt, und auch in dem, worin wir von einander abweichen – aber in seinem Denken und Umfassen menschlicher Erkenntniß in Kunst und Wissenschaft hat er wohl noch größere Fortschritte gemacht; alles hat sich mehr geschieden und ist deutlicher herausgetreten. Besonders ist er in das Wesen der Poesie sehr tief eingedrungen und wir werden wohl in den nächsten Jahren eine Menge von Studien in verschiedenen Gattungen von ihm erhalten, die sich doch Alle mehr oder minder dem Meisterhaften nähern werden. Er hat jezt ein Trauerspiel gemacht, wogegen zwar, was die Composition betrift Viele Vieles einwenden werden; aber alles Einzelne ist so durchaus und rein tragisch, und das Ganze in einem so großen Styl, daß alle jene theoretischen Einwendungen bei keinem Unbefangenen den Eindruk besiegen werden. Es liegt eine alte spanische Romanze dabei zum Grunde und es wird bereits gedrukt. – Den Platon abgerechnet werden wir also eine Zeitlang in unsern litterarischen Arbeiten ganz verschiedene Wege [gehn]. Er wird durch Poesie | die Darstellung seiner ziemlich poetischen theoretischen Philosophie vorbereiten, und ich werde meine praktische Philosophie in verschiedenen Werken darlegen, von denen sich Manche doch auch in der Einkleidung wenigstens dem Poetischen gewißermaßen nähern werden. – Daß Friedrichs Hiersein Dein Herkommen verzögert ist freilich ein übler Umstand; indeß wenn es Dir nur späterhin nicht an einer guten Gelegenheit fehlt, und das sollte ich nicht denken, so ist nichts daran verloren. Ich könnte Euch Beide doch nicht genießen, da Ihr Euch noch nicht kennt, und Friedrich gehört gar nicht zu denen mit welchen man sich bald befreundet. Ich würde also, wenn auch die äußeren Bedingungen die Sache nicht schon unmöglich machten, gar sehr verlieren ohne daß Du etwas wesentliches gewönnest. Ueber Neujahr wird Friedrich gewiß nicht hier bleiben, und so suche nur alsdann so bald als möglich ein Mittel zur Befriedigung unserer Wünsche zu finden. Nimm es recht ernsthaft, denn auf meine Reise nach Prenzlau im Sommer ist gar nicht so sicher zu rechnen. Erstlich kann ich ja nicht wissen was Leonore in meiner heiligsten Angelegenheit thun wird, und wann. Zweitens können mich die Umstände leicht nöthigen im Frühjahr den Friedrich noch einmal in Dresden zu besuchen, und dann möchte ich zu einer andern Reise weder Zeit noch Erlaubniß bekommen. Endlich habe ich eine Art von Vorgefühl als ob Dein Aufenthalt in Prenzlau selbst etwas sehr prekaires wäre. Diese Ahndung kann vielleicht unrichtig sein nicht weil sie aus der Luft gegriffen wäre sondern weil sie sich nur auf meine Ansicht der Sache bezieht. Dein Verhältniß zu Herz ist so, wie es durchaus nicht bleiben kann; es drükt Dich und Johanna, und auf die Art, wie Ihr Beide es beschreibt muß es auch Jedem Dritten auffallen. Wie wenig eine gründliche Aenderung von ihm zu erwarten ist, das ist klar, und mir scheint nichts anders übrig als entweder daß Du es von Zeit zu Zeit wenn es zu arg wird wieder ins | Gleiche zu bringen suchst, indem Du ihm tüchtig und trozig die Wahrheit sagst, welches immer ein Palliativ bleibt, und wobei Du riskirst daß er in der Hize einmal etwas sagt oder thut was eine gänzliche Spaltung herbeiführt – oder daß Du selbst eine entscheidende Maaßregel ergreifst, und welche könnte das sein als die äußere Trennung von Deiner Freundin, die Euch Beiden doch als nothwendig vorschwebt zu beschleunigen[.] Sie wird in der That weniger leiden als jezt; denn ein peinlicherer Zustand läßt sich für eine Frau nicht wohl denken; und Dein Verhältniß gegen die Gräfin und Wilhelm sollte Dich hierin doch nicht zu ausschließend leiten, da sie ja ohnedies in der Wahl ihres Aufenthaltes so frei ist, und wenn Du ihr so viel werth bist als Du sein solltest leicht Auskunft treffen könnte. Wolf bleibt Johannen und wird vielleicht alsdann mehr auf sie und für sie wirken können als jezt, und eine ungestörte freie schriftliche Mittheilung wird Euch wenn das Erste überwunden ist bald mehr werth sein als dieses gezwungene und auf allen Seiten unzureichende Sehen.
Unseres guten Wolffs Angelegenheit macht mir Kummer. Indeß zweifle ich nicht daß sie nicht glüklich leben sollten wenn sie erst vereinigt sind, und Jettens rasches Wort sollte ihm nicht so fest im Gemüth liegen. Die Frauen wissen es selbst nicht wie wenig sich in diesem Sinne von dem Mädchen auf die Frau weissagen läßt. Lea hat eine große Anlage zu einem schönen häuslichen Leben und wenn sie sich auch ohne Leidenschaft mit einem Manne verbindet den sie so zärtlich achten muß wie sie Wolf immer geachtet hat, so wird sie ihn gewiß glüklich machen und auch selbst glüklich sein besonders wenn sie Mutter wird. Indeß ist in der Sache nichts zu thun als sie sich selbst | zu überlassen, und nur soviel möglich jeden fremden nachtheiligen Einfluß abzuwenden. Das ist geschehen; indeß ist doch nicht dafür zu haften, was des Bruders Ansehn und eigne Unentschlossenheit auf Lea wirken werden. Grüße mir den guten Wolf und vorzüglich unsre Johanna so herzlich und schwesterlich als Du kannst. Sie soll mich nicht nach dem Nichtschreiben beurtheilen. Jette schreibt doch größtentheils meines Herzens Meinung auch – nur einmal weiß ich daß michs recht drängte ihr selbst zu schreiben, weil ich ihr etwas Anderes schreiben wollte als Jette für heilsam hielt; aber es war zu einer Zeit wo es unsicher gewesen wäre. Sie soll mich recht lieb haben ließ ich ihr sagen. Das mit Leonoren ist aber wohl nur ein schöner Traum. So weit wird die Sache noch nicht sein wenn ich nach Prenzlau kommen kann; und sie wird sie schwerlich eher kennen lernen als wenn sie meine Frau ist. Ueberhaupt seid Ihr schöne Leute mit Entwürfen; der Rügensche ist auch vortreflich; aber für diesen Sommer halte ich es gänzlich unmöglich, und ich zweifle ob ich Dich eher dort sehn werde als wenn Du ganz da lebst.
Ist Dir der Schlegel-Tieksche Musenalmanach schon zu Gesichte gekommen, und was hat Dir darin am meisten zugesagt? Was hältst Du von der Johanna von Orleans? Fahren meine Predigten noch fort Deinen Beifall zu haben? Fragen genug, und ich könnte noch mehrere auch dieser Art thun. Beantworte sie mir bald. Je weniger ich selbst schreiben und mit Jette gründlich von Dir reden kann, um desto mehr verlangt mich unmittelbar von Dir zu hören. Vor allen Dingen aber vergiß das Kommen nicht. Dein
Schleiermacher
Du weißt lieber Freund von Jetten was mich bis jezt abgehalten hat Dir zu schreiben und was überhaupt mir jezt wenig Zeit übrig läßt für die Abwesenden und anwesenden Freunde nemlich die längst gewünschte Anwesenheit dessen der mir in so vielen Hinsichten unendlich werth ist. Was ihn selbst betrift so habe ich ihn ganz unverändert wieder gefunden in dem, was mir zusagt, und auch in dem, worin wir von einander abweichen – aber in seinem Denken und Umfassen menschlicher Erkenntniß in Kunst und Wissenschaft hat er wohl noch größere Fortschritte gemacht; alles hat sich mehr geschieden und ist deutlicher herausgetreten. Besonders ist er in das Wesen der Poesie sehr tief eingedrungen und wir werden wohl in den nächsten Jahren eine Menge von Studien in verschiedenen Gattungen von ihm erhalten, die sich doch Alle mehr oder minder dem Meisterhaften nähern werden. Er hat jezt ein Trauerspiel gemacht, wogegen zwar, was die Composition betrift Viele Vieles einwenden werden; aber alles Einzelne ist so durchaus und rein tragisch, und das Ganze in einem so großen Styl, daß alle jene theoretischen Einwendungen bei keinem Unbefangenen den Eindruk besiegen werden. Es liegt eine alte spanische Romanze dabei zum Grunde und es wird bereits gedrukt. – Den Platon abgerechnet werden wir also eine Zeitlang in unsern litterarischen Arbeiten ganz verschiedene Wege [gehn]. Er wird durch Poesie | die Darstellung seiner ziemlich poetischen theoretischen Philosophie vorbereiten, und ich werde meine praktische Philosophie in verschiedenen Werken darlegen, von denen sich Manche doch auch in der Einkleidung wenigstens dem Poetischen gewißermaßen nähern werden. – Daß Friedrichs Hiersein Dein Herkommen verzögert ist freilich ein übler Umstand; indeß wenn es Dir nur späterhin nicht an einer guten Gelegenheit fehlt, und das sollte ich nicht denken, so ist nichts daran verloren. Ich könnte Euch Beide doch nicht genießen, da Ihr Euch noch nicht kennt, und Friedrich gehört gar nicht zu denen mit welchen man sich bald befreundet. Ich würde also, wenn auch die äußeren Bedingungen die Sache nicht schon unmöglich machten, gar sehr verlieren ohne daß Du etwas wesentliches gewönnest. Ueber Neujahr wird Friedrich gewiß nicht hier bleiben, und so suche nur alsdann so bald als möglich ein Mittel zur Befriedigung unserer Wünsche zu finden. Nimm es recht ernsthaft, denn auf meine Reise nach Prenzlau im Sommer ist gar nicht so sicher zu rechnen. Erstlich kann ich ja nicht wissen was Leonore in meiner heiligsten Angelegenheit thun wird, und wann. Zweitens können mich die Umstände leicht nöthigen im Frühjahr den Friedrich noch einmal in Dresden zu besuchen, und dann möchte ich zu einer andern Reise weder Zeit noch Erlaubniß bekommen. Endlich habe ich eine Art von Vorgefühl als ob Dein Aufenthalt in Prenzlau selbst etwas sehr prekaires wäre. Diese Ahndung kann vielleicht unrichtig sein nicht weil sie aus der Luft gegriffen wäre sondern weil sie sich nur auf meine Ansicht der Sache bezieht. Dein Verhältniß zu Herz ist so, wie es durchaus nicht bleiben kann; es drükt Dich und Johanna, und auf die Art, wie Ihr Beide es beschreibt muß es auch Jedem Dritten auffallen. Wie wenig eine gründliche Aenderung von ihm zu erwarten ist, das ist klar, und mir scheint nichts anders übrig als entweder daß Du es von Zeit zu Zeit wenn es zu arg wird wieder ins | Gleiche zu bringen suchst, indem Du ihm tüchtig und trozig die Wahrheit sagst, welches immer ein Palliativ bleibt, und wobei Du riskirst daß er in der Hize einmal etwas sagt oder thut was eine gänzliche Spaltung herbeiführt – oder daß Du selbst eine entscheidende Maaßregel ergreifst, und welche könnte das sein als die äußere Trennung von Deiner Freundin, die Euch Beiden doch als nothwendig vorschwebt zu beschleunigen[.] Sie wird in der That weniger leiden als jezt; denn ein peinlicherer Zustand läßt sich für eine Frau nicht wohl denken; und Dein Verhältniß gegen die Gräfin und Wilhelm sollte Dich hierin doch nicht zu ausschließend leiten, da sie ja ohnedies in der Wahl ihres Aufenthaltes so frei ist, und wenn Du ihr so viel werth bist als Du sein solltest leicht Auskunft treffen könnte. Wolf bleibt Johannen und wird vielleicht alsdann mehr auf sie und für sie wirken können als jezt, und eine ungestörte freie schriftliche Mittheilung wird Euch wenn das Erste überwunden ist bald mehr werth sein als dieses gezwungene und auf allen Seiten unzureichende Sehen.
Unseres guten Wolffs Angelegenheit macht mir Kummer. Indeß zweifle ich nicht daß sie nicht glüklich leben sollten wenn sie erst vereinigt sind, und Jettens rasches Wort sollte ihm nicht so fest im Gemüth liegen. Die Frauen wissen es selbst nicht wie wenig sich in diesem Sinne von dem Mädchen auf die Frau weissagen läßt. Lea hat eine große Anlage zu einem schönen häuslichen Leben und wenn sie sich auch ohne Leidenschaft mit einem Manne verbindet den sie so zärtlich achten muß wie sie Wolf immer geachtet hat, so wird sie ihn gewiß glüklich machen und auch selbst glüklich sein besonders wenn sie Mutter wird. Indeß ist in der Sache nichts zu thun als sie sich selbst | zu überlassen, und nur soviel möglich jeden fremden nachtheiligen Einfluß abzuwenden. Das ist geschehen; indeß ist doch nicht dafür zu haften, was des Bruders Ansehn und eigne Unentschlossenheit auf Lea wirken werden. Grüße mir den guten Wolf und vorzüglich unsre Johanna so herzlich und schwesterlich als Du kannst. Sie soll mich nicht nach dem Nichtschreiben beurtheilen. Jette schreibt doch größtentheils meines Herzens Meinung auch – nur einmal weiß ich daß michs recht drängte ihr selbst zu schreiben, weil ich ihr etwas Anderes schreiben wollte als Jette für heilsam hielt; aber es war zu einer Zeit wo es unsicher gewesen wäre. Sie soll mich recht lieb haben ließ ich ihr sagen. Das mit Leonoren ist aber wohl nur ein schöner Traum. So weit wird die Sache noch nicht sein wenn ich nach Prenzlau kommen kann; und sie wird sie schwerlich eher kennen lernen als wenn sie meine Frau ist. Ueberhaupt seid Ihr schöne Leute mit Entwürfen; der Rügensche ist auch vortreflich; aber für diesen Sommer halte ich es gänzlich unmöglich, und ich zweifle ob ich Dich eher dort sehn werde als wenn Du ganz da lebst.
Ist Dir der Schlegel-Tieksche Musenalmanach schon zu Gesichte gekommen, und was hat Dir darin am meisten zugesagt? Was hältst Du von der Johanna von Orleans? Fahren meine Predigten noch fort Deinen Beifall zu haben? Fragen genug, und ich könnte noch mehrere auch dieser Art thun. Beantworte sie mir bald. Je weniger ich selbst schreiben und mit Jette gründlich von Dir reden kann, um desto mehr verlangt mich unmittelbar von Dir zu hören. Vor allen Dingen aber vergiß das Kommen nicht. Dein
Schleiermacher