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Friedrich Heinrich Christian Schwarz to Friedrich Schleiermacher

Münster den 28ten Dec. – 1.
Warum komme ich doch erst zu Ende des Jahres dazu Ihnen, verehrtester Freund, zu antworten und zu danken? Unter allen den Ursachen des Aufschubs würden Sie nicht eine einzige finden, worin Sie nicht zugleich den Kampf meines Verlangens nach Ihnen erführen. Auch war mir Ihr Brief von den Posten durch ein unfreundliches Geschick, das ich manchmal erfahre, lange vorenthalten worden.
Daß uns Ihre Literalien überaus willkommen waren, darüber brauche ich Ihnen weiter nichts zu sagen. Der Aufsatz für das praktische Journal von Müller wird vermuthlich jetzt abgedruckt. Ich soll Ihnen den Dank des Herausgebers versichern, und die Bitte um mehrere Beyträge. Der Verleger wird Ihnen in Leipzig das Honorar besorgen; ich bitte Sie nur mich eine Anweisung dorthin wissen zu lassen. Der Setzer ist nicht so ganz mit Ihnen zufrieden, wegen der feinen Schrift; ich wünsche, daß nicht auch Ihre Augen darüber unzufrieden sind. Der Aufsatz welcher mich näher angeht, ist nun bereits im 4ten Stück der Gieser Bibliothek abgedruckt. Dafür bin nun ich vorerst Ihnen besonderen Dank schuldig. Sie haben einen Ton angestimmt, den ich längst gerne zu hören wünschte, und daß Sie ihn nicht noch schärfer gegriffen haben, macht mir Ihre Humanität, die Sie hier gegen Campe beweisen, nur achtungswerter. Meine Anmerkung dazu ist unbedeutend, da ich Ihnen nur das damit sagen wollte, was ich so eben gesagt habe, und unserm Publikum andeuten, daß es zu neuen Ansichten über Pädagogik und Methodik kommen müsse. Mehrere Druckfehler in diesem BibliotheksStück sind mir ärgerlich unter anderem heißt es in dem was ich sage: nur dem einen Herausgeber pp statt mir dem einen Herausgeber. Sonderbar war es, daß eben als Ihr Brief ankam, an dessen Schluß Sie über literärische Betriebsamkeit der Freunde zu Marburg fragen, wir in literärischen Diskussionen über Sprache und Bildung | durch Sprache begriffen waren. Wir hatten schriftlich unsre Gedanken gewechselt, und Sie fehlten uns nur noch; denn wir glauben auch hier im Geiste ganz vereinigt zu seyn, nur daß Ihre originellen Blicke unsre Ideen höher potenziren würden. Ich komme hier in Versuchung Ihnen aus einem Aufsatze Creuzers, des Professors der griechischen Sprache und Eloquenz (Sprachforschers κατ'εξοχην) etwas herzusetzen – „Aber, wirft man mir hier ein, wird uns nicht auf diese Weise das ernsthafteste Geschäfte zum Spiel werden? Ihr macht große Foderungen für Bild und Dichtung: Geist und Wahrheit hat doch ursprünglichere und heiligere Rechte, und wo ist, wenn man in Unterricht und Lehre das dichtende Vermögen einmal frey lässet, wo ist eine Gränze seines Strebens abzusehen? Und vertrieb der göttliche Platon, der doch wohl wußte, was Bilden und Lehren sey, nicht selbst die Poëten aus seinem Staate? – Antwort. Wir stehen gerade auf dem entgegengesetzten Punkte als auf dem Plato stand, da er die Poëten pp[.] Er lebte unter einem Volke, das, wo von geistiger Tätigkeit die Rede war, für nichts als Poëm, Bild, musikalische und mimische Kunst Sinn hatte, dem Philosophie an sich so wenig galt, daß sich die Philosophen nur als Musiker und Poëten einschleichen mußten. Wir in einer Welt von abstracten Begriffen überflutet, wo trockne, harte, scharfe Theorie als allgemeines Gesetz geistiger Tätigkeit herrschet. – – Und ist nicht Plato gerade derjenige der von allen Philosophen und Pädagogen den Lehrbedürfnissen so sehr Genüge leistete, daß seine Werke als ein Kanon der mythischen Lehrkunst, als Vorbild der mystischen und symbolischen Darstellung gelten können? pp“ – Ich muß abbrechen. Aber hier noch etwas aus seinem letzteren Briefe: „Besorge aber nicht, daß ich auch auf meinem Felde nichts hervorbringen werde über allen den Anstalten und Vorbereitungen. – So mir Gott Leben und Gesundheit – Freunde und fröhliche Stimmung der Seele erhält, liefere ich, zwar nach der Natur meines Bodens etwas spät, aber doch gewiß einige Früchte auf den Altar der Wissenschaft.“ – Nun kennen Sie diesen Geist näher.
An Savigny, dem Edlen, haben Sie einen Nachbar und Collegen, der | Sie freuen wird, in demselben BibliotheksStück erhalten; er ist Verfasser der Rezension über Universitäten. – Ich hoffe mit der Zeit wird noch etwas aus unsrer Bibliothek Sie, und solche Freunde müssen helfen. Wir haben noch viel mit der Wasserflut andrer Journale als da sind Rintelner Annalen und dergleichen äußerlich zu kämpfen. Und besser ist es doch immer mit Geistern zu kämpfen zu haben als mit Wasser, welches nach Schellings Naturphilosophie die Indifferenz unsrer Erde ist – darum mag sich unsere liebe Lesewelt gar gerne darin verlieren. Was ist es überhaupt mit unseren kritischen Journalen? Eine Verewigung des Schlendrians. Weder der Jenaischen noch der Erlanger Literatur Zeitung darf man noch etwas Bedenklichkeit über den kategorischen Imperativ äußern, wozu sie geschworen haben; und Schlendriansproducte selbst im pädagogischen Fache, wie z. B. die Familie Werthheim, werden hoch geprießen. Ich habe mich daher, wenigstens vor den Anfang in meinem Unternehmen nicht viel Gutes zu versehen. Zur Ostermesse soll hoffentlich der erste Band meiner Erziehungslehre erscheinen, welche gar sehr von dem bisherigen Erziehungsunwesen der kantischen Schule (– ich ehre Kant, aber nicht seine Schule) abweichen wird. Möchte ich Sie nur erst in so manchen Punkten zu Rate ziehen können, wie meine Freunde und Freundinnen in der Nähe, bey denen jetzt ein Teil des Manuscripts circuliret, und die mir weniger schenken als der Troß der Recensenten. Für die weitere Fortsetzung studiere ich jetzt unter anderm Anatomie und Physiognomik: was sagen Sie zu diesem Plane? – Wir wollen wetteifern. Ihr Plan für die Bearbeitung der Moral ist einer der herrlichsten, die mir vorkommen können. Ich möchte Ihnen schon zurufen hören: Macte! – macte nova virtute! – Ich bin ein gar ketzerischer Naturalist geworden; auch das Handeln (wie sie es nennen) aus dem kalten Gedanken der Pflicht mag ich nicht mehr leiden; es komme dann zu Zeiten, mir Ihre Nemesis, wenn sich die Menschen durch den Geist Gottes nicht mehr wollen strafen lassen um die Sündfluth aufzuhalten: wiewohl am Ende auch damit nicht viel aufgehalten wird. Die Liebe ist mir το 'Εν και Παν – | aber sie ist nichts weniger als ein Abstractum; sie ist nur im Einzelnen, da wo man liebt, gleichviel was, folglich auch unbedingt und unbeschränkt. Daß wir uns so ängstlich nach einem Stakete, das sie z. B. zwischen beyden Geschlechtern im kalten Maaß und Ziel erhalten soll, umsehen, kommt daher, daß wir immer an das Wort nur denken, und nicht an das Lebendige, an das liebende Gemüth selbst. Ist dieses da, so laßt es nur frey wirken; „keine Bildung ohne Liebe, und keine Liebe ohne Bildung“ (Veredlung). Von hier aus muß meines Erachtens alle Moral ausgehen, daß sie nur einmal das Buchstabiren verlerne; und vor allem sey das Einpfuschen der Rechte entfernt. Die Rechte – Gott verzeihe mirs wenn ich sündlich werde – hat der böse Feind den Menschen eingegeben; wenigstens sind sie das Irdische, der entgegenstehende Pol gegen das heilige Licht des Himmels. Doch muß ihre Verbindung in dem guten Menschen gezeigt werden. Aber wo gerathe ich hin? Ich wollte Ihnen noch sagen, daß es ein schönes Verhältniß der Liebe ist, welches Ihnen mein voriger Brief andeutete, dessen Anschauung Sie wie nur irgend etwas Schönes freuen würde, das sich aber mit dem Aussprechen vor den Menschen nicht verträgt. Sehen Sie übrigens aus dieser meiner Äußerung, wie sehr ich ihre Grundsätze über Geheimnisse, welche Sie samt jener Auslegung mir nun mit dem Vertrauen der Freundschaft in Einstimmung gebracht haben, von ganzem Herzen ehre.
Könnten wir Sie, Bester, nur in unsre Mittheilungen mehr ziehen! Unsre Marburger Freunde (bey denen ich neulich war und welche ich jetzt hier erwarte) wünschen dieses eben so sehr als ich. Wir haben das Gesetz unter uns, daß jeder, so wie ihm etwas in seinem Studium vorkommt, das er mit Freunden besprechen will, seine Gedanken schriftlich hinwirft; darüber wird dann mündlich und schriftlich debattirt, und so sammelt sich ein Archiv unsrer Streitsachen. – Doch werden wir darauf denken, auch Sie mit in die Mittheilungen zu ziehen. Alle Literalien, die für einen Brief zu groß sind, schicken Sie gefälligst unter der Addresse an die Heyersche Buchhandlung in Giesen durch Herrn Böhme, Buchhändler in Leipzig, an mich. Ich erwarte viel; Sie haben mir noch manches versprochen. Die Beurtheilung von Tellers Zeichen der Zeit, – auch einen Aufsatz über das Technische im Predigen (sollte nicht die Poësie mehr in dem Predigen zu thun haben?) – und was Sie mir nur schicken können. Auch wünschte ich Ihre Gedanken über meinen Lavater zu erfahren. – Das Honorar für die Arbeiten in die Bibliothek kann zur Meßzeit auch in Leipzig ausgezahlt werden. Machen Sie mir nur eine starke Rechnung. – Mögen Sie durch Freunde in der Nähe dafür gesegnet seyn, daß Sie Ihren Freunden in der Ferne wohlthun!
Schwarz



Metadata Concerning Header
  • Date: Montag, 28. Dezember 1801
  • Sender: Friedrich Heinrich Christian Schwarz ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Münster (Butzbach) ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 5. Briefwechsel 1801‒1802 (Briefe 1005‒1245). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1999, S. 287‒292.

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