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Friedrich Schleiermacher to Ehrenfried von Willich

Berlin d. 13t. Jan. 2.
Schlegels fortdauernde Anwesenheit bringt ohnerachtet ich weniger von seiner Gesellschaft genieße als ich wünsche und auch wohl verlangen könnte mein ganzes Leben in solche Unordnung daß ich mir zu Allem was ich am liebsten thue, zum Besuch unserer Freundin und zum Briefschreiben die Zeit mir abstehlen muß. Seine äußeren Verhältnisse, sein Mangel an innerer Freiheit in Absicht auf den Gebrauch seiner Zeit, und die Nothwendigkeit während seines Hierseins für unsere gemeinschaftliche Arbeit das Beste zu thun damit es an mir wenigstens nicht fehle – das Alles kommt auf eine sehr ungünstige Art zusammen. Denke Dir das Alles so confus durch einander als möglich, und erkläre Dir daraus mein Nichtschreiben und mein Schreiben. Schlegel reist übrigens den 27ten hujus – es müßten denn irgend außerordentliche Umstände eintreten und wenn sich damit Deine Aussichten zum Herreisen wie ich hoffe vereinigen lassen so zaudere ja nicht, und denke, daß es uns gar herzlich lieb sein wird Dich hier zu sehn I An unsere Reise nach Prenzlow ist unter den gegenwärtigen Umständen wohl gar nicht zu denken und Grashof hat sich das auch rein aus dem Finger gesogen, oder es vielleicht absichtlich gesagt um den Effekt zu beobachten und vielleicht dies oder jenes daraus zu schließen. Nein lieber Freund mir wäre es höchst widrig unter diesen Umständen in Prenzlow zu sein, dieses zerrißne und gewaltsam zusammengeknüpfte Wesen zu sehn, und unsre Johanna auf der einen Seite zu viel, und auf der andern für mein Gefühl wieder zu wenig leiden zu sehn, und mich so ganz passiv dabei zu verhalten als ich thun müßte. Auch ist mir Herz so fatal geworden daß ich mich ohne Noth nicht in seiner Nähe und am wenigsten in seinem Hause befinden möchte. Ich habe in dieser Art vollkommen genug an Grunows Existenz zu tragen.
Eben aus der Vorbildung meines eignen Gefühls hatte ich mir das zusammengedacht daß bei dieser Wendung der Sache und nach der nun wirklich erfolgten Trennung von Johanne auch Dir Prenzlow gar zu fatal sein müßte. Wie Du siehst bin ich eben weit heftiger als Du, ich meine nicht im Verlangen, aber im Zorn und allem was zu diesem Theile des Gemüthes gehört. Du kannst es ertragen, und das ist gewiß recht gut und schön in Dir; und so freue ich mich, daß Du in Deinem Lebensentwurf nichts zu übereilen, und Dich nicht aus Dei | nem jezigen Kreise zu stören brauchst den Du mir so reizend und wohlthuend schilderst. Nur lieber Freund reflektire ja recht über jede Neigung der Liebe in Dir[;] wolle ja nicht anders als ganz, vollständig und aufs Leben lieben. Versuche thun Dir gar nicht mehr Noth und Du hast zuviel Besonnenheit, als daß sie Dir nicht Schmerzen bereiten sollten. Das ist der einzige Punkt wo ich Besorgnisse um Dich habe; also vergönne mir immer sie zu äußern. Die, welche Du äußerst über uns sind hoffentlich nur eine vorübergehende Schwingung gewesen. Die Wissenschaft hat mich ja nicht zu Dir gezogen, und so ist es also auch nicht ihr Geschäft mich bei Dir fest zu halten. Dich soll meinetwegen nur die Art wie ich sie treibe, in so fern das mit meinem Charakter zusammenhängt etwas angehn. Mich darin zu verstehen und mich darum zu lieben, das muthe ich Dir zu, denn es ist ein großes Bedürfniß meines Herzens, und dieses kannst und wirst Du befriedigen wenn wir erst zu mehreren Mittheilungen über diese Gegenstände kommen.
Daß Du meine Predigten ganz von Seiten des Erbauens nimmst ist mir sehr lieb und Dein Zeugniß daß ich diesen Zwek erreiche gilt mir viel. Ist denn die Gräfin auch der Meinung? Uebrigens sind sie wohl auch Reden, wenn man das Wort in der alten Bedeutung nimmt, wo die Anschaulichkeit des Raisonnements und der Numerus die Hauptsache | ist – so weit nemlich der Gegenstand meiner jezigen Ansicht nach es verträgt. Aber sie sind es nicht in dem modernen Sinne wo man auf Bilderschmuk, dergleichen die Alten fast gar nicht kennen, und auf etwas poetisirendes sieht, das doch keine Poesie sein soll. Von den Recensenten sind sie mir bis jezt nur gelobt worden; doch daran ist mir wenig gelegen.
Ueber das Athenäum, über Schlegel und über die Kunst wollen wir reden wenn Du kommst, überhaupt verspare ich jezt viel aufs Reden. Laß mich nur bald etwas angenehm entscheidendes über Dein Herkommen wissen und sage von meinetwegen der Gräfin etwas herzlich freundliches darüber, daß es ihr recht ist. Liegt Dir etwas am Karnewall – ich meine an OpernMusik so komme nur spätestens mit Anfang Februars
Warum schreibt kein Mensch ein Wörtchen von Wolff und Lea?
Die Johanna ist mir in vieler Hinsicht lieber als die andern Schillerschen Sachen weil sie lebendiger freier poetischer ist – aber die wirkliche Johanna ist doch ganz anders. Ich habe alles was man historisch von ihr weiß jezt gelesen und glaube daß sich doch noch etwas ganz anderes hätte draus machen lassen.
Adieu lieber Freund. Jette wollte Dir heute auch schreiben; unsere Briefe können aber nicht zusammen kommen. Grüße mir Wolff recht eigen
Dein
S.
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  • Date: Mittwoch, 13. Januar 1802
  • Sender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Recipient: Ehrenfried von Willich ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Prenzlau ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 5. Briefwechsel 1801‒1802 (Briefe 1005‒1245). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1999, S. 300‒303.

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