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Friedrich Schleiermacher to Lotte Schleiermacher

Berlin d 29t Januar 1802
Was mich bis jezt abgehalten hat Deinen lezten Brief, liebe Lotte, zu beantworten, und mein gegebenes Wort daß ich noch vor Ablauf des Jahres schreiben wollte zu erfüllen, ist der so lange vergeblich gewünschte Besuch von Friedrich Schlegel gewesen. Er hat vom 2ten December an bis Vorgestern bei mir gelebt oder wenigstens gewohnt. Hätte ich vorher gewußt daß er so lange hier sein würde so hätte ich mich natürlich anders eingerichtet und würde mich nicht haben abhalten lassen, allein schon nach den ersten Vierzehn Tagen wollte er mit jedem Posttage reisen und ist so lange geblieben weil seine Geschäfte nicht zum Schluß kommen konnten. So habe ich denn auch mit dem Briefschreiben und andern Dingen gezögert theils um ihn selbst soviel an mir läge die kurze Zeit ungestörter zu genießen, theils um hernach Alles mit desto mehr Ruhe zu verrichten. Eben dieser Besuch hat es mir auch bis jezt unmöglich gemacht Dir Geld zu schiken. Er ist mir ziemlich theuer gewesen weil er so unerwartet lange gedauert hat und weil Schlegel zu seinem großen Unglük ziemlich reich ist an kleinen Bedürfnissen und Verwöhnungen. Daß es mir ein große Freude gewesen ist diesen lang entbehrten Freund bei mir zu haben kannst Du leicht denken. Mancher Endzwek seines Besuchs ist freilich troz der langen Zeit nicht erreicht worden, besonders haben wir nicht so viel über unsere gemeinschaftlichen Arbeiten geredet und studirt, als die Absicht war: aber das konnte ich da ich ihn so genau kenne, und da leicht vorauszusehen war, daß er in mancherlei Verbindungen und Zerstreuungen hinein gerathen würde, sehr leicht berechnen und es hat mich also nicht sonderlich gestört; nur das thut mir leid, daß mein Zeitverlust verhältnißmäßig so ungleich größer gewesen ist als der Genuß den ich von Friedrich gehabt habe. Uebrigens ist in den drittehalb Jahren sein ganzes Wesen noch stärker hervorgetreten; die ganze Richtung seines Geistes ist bestimmter zu sehn, er ist über das was er in der Welt leisten wird und soll gewißer geworden, und eben so ist auch in seinem Charakter alles um des willen ich ihn liebe, und alles was mir fremd ist und widerstrebt noch gewaltiger kräftiger und deutlicher als zuvor. Der Herz hat er besser zugesagt und sie ist vertrauter mit ihm geworden als sonst wozu freilich wol vieles beiträgt daß die unangenehme Empfindung über jene kritischen Zeiten vorüber ist, daß er nun schon so lange und mit solcher Treue ihre Freundin wirklich glüklich macht und zu einem höheren Dasein hebt, als sie sonst genoß, und daß er ernstlich damit umgeht, ihrer Verbindung auf dem einzigen Wege, der ihnen offen steht, ein auch vor der Welt gesezmäßiges Ansehn zu geben. Die Grunow die ihn jezt erst kennen gelernt hat, hat ihn sehr liebenswürdig gefunden. Wie ich ihm vorgekommen bin weiß ich nicht genau; aber er hat mich schon immer für ein in meiner Art ganz fertiges und vollendetes unveränderliches Wesen gehalten, soviel ich weiß; auch schien er ein sehr bestimmtes und richtiges Gefühl davon zu haben, wo wir auseinander gehen, und was mir an ihm nicht gefallen kann. Viele meiner Bekannten die es herzlich gut mit mir meinen, aber mich wohl nicht so genau kennen, und die an Schlegel manches anders sehen als es ist, und alles was ihnen mißfällt sehr vergrößert erbliken, haben auch bei diesem Besuch wieder gefürchtet am Ende möchte doch der genaue Umgang mit ihm nachtheilig auf mich wirken, und Manches in meinem Gemüth umändern und verstimmen. Ich begreife nicht wie man so etwas von Jemand besorgen kann dem man doch einige Festigkeit und innern Werth zutraut, und ich überlasse es der Zeit ihnen zu zeigen, daß ich noch immer derselbe bin. – Während dieser Zeit habe ich auch die Freude gehabt von Hülsen (ich habe seiner doch gewiß gegen Dich erwähnt) der mir seit dem betrübten Tode seiner Frau nicht geschrieben, nicht nur einen Brief zu haben, sondern ihn auch | persönlich kennen zu lernen. Etwas anders, wie das gewöhnlich zu gehen pflegt, habe ich ihn doch gefunden als ich ihn mir aus seinen Briefen vorgestellt hatte; aber nicht zu seinem Nachtheil, sondern heiterer, kindlicher, irdischer. Das erste was ich mir darüber zu sagen wußte, und das Beste was ich auch noch weiß, ist, daß ich mir seine Briefe immer mit einem unrichtigen zu feierlichen Accent gelesen habe. Sonderbar war unser erstes Zusammentreffen. Es war des Abends und ich wollte auf eine Stunde den älteren Schlegel besuchen und finde unten vor der Hausthür einen großen schwarzen in einen dunkeln Mantel eingehüllten Mann, der unbeholfener Weise die Klingel nicht finden konnte. Ich klingle, wir gehn zusammen die Treppe hinauf ohne ein Wort mit einander zu reden. Oben fragt er mich, ob hier Prof. Schlegel wohne; ich bejahe es, führe ihn ins Vorzimmer, weise ihn zu Schlegel hinein gehe aber nicht mit weil ich noch einen Augenblik seinen Wirth sprechen wollte. Als ich darauf hinein komme redet mich Schlegel bei Namen an und fragt mich ob ich etwa mit Hülsen gekommen wäre. Darauf wir beide zugleich Wie, das ist Hülsen? Wie das ist Schleiermacher? und fallen einander in die Arme. Nach einer stillen Beschauung von ein Paar Minuten waren wir als ob wir uns schon Jahre lang täglich gesehen hätten. Hülsen war nur wenige Tage hier, er hing nicht ganz von sich ab, und ich habe ihn nur den ersten Abend eine halbe Stunde auf der Straße ganz allein gehabt; doch ist mir das Sehen von Angesicht sehr viel werth und ich hoffe es wird sich machen daß wir in diesem Jahre noch einmal zusammenkommen. Der Schmerz hat seine Gewalt nun verloren, und die Bewegung, mit der er jezt von seiner Gattin sprach, wird ewig bleiben, aber sein Leben ist noch zerrissen er hat noch keinen festen Punkt, keine Bestimmung wieder gewonnen. Unser Briefwechsel soll denke ich recht lebhaft fortgehn. Nächsten Mittwoch erwartet mich schon wieder eine ähnliche Freude und eben deshalb will ich auf jeden Fall vorher diese Epistel abschiken. Nemlich Willich den Du aus meiner Prenzlauer Reise kennst wird herkommen, und mit seinem Zögling, einem jungen Grafen Schwerin, einige Tage bei mir wohnen. Das ist recht die Ergänzung zu Schlegels Besuch denn Willich hat grade das was ich an Schlegel vermisse, worüber ich diesem schweige, darüber kann ich mich jenem am besten mittheilen, und wiederum in Allem worin ich von Schlegel lerne und dieser weit über mir steht kann ich Willichs Lehrer sein. Ehe ichs vergeße liebe Lotte, bei Willich mit dem ich viel vom Predigen reden werde weil es auch sein Beruf ist fallen mir meine Predigten ein. Karl schreibt mir er hätte wie ich es ihm aufgetragen schon im August ein Exemplar davon an Dich geschikt. Wie kommts daß Du ihrer auch nicht mit einem Wörtchen erwähnst? Wenn sie Dir nicht gefielen solltest Dus doch auch sagen und Manches dächte ich müßte Dir gefallen wenn Du bedenkst daß sie eben für die Welt gemacht sind. Ich habe aber andere auf dem Herzen, die mehr nach Deinem und auch nach meinem Sinne sein werden. Noch eine Nachricht will ich Dir mittheilen und dann für heute aufhören. Louis Dohna nemlich verläßt seine bisherige Garnison und ist zu einem neuen Regiment versezt welches leider in NeuOstPreußen nahe an der rußischen Grenze steht. Es ist eine Gunstbezeugung weil es mit großem Vortheil im Avancement geschieht und er dadurch gewiß 6–8 Jahre eher Staabsofficier wird: allein freilich der Aufenthalt ist traurig und höchst abgelegen. Er wird jezt schon unterwegens sein. Ich habe ihm noch einmal an seinen alten Wohnort geschrieben und Deinen Auftrag bestellt was ihm gewiß Freude machen wird.
den 8ten Februar. Da ist doch der Brief nicht weggekommen vor Willichs Ankunft, zu allerlei kleinen Störungen und dem Bestreben die versäumten Freunde auch noch in der Zwischenzeit zu sehen gesellten sich leider beträchtliche Augenschmerzen welche mir das Schreiben in der Nacht unmöglich machten. Nun ist Willich seit dem dritten hier und wird bis zum 19ten bleiben. Daß ich mehr Genuß von ihm habe als von Schlegel kannst Du Dir leicht denken. Er lebt ganz mit mir und der Herz. | Des Vormittags sind wir wenn er nicht ausgeht um irgend eine Merkwürdigkeit zu besehen gewöhnlich zu Hause, theils arbeitet jeder für sich etwas, theils lesen wir interessante Sachen zusammen, und da wir Beide Thee frühstüken so giebt das ein schönes Plauderstündchen bei der SpiritusFlamme gewöhnlich bis nach Neun Uhr. Essen wir des Mittags zu Hause, so sind wir des Abends bei Herz oder es geschieht umgekehrt. Auch dort wird interessant gesprochen oder gelesen; so haben wir in zwei Abenden den herrlichen Roman gelesen, der das lezte unvollendete Werk des seligen Hardenberg ist (von dem ich Dir einmal das Lied Sehnsucht nach dem Tode abgeschrieben habe) oder es sind auch einige Menschen da, die so für uns die liebsten in der Berliner Welt sind. Zu Hause lesen wir gewöhnlich was ihm aus Schlegels Schriften das liebste ist, oder ich theile ihm meine aufgeschriebenen Gedanken mit, oder Briefe von Hülsen, von Wedeke, von der Grunow. Ins Theater wird er wohl noch öfter gehn und dann kann ich unterdeß das Nöthigste abmachen; bis jezt habe ich ihn nur einmal hinbegleitet um die Maria Stuart wieder zu sehn. – Jezt macht er mir den üblen Scherz und ist krank. Wenn nichts ärgeres dahinter ist, wie ich hoffe, so hat er wenigstens ein vollständiges Flußfieber, und ich befleiße mich einen großen Theil der Nacht bei ihm zu wachen, um zu sehn, wie es ihm geht. Sein Wilhelm ist ein guter Junge, der uns gar nicht stört; er hat Freundschaft geschlossen mit dem ältesten Sohn der Veit und findet sich sehr glüklich.
Nun habe ich schon zweimal einen Ansaz genommen um Dir zu erzählen, wie es mir ergeht; das ist abgemacht und nun kann ich Dir sagen, wie Dein Ergehen mir immerfort im Sinne gelegen hat. Dein Brief hat mich recht wemüthig gemacht vom ersten Augenblik an bis jezt; und wenn in der freudigsten Stimmung auf einmal der Vorhang herunter fiel und mein ganzes Wesen mit einem Flor bedekt war, so wußte die Herz immer nicht, warst Du es, oder war es die Lage der Grunow; Du warst es aber jezt weit öfter, nicht nur Deine Gesundheitslage sondern auch Deine Ansicht davon. Du siehst, so richtig Du mich auch der Sache nach, was mich gar sehr freut, verstanden hast mit dem Denken des Abscheidens befreundeter Seelen: so sagt mir doch die Anwendung gar nicht zu, die Du auf Dich selbst machst. Ich glaube, fände ich es so, so würde ich offen und stark genug sein es Dir zu sagen; aber Du bist gar nicht in dem Falle wo mir das so geläufig ist. Nichts ist plözlich äußerlich zerrissen in Deinem Leben und Wirken, und eben so wenig bist Du innerlich zerstört und aufgerieben sondern bist vielmehr, wie mir es vorkommt jezt so zur rechten Klarheit und Vollendung Deines Wesens gekommen, und dabei noch in Verbindung mit so vielen Menschen auf die Du theils absichtlich theils durch Dein bloßes Dasein wirkst, daß es mir unnatürlich vorkommen würde wenn Du und sie das nicht noch länger genießen sollten. Deine Gesundheit kommt mir freilich auch nach Deiner lezten Schilderung bedenklicher vor, wegen so mancher neuer Zufälle von denen Du mir sonst noch nicht geschrieben hast: allein wenn ich mirs vernünftig überlege so hangen sie doch alle von dem allgemeinen Uebel ab, und dies ist von der Art, daß Du freilich vielleicht nie ganz davon frei werden wirst aber daß doch sehr Viel geschehen kann um es zu dämpfen und diese schädlichen und beschwerlichen Ausbrüche desselben zu heben. Der junge Doktor gefällt mir, er scheint Dich recht gut zu behandeln und ich fasse die beste Hofnung. Freilich wäre eine Reise etwas sehr heilsames für Dich, und Du solltest nur bei Zeiten davon reden, und recht standhaft darauf dringen damit sie | von Seiten der Vorgesezten kein Hinderniß findet. Ich für mein Theil liebe Lotte will all mein Tichten und Trachten daran sezen Dich diesen Sommer zu sehen; freilich ist es mit dem Tichten und Trachten allein nicht ausgerichtet aber es hilft doch. Die nächsten Monate bringe ich jezt damit zu ein Buch zu schreiben worüber ich schon ein Versprechen von mir gegeben habe. Ich hoffe wenn ich fleißig bin soll es zu Johanni fertig sein, und dann werde ich nicht nur Zeit, sondern meiner Rechnung nach auch Geld haben um zu reisen und auch noch etwas zu der Deinigen beizutragen. Denn diese soll und darf nicht dadurch gestört werden, es wird sich schon mit einander vereinigen lassen. Wenn meine Arbeit fertig ist kann ich hernach bis in den September hinein zu jeder Zeit reisen, welche Dir die liebste ist. Der Himmel segne nur meine Studien und meinen Fleiß daß keine äußerlichen Störungen dazwischen kommen. Dein augenblikliches Bedürfniß ist mir peinlich; aber ich kann Dich versichern, daß ich seit dem November nicht 10 Thaler zugleich in Händen gehabt habe, die ich hätte mein nennen können. Das Nächste ist daß ich Dir in der ersten Hälfte des künftigen Monats etwas schiken kann, wenn es mir was der Himmel verhüte nicht wieder zu Wasser wird. Karl schrieb mir, daß er Dir außer den 5 reichsthalern deren Du erwähnst noch 5 schiken wollte; ich hoffe er wird es seitdem gethan haben. Du darfst gar kein Bedenken tragen von ihm zu nehmen; es fehlt ihm nicht, er kann nur von seinem Principal nicht immer loskriegen was ihm gehört und dieses entbehrt er auch nicht denn ich schreibe es ihm gut auf unserm Conto. Uebrigens laß Dich nur Deine kleinen Schulden nicht drüken wenn Dir die Leute nur nicht beschwerlich fallen denn daß sie bezahlt werden etwas früher oder später daran kannst Du doch nicht zweifeln. – Leonore grüßt und liebt Dich, und freut sich Deines Wohlwollens und Andenkens herzlich. Wie es mich freut, daß Du uns und unser Verhältniß so verstehst, liebe Lotte, davon hast Du keinen Begrif. An Deinem Tadel weiß ich nichts auszusezen, Du weißt ja daß ich es selbst so nehme: aber schwer würde es freilich gewesen sein es zurükzuhalten. Jezt fehlt es uns eben nicht an Behutsamkeit, und ich halte nichts in und von Leonoren für Peinlichkeit; ich müßte ja die schönste Weiblichkeit nicht kennen und nicht zu schäzen wissen. Da glaubst Du aber zuviel, wenn Du denkst daß wir uns täglich sehn; das erlauben mir meine Geschäfte nicht, auch möchte es auf die Länge mit Grunow nicht gut thun. Wenn ich alle Woche ein Paar Stunden vertraut mit ihr zubringen kann bin ich froh. Du kannst denken welche Lüken das läßt, und wie sehnliche Wünsche ich habe gar Vieles für sie sein und thun zu können, was ich nicht kann. Wie unendlich Schade wäre es, wenn nicht jede Seite dieses herrlichen Gemüthes zu ihrer vollen Ausbildung käme! aber in diesem widernatürlichen bedrängten bedrükten Zustande ist es gar nicht möglich. Dein Auftritt mit dem Kammerherrn hat mich sehr gerührt. Lebt sein Kind? Grüße ihn herzlich und theilnehmend von mir wenn Du ihn siehst, und sage ihm mir ginge es wohl. Die Gefühle durch die ich ginge wären mir alle sehr werth, und aus den Gerüchten machte ich mir nichts. Wenn der gute aber schwache Mann es mit dem ersten nur so weit brächte, so würde sichs mit dem Andern schon finden.
Ich glaube ich thue am Besten was ich geschrieben habe abzuschiken, damit es sich nicht wieder verzögert; wenn Willich abgereist ist fange ich eine neue Epistel an. Dann alles Uebrige. Gott sei mit Dir, meine gute Lotte. Sorge ja recht für Dich, und Geld sollst Du haben, sobald es mir irgend möglich ist.
Dein treuer Friz
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  • Date: 29. Januar bis 8. Februar 1802
  • Sender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Recipient: Lotte Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Gnadenfrei ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 5. Briefwechsel 1801‒1802 (Briefe 1005‒1245). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1999, S. 307‒313.

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