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Friedrich Schleiermacher to Ehrenfried von Willich

B. d. 14t. Merz
Eines lieber Freund ist nun in Richtigkeit und geschehen; aber leider gar nicht so wie ich es gehofft und gewünscht hätte, und wie es mir ersprießlich zu sein scheint. Ich habe meine Vocation nach Stolpe, allein die Kirchenvorsteher haben von dort so dringend geschrieben über die Nothwendigkeit ihnen bald einen Prediger zu schiken daß der Minister verfügt hat ich soll schon im Junius dort antreten. Er hat mir das Gestern selbst angekündigt, und es ist keine Abänderung zu hoffen. Leonore weiß es noch nicht. Nun ist gar nicht daran zu denken, daß sie vor meiner Abreise noch irgend etwas sollte thun können und die Arme muß nun hernach die ganze Sache ganz allein durchmachen. Das zerreißt mir das Herz; denn sie wird meinen Beistand, und meinen stärkenden Zuspruch dabei im höchsten Grade bedürfen. Und nun nimm noch dazu, daß ich so lange sie noch bei Grunow ist nichts ordentliches von ihr hören werde, und daß ich nun gewiß anderthalb Jahr dort allein in der Wüste sein muß. Doch an mich will ich nicht denken sondern nur an sie. Jette denkt auch viel | zu viel an mich, so daß sie meint es wäre besser daß Leonore sich erst nach meiner Abreise trennt; es würde dann des Geredes weniger sein über mein Verhältniß mit ihr, dieser Punkt könnte so weit besser im Dunkeln gelassen werden. Ja schon ehe diese lezte Entscheidung kam hatte sie Leonoren diesen Gedanken geben wollen. Findest Du das nicht ordentlich barbarisch? Wie soll die Arme so ganz allein stehn in dieser kritischen und angstvollen Zeit, wo ihr Herz von allen Seiten wird bestürmt werden! Wüßte ich sie nur erst vorher auf einen ordentlichen Fuß mit Jette, daß sie öfter hinkäme und so daß Herz es weiß: denn wenn es dann erst geschieht, wenn sie sich scheiden läßt, möchte das Herz sehr unangenehm auffallen. Auf Dich verlasse ich mich auch, daß Du Dich ihrer recht treu annehmen wirst. Daß ich nicht wenig zerstört bin kannst Du Dir denken; ich werde nun auch hier gar nicht mehr zu mir selbst kommen. Gleich nach Ostern reise ich nach Schlesien um meine Schwester und meinen Bruder noch einmal zu sehen, und dann wird mir noch eben Zeit sein zum Einpaken. Ueber Prenzlow reise ich das ver | steht sich; aber ich werde nun auch die Freude nicht haben Lea schon dort zu finden, und Wolf eben auch nicht. Bisweilen habe ich in dieser Verwirrung ordentlich nöthig es mir recht deutlich zu machen daß ich vernünftig und recht gehandelt habe auf dieses Stolpe zu entriren. Daß Leonore Dir noch nicht geantwortet hat schreibst Du wol von selbst bloß ihrer infamen Lage zu – ach! wenn die nur erst glüklich zerrissen wäre! Daß sie Dich liebt und grüßt weißt Du. Schreibe ihr nur immer wieder, sie wird Trost und Muth von allen Seiten nöthig haben; und mir schreibe auch, Du siehst es geht mir nicht besser. Manche möchten es für gut und glüklich halten daß ich in diesen wenigen Wochen nun noch unaussprechlich beschäftigt bin; ich nicht, mir ist es drükend mich immer so heraus reißen zu müssen.
Die arme Jette liegt mir auch schwer auf der Seele. Ueber sie ein Andermal mehr wenn ich erst über Leonoren etwas ruhiger bin, und etwas klarer sehe. Lebe wohl lieber Freund und sei uns recht hülfreich. Laß doch Johannen durch Wolf alles wissen was mich betrift, wenn Du gegen die Vermittlung nichts einzuwenden hast. In jedem Falle laß sie herzlich grüßen von mir.
Metadata Concerning Header
  • Date: Sonntag, 14. März 1802
  • Sender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Recipient: Ehrenfried von Willich ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Prenzlau ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 5. Briefwechsel 1801‒1802 (Briefe 1005‒1245). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1999, S. 343‒345.

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